Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Veluchiotis, Aris
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Veluchiotis, Aris

Veluchiotis, Aris (oder „Mizerias“, Pseudonym des Athanasios Klaras), griechischer Partisanenführer, * Lamia 1905, † (Selbstmord) nahe der Koraku-Brücke über den Acheloos 16.06.1945, Sohn des Anwalts Dimitrios Klaras, Cousin seines Rivalen und Feindes Napoleon Zervas.

Leben

V. beendete 1922 das Studium an der Landwirtschaftsschule in Larisa und wirkte dann in Drama und Trikkala bei der Ansiedlung kleinasiatischer Flüchtlinge mit. 1924 trat er in die Kommunistische Partei Griechenlands ein. Wegen antimilitaristischer Propaganda kam er, der als Wehrpflichtiger zum Gefreiten der Artillerie befördert und in die Reserveoffiziersschule aufgenommen worden war, ins Strafbataillon. 1927 nach Athen entlassen, arbeitete er in der Redaktion des kommunistischen Parteiorgans „Rizospastis“ (Der Radikale) und erhielt für seine vielfältige illegale Tätigkeit mehrere Strafen. Unter der Diktatur des Ioannis Metaxas war er ab 1936 auf Ägina, 1939 auf Korfu inhaftiert und wurde nach schriftlichem Widerruf seiner kommunistischen Gesinnung auf freien Fuß gesetzt. Unklar bleibt, ob der gleichfalls in Korfu einsitzende Generalsekretär der KPG, Nikos Zachariadis, diesen Schritt des V. gebilligt hat oder wenigstens informiert war; Tatsache ist, daß V. nach seiner Entlassung in der vom Regime unterwanderten Partei einen zuverlässigen Kern zu bilden und Spitzel zu enttarnen versuchte sowie im Juli 1941 die illegale Zeitschrift „Lefteria“ (Freiheit) herausbrachte. Nach der Besetzung des Landes trat er gegenüber den führenden Parteifunktionären, die jetzt aus den Lagern auf den Inseln zurückkehrten, für die Fortsetzung des Krieges in den Bergen ein und bereitete ab November 1941 in Rumelien, dem südlichen Festland, den Widerstand vor. Die Parteiführung, die solche Unternehmungen für verfrüht hielt und V.’ Aktionen mit großer Zurückhaltung beobachtete, gab ihm erst im März 1942 den Auftrag, Partisanengruppen zu bilden, die zu dem am 10. April 1942 ins Leben gerufenen „Ethnikos Laikos Apeleftherotikos Stratos“ (ELAS = Nationale Volksbefreiungsarmee), der militärischen Formation der Volksfrontorganisation „Ethniko Apeleft- herotiko Metopo“ (EAM = Nationale Befreiungsfront) gehören sollten. V., der im Mai 1942 mit ersten Guerillaeinheiten Rumelien durchstreifte, drängte im Gegensatz zur Parteiführung von Anfang an auf einen rücksichtslosen Kampf nicht nur gegen die Besatzungstruppen sowie gegen wirkliche und vermeintliche Kollaborateure, sondern gegen die überkommene Sozialordnung und den ausländischen Einfluß, auch der verbündeten Engländer, in Griechenland; sein Ziel war, mit den kommunistisch geführten Partisanen eine neue politische Ordnung zu etablieren, die nach dem Abzug der Besatzungsmächte und der Abschaffung der Monarchie durch ein Plebiszit in eine kommunistische Herrschaft überführt worden wäre. Rivalisierende nichtkommunistische Widerstandsorganisationen stellte er daher zielstrebiger als die Parteiführung vor die Alternative des Anschlusses an den ELAS oder der gewaltsamen Auflösung. Die Realisierung dieser Konzeption, die in Jugoslawien gelang, scheiterte daran, daß die Parteibürokratie organisatorisch, personell und ideologisch von der Partisanenbewegung in höherem Maße gesondert blieb und ihre politischen Prioritäten (Volksfronttaktik, Rücksicht auf die Alliierten) in ihrem nicht spannungsfreien Verhältnis zu V. durchsetzen konnte. Die ersten militärischen Einsätze des V. richteten sich gegen Griechen (Affäre Maratheas Juni 1942, Überfälle auf Gendarmerie-Posten) und wurden vom Polit-Büro der KPG verurteilt. Nach dem ersten Gefecht gegen Italiener am 9. September 1942 bei Reka im Gionagebirge befahl V. die Erschießung der Gefangenen, da ein Austausch abgelehnt wurde. Nach längerem Zögern erklärte sich V. bereit, an der von der britischen Militärmission geforderten Unterbrechung des deutschen Nachschubs nach Afrika und der geplanten Sprengung des Gorgopotamos-Viaduktes gemeinsam mit den nichtkommunistischen Partisanen des „Ethnikos Dimokratikos Ellinikos Sindesmos“ (EDES = Nationale Demokratische Griechische Vereinigung) unter Napoleon Zervas am 25. November 1942 teilzunehmen, um seinen Rivalen nicht das Feld zu überlassen, lehnte aber sieben Monate später einen Anschlag auf die Asopos-Brücke, da keine Konkurrenz zu befürchten war, als militärisch riskant ab - er wurde von sechs Briten allein ausgeführt. In befreiten Bergregionen organisierte V. die Selbstverwaltung sowie die Volksjustiz auf der Grundlage neuer Rechtsnormen. Schonungslos unterband er ungeregelte Willkürakte einzelner Soldaten; die regulären brutalen Ausschreitungen der Partisanen gegen die Zivilbevölkerung, die dem Ansehen der Widerstandsbewegung und der KPG für immer geschadet haben, führten im Februar 1943 zu einer folgenlosen Konfrontation mit der Parteiführung. Nach der Befreiung rechtfertigte V. in seiner großen Rede am 20. Oktober 1944 die von seinen Bewunderern z.T. noch heute bestrittenen Verbrechen: ,,Ja, wir haben geschlachtet (sfaxame) und sind bereit, wieder zu schlachten, wenn es nötig ist [...] Wir haben die geschlachtet, welche Griechen an die Eroberer verraten, das Volk bestohlen und Verbrechen begangen haben [...] Wenn wir keine Möglichkeit hatten, sie vor Gericht zu stellen, haben wir sie hingerichtet [...].“
Zu neuen Spannungen kam es, als V. am 15. Mai 1943 die republikanische Partisanenorganisation „Ethniki kai Kinoniki Apeleftherosis“ (EKKA = Nationale und Soziale Befreiung) unter Oberst Dimitrios Psarros entwaffnete. Dem Oberkommando des ELAS, das im Mai 1943 organisiert wurde, gehörte V. als „Kapetanios“, d.h. als allgemeiner Führer neben dem militärischen Chef Stefanos Sarafis und dem Parteibeauftragten Andreas Tzimas an. In Übereinstimmung mit der Parteiführung begann V. am 9. Oktober 1943 mit dem Angriff auf den EDES, gegen den er auch die Waffen der nach der Kapitulation Italiens vertragswidrig entwaffneten Pinerolo-Division einsetzte, und fügte sich nur widerstrebend dem Waffenstillstand von Plaka (29.02.1944); im April 1944 rieb er die in die Kooperation mit den Alliierten eingeschlossene EKKA-Formation zur Empörung des Generalsekretärs der KPG, Georgios Siantos, vollständig auf. Ab Juni 1944 führte er auf der Peloponnes einen durch die Intervention des Exilministers Panajotis Kanellopulos abgebrochenen blutigen Rachefeldzug gegen die Sicherheitsbataillone (Tagmata asfalias) durch, die von der Besatzung unterstützt, von der Exilregierung und den Alliierten verurteilt wurden, aber erst infolge der kommunistischen Ausschreitungen Zulauf erhielten. Die Nachgiebigkeit der Parteiführung gegenüber Exilregierung und Alliierten (Libanon-Konferenz 1944, Abkommen von Caserta vom 26.09.1944, Verbot des Einzugs von ELAS- Einheiten ins befreite Athen) verurteilte er ebenso wie die unzweckmäßige militärische Vorbereitung auf den von ihm vorausgesehenen und angestrebten Zusammenstoß mit den Briten und dem loyalen griechischen Militär im Dezember 1944, an dem er wegen der Leitung eines von der Partei angeordneten Feldzugs gegen den EDES in Epirus erst in der Schlußphase des Rückzugs teilnahm. Die zwischen der EAM-Führung und der Regierung geschlossene Übereinkunft von Varkiza am 12. Februar 1945, die der zweiten Runde des Bürgerkriegs ein Ende setzte, lehnte er ab, bezichtigte die Parteiführer in öffentlichen Reden der „Ignoranz und Halbbildung, Arroganz und Blindheit“, der „würdelosen Sklavenhaltung gegenüber den Alliierten“, als „Olympiasieger der Verkommenheit und Unberechenbarkeit“ und „Totengräber der Bewegung“. Um die Einheit der Partei zu wahren, Unterzeichnete er zwar den Befehl zur Demobilisierung des ELAS, zog sich aber mit einer Abteilung Getreuer in die Berge zurück. Nachdem sein Versuch fehlgeschlagen war, den aus einem deutschen KZ zurückkehrenden Nikos Zachariadis, der sofort die Parteileitung wieder übernahm, zu gewinnen, publizierte die Parteizeitung „Rizospastis“ am 12. Juni 1945 seine Verurteilung durch das Plenum des ZK vom 5.-10. April 1945. Von der Partei preisgegeben, von den griechischen Behörden, den Briten und antikommunistischen Gruppen von Dorf zu Dorf gejagt, beging V. Selbstmord.

Literatur

Zografos, A.: O Aris Veluchiotis ke i alithia gia to Gorgopotamo. Athen 1962.
Lagdas, Panos (Hrsg.): Aris Veluchiotis, o protos tu agona (1905-1945). 2 Bde. Athen 1964.
Kotziulas, G.: Otan imun me ton Ari. Anamnisis. 3 Teile. Athen 1965.
Giusas, A.: Aris Veluchiotis. Ke to „matomeno Krikello“. Athen 1972.
Richter, Heinz: Griechenland zwischen Revolution und Konterrevolution (1936-1946). Frankfurt/M. 1973.
Chatzipanagiotis, G. G. (= Kapetanios Thomas): I politiki diathiki tu Ari Veluchioti (Ethniki Ke Kinoniki). Hrsg. Babis D. Klaras. Athen 1975.

Verfasser

Gunnar Hering (GND: 1078119694)

GND: 121657612

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd121657612.html


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Empfohlene Zitierweise: Gunnar Hering, Veluchiotis, Aris, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 4. Hgg. Mathias Bernath / Karl Nehring. München 1981, S. 402-404 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1839, abgerufen am: (Abrufdatum)

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