Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Kanellopulos, Panajotis
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Kanellopulos, Panajotis

Kanellopulos, Panajotis, griechischer Politiker, Soziologe, Historiker und Dichter, * Patras 13.12.1902, Sohn des Apothekers Kanellos K. und der Amalia K., einer Schwester des Dimitrios Gunaris.

Leben

Nach dem Studium in Athen und Heidelberg promovierte K. an der Universität Heidelberg mit einer unveröffentlicht gebliebenen Dissertation über die staatsrechtliche Stellung des griechischen Königs zum Doktor der Rechte, ergänzte seine Studien in München und war dann als Generalsekretär des Wirtschaftsministeriums tätig. Nach der Herausgabe seiner Werke „I kinonia ton Ethnon“ (Der Völkerbund, Athen 1926) und „Kinoniologia ton imperialistikon fenomenon“ (Soziologie der imperialistischen Phänomene, Athen 1927) habilitierte er sich 1929 mit seiner Schrift „Istoria ke kritiki ton kinoniologikon theorion“ (Geschichte und Kritik der soziologischen Theorien, Athen 1929) für das Fach Soziologie. 1930 erschien seine Marxkritik (Karolos Marx). Von 1932 bis 1935 war er Professor für Soziologie in Athen. 1935 schied K. aus der akademischen Laufbahn aus, gründete am 15. Dezember die „Partei der Nationalen Union“ (Ethnikon Enotikon Komma) und widmete sich ganz der Politik. In den inneren Auseinandersetzungen 1935/36 nahm er eine entschieden republikanische Position ein, versuchte aber, mit dem Programm seiner Partei und der Parteizeitung „Elliniki Foni“ (Griechische Stimme) die Gruppierung der politischen Kräfte nach Anhängern und Gegnern des Eleftherios Venizelos zu überwinden und in der Parteiorganisation neue Wege zu gehen (Freitagsseminare, Wahlkreisbetreuung, Partei-Jugendorganisation). Daher wurde er trotz seines Mißerfolges bei den Wahlen vom 26. Januar 1936 (0,77 %) zur Zielscheibe einer heftigen Pressekampagne der KPG. Nach der Errichtung der Diktatur durch Ioannis Metaxas am 4. August 1936 wirkte K. im Untergrund, wurde am 5. Februar 1937 verhaftet und bis zum Kriegsausbruch verbannt (1937 Kythnos, 1938 Thasos, 1939 Karystos). Jetzt entstand die erste Auflage seiner (seit 1966 in neuer, mehrbändiger und noch nicht abgeschlossener Fassung erscheinenden) „Istoria tu evropaiku pnevmatos“ (Geschichte des europäischen Geistes, 2 Bände, Athen 1940/47). Im Juni und Dezember 1939 sowie im August 1940 richtete er eindringliche Memoranden an Metaxas, in denen er nachwies, daß eine auf die Einbindung Deutschlands und Italiens in die friedliche Völkergemeinschaft abzielende Politik illusionär sei; in dem unvermeidlichen Weltkrieg könnten selbst überwältigende Anfangserfolge der Achse an der langfristigen Überlegenheit der westlichen Demokratien nichts ändern; Griechenlands Platz in dieser Auseinandersetzung müsse an der Seite Englands sein. Nach dem italienischen Überfall auf Griechenland meldete er sich am 18. November 1940 als Freiwilliger; an der Albanienfront redigierte er die vierzehntägig erscheinende Truppenzeitung „Achris“ (letzte Ausgabe 6.04.1941). Gegen die Besatzungsmächte organisierte er einen Spionagering, der später als Gruppe „Omiros“ zur Widerstandsorganisation „Theros“ gehörte. Aus der ehemaligen Parteijugendorganisation ging die Widerstandsgruppe PEAN (Patriotiki Enosis Agonizomenis Neoleas) hervor, deren drei Führer in Deutschland hingerichtet wurden. Am 31. März 1942 floh K. in den Mittleren Osten und trat am 2. Mai 1942 in das Exil-Kabinett des Emmanuil Tsuderos als Vizepremier und Chef der drei Kriegsministerien (Heer, Marine, Luftwaffe) unter
 der Bedingung ein, daß die Minister der Metaxas-DIktztm Theologos Nikoludis und Konstantinos Maniadakis aus den Diensten der Regierung entlassen würden; seine Forderung, nach der Befreiung einen Volksentscheid über die Staatsform zu ermöglichen, nahm Tsuderos nur in stark abgeschwächter Formulierung an. K. widmete sich jetzt vor allem der Organisation der Exilstreitkräfte (Bildung der legendären Heiligen Kompanie „Ieros Lochos“ im August 1942 und der Britisch-griechischen Kommission beim britischen Oberkommando im Mittleren Osten im September 1942, Erhaltung einer selbständigen griechischen Luftwaffe). Infolge einer durch politische Konflikte im Militär am 26. Februar 1943 verursachten Insubordinationswelle trat er am 8. März 1943 zurück. Am 8. Juni 1944 wurde er Finanz- und Wiederaufbauminister im Kabinett des Georgios Papandreu. Als erster griechischer Minister begab er sich am 27. September 1944 in das von den Deutschen geräumte Griechenland und verhinderte durch ein provisorisches Übereinkommen mit der kommunistischen Führung des Partisanenheeres ELAS (Ellinikos Laikos Apeleftherotikos Stratos) weiteres Blutvergießen. Am 3. Januar 1945 übernahm er das Marineministerium in der Regierung Papandreu. Die von ihm am 1. November 1945 gebildete Regierung, in der K. auch Marine- und Außenminister war, trat wegen Meinungsverschiedenheiten mit England über die britische Wirtschaftshilfe und die Lösung der Verfassungsfrage am 22. November zurück. Seine wiedererstandene Partei gewann in den Wahlen 1946 sieben Sitze, vereinigte sich 1950 mit 27 aus der Volkspartei ausgetretenen Abgeordneten unter Stefanos Stefano-pulos und trat im August 1951 der Griechischen Sammlungsbewegung unter Marschall Alexandros Papagos bei, dessen Kabinetten K. bis 1955 angehörte. Nach Papagos’ Tod schloß er sich der aus der Sammlung hervorgehenden Nationalradikalen Union (ERE - Ethniki Rizospastiki Enosis) unter Konstantinos Karamanlis an. Mit einer kurzen Unterbrechung 1958, als K. mit 15 Abgeordneten aus Protest gegen den Wahlgesetzentwurf die Regierung zu Fall brachte und mit Konstantinos Tsaldaris die Volkspartei wiederherstellte, gehörte er bis 1963 den ERE-Regierungen an. 1963 wurde er anstelle des aus der Politik ausscheidenden Karamanlis zum neuen Parteichef gewählt. Nach dem Rücktritt des Georgios Papandreu am 14. Juli 1965 unterstützte K. zwar die von König Konstantin II. berufenen Minderheitsregierungen, plädierte aber im Kron- rat und in Memoranden an den König für Neuwahlen, denen er den Weg ebnete, indem er der Regierung Stefanopulos am 20. Dezember 1966 das Vertrauen entzog. Nach einem vergeblichen Versuch, den Konflikt zwischen Papandreu und der geschäftsführenden Regierung des Ioannis Paraskevopulos über die Abgeordnetenimmunität während des Wahlkampfes durch einen Kompromiß beizulegen, bildete er am 3. April 1967 selbst eine Regierung und schrieb für den 28. Mai Neuwahlen aus. Am 21. April 1967 wurden jedoch das parlamentarische Regierungssystem und die legale Regierung durch einen Militärputsch beseitigt. Seither ist K. als Repräsentant der demokratischen Parteien unerschrocken für die Wiederherstellung von Freiheit und Demokratie eingetreten. Seit Kriegsende verfaßte K. eine Reihe literarischer Werke und philosophischer Traktate sowie die zeitgeschichtlichen Abhandlungen: „1935-1945. Enas apologismos“ (1935 bis 1945. Ein Rechenschaftsbericht, Athen 1945), „O ikostos eonas“ (Das 20. Jahrhundert, Athen 1951), „Apo ton Marathona stin Pidna ki os tin katastrofi tis Korinthu“ (Von Marathon bis Pydna und zur Zerstörung von Korinth, 3 Bde, Athen 1963), „Ta chronia tu Megalu Polemu 1939-1944“ (Die Jahre des Großen Krieges 1939-1944, Athen 1964), sowie mehrere Bände der Neuausgabe der Geschichte des europäischen Geistes (1966 ff.). Auszüge aus seinem Kriegstagebuch veröffentlichte Themistoklis Tsatsos unter dem Titel „E paramone tis apeleftheroseos. Isagogi, simiosis ke apospas- mata apo to anekdoto imerologio tu P. Kanellopulu (Athen 1973).

Verfasser

Gunnar Hering (GND: 1078119694)

GND: 11915269X

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd11915269X.html


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Empfohlene Zitierweise: Gunnar Hering, Kanellopulos, Panajotis, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 2. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1976, S. 334-336 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1086, abgerufen am: (Abrufdatum)

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