Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

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Vlora, Ferid Pascha

Vlora, Ferid Pascha (in türkischen Quellen Avlonyalı Ferid Pascha, Ferid Pascha und Mehmed Ferid Pascha), türkischer Staatsmann und Großwesir albanischer Herkunft, * Janina 1851, † San Remo 7.12.1914.

Leben

V. entstammte der angesehenen Adelsfamilie Vlora, die dem Osmanischen Reich eine Reihe von Staatsmännern geschenkt hat; mütterlicherseits gehörte zu seinen Vorfahren Ali Pascha Tepedelenli. Die Grundschule und die Unterstufe des Gymnasiums (rü§diye) besuchte er in Janina; danach trat er in die berühmteste Ausbildungsstätte Janinas ein, das ,,Zosimea“-Gymnasium. Privatlehrer unterrichteten ihn im Arabischen und Persischen und einer der Lehrer des Gymnasiums sieben Jahre lang im Französischen, Italienischen und Griechischen. Als sein Vater Mustafa Nuri Pascha 1867 Mutesarif von Rethymo (Kreta) wurde, erhielt V. dort den Posten eines Gerichtsschreibers; 1870 wurde er Schreiber des Sandschaks Kandia (Iraklion). Als sein Vater nach Mostar versetzt wurde, folgte ihm V. dorthin, ebenfalls als Schreiber. Danach wurde er Schreiber im Kriegsrat von Mostar, 1874 Sekretär in der Sandschakverwaltung von Zvornik und 1875 schließlich Leiter des Sekretariats im Sandschak Gacko. 1877 zum Kaymakam von Trebinje in der Herzegowina ernannt, erhielt er bereits zwei Monate später den Posten des Hauptsekretärs in der bosnisch- herzegowinischen Militärverwaltung. Nachdem Österreich-Ungarn Bosnien okkupiert hatte, kehrte V. nach Istanbul zurück, wo er 1879 Vizekommissar von Ost-Rumelien wurde. 1880 wurde er Justizinspektor in Diyarbekir. Da er große Geschicklichkeit in juristischen und Verwaltungsfragen gezeigt hatte, betraute ihn der Sultan mit Sondermissionen an verschiedenen Plätzen - in der Kommission beim Justizministerium, die das Gerichtswesen in den Sandschaks neu organisierte, in Aleppo, beim Appellationsgericht in Bursa, 1884 in einer Kommission des Staatsrates; 1887 war er Mitglied der Kommission für die Reform der Staatsmonopole, dann in der Kommission für die Reform des Schulwesens, der Kommissionen für die Reform auf den Gebieten der Staatsverschuldung und des Gerichtswesens. 1893 wurde er Mitglied des Staatsrates (§uray-i Devlet) und 1898 Vali von Konya. Da die Valis große Vollmachten in ihren Vilayets hatten, ergab sich für V. die Gelegenheit, sein Organisationstalent unter Beweis zu stellen. Alle Quellen stimmen darin überein, daß er der beste Vali war, den Konya jemals hatte. Er führte eine Verwaltungsreform durch, ergriff strenge Maßnahmen gegen Korruption und Bestechung, eröffnete neue Schulen, gründete Handwerkerschulen, ließ neue Kasernen, öffentliche Gebäude, ein Krankenhaus, einen öffentlichen Park, ein Gymnasium, Straßen und Brücken sowie den Hafen von Antalya errichten. Unter ihm wurden 580000 Dönüm (1 Dönüm = 1210 qm) Land bewässert, er legte eine 20 km lange Wasserleitung für Konya an, ließ die Denkmäler aus der Seldschukenzeit restaurieren usw. Der deutsche Botschafter Marschall von Biberstein war von dem, was er in Konya gesehen hatte, so begeistert, daß er seine Eindrücke dem Sultan mitteilte und ihn zu dem tüchtigen Vali beglückwünschte. Der Schweizer Louis Rambert, der die Osmanische Bank in Istanbul verwaltete, war von dem Realitätssinn, der Intelligenz und den administrativen Fähigkeiten V.s ebenfalls stark beeindruckt und zählte ihn neben Hilmi Pascha zu den fähigsten Leuten des Reiches. Im Volk blieb sein Andenken als Wahrer von Ruhe und Ordnung. 1889 erhielt er den Wesirsrang. Diese Würde bekleidete er bis 1902, als wegen der Ereignisse in Makedonien die Reformkommission für Rumelien (Rumeli Islähat komisyonu) gebildet wurde, deren Vorsitz V. übernahm. In dieser delikaten Position zeigte er viel Geschicklichkeit, was ihm, zusammen mit seinen früheren Erfolgen in Konya, am 15. Januar 1903 den Posten des Großwesirs einbrachte. In dieser Stellung fand V. bald auch Neider, die hofften, sich des höchsten Staatsamtes dadurch zu bemächtigen, daß sie ihm häufige Zusammenkünfte mit dem deutschen und mit dem österreichischen Botschafter Johann Markgraf von Pallavicini vorwarfen; andere führten an, ein „Arnaut“ könnte nicht Großwesir des Osmanischen Reiches sein usw. In einigen Quellen kann man lesen, daß der Sultan V. unter dem Einfluß des deutschen Botschafters zum Groß wesir ernannte. In der Tat führte V. eine prodeutsche Außenpolitik und bemühte sich, Deutschland und Österreich in ihren Bemühungen um wirtschaftlichen und finanziellen Einfluß zu unterstützen. Er genoß dabei die volle Unterstützung Sultan Ahdülhamids II., der ein großer Freund Deutschlands war. Trotz aller Anstrengungen und seiner überragenden Begabung auf dem Gebiet des Verwaltungs-, Justiz- und Finanzwesens war V. nicht in der Lage, größere Veränderungen durchzuführen. Das erlaubte die schwierige innen- und außenpolitische Situation des Reiches nicht, das sich in der Phase des Zerfalls befand. Außerdem wurde seine Tätigkeit auch dadurch behindert, daß der Sultan sich in alle Fragen der Innen- und Außenpolitik einmischte und alle Ernennungen vom Hofe vorgenommen wurden. Außerdem war V. ständig von Agenten und Spionen umgeben, die ihn beim Sultan anschwärzten. Er widersetzte sich häufig den Anordnungen des Sultans und bot mehrmals seinen Rücktritt an, der jedoch nicht angenommen wurde. Erst am 4. Juni 1908 wurde er abgelöst. Einigen Quellen zufolge war der Grund dafür, daß er die Versammlung von Ferizovic (heute Urosevac) erlaubt hatte, auf der die Albaner die Wiedereinführung der Verfassung gefordert hatten. Im März 1909 wurde V. zum Mitglied des Oberhauses (Meclis-i äyan) gewählt und gleich danach zum Stellvertreter des Valis von Aydin ernannt. Anläßlich dieser Ernennung wurde er im Parlament heftig vom Abgeordneten von Korga Mufid Bey Lihohova angegriffen, weil er angeblich den Absolutismus des Sultans und die Deportation vieler Sultansgegner unterstützt hatte. Im Mai 1909 übernahm er das Innenministerium, trat jedoch bereits nach zwei Monaten wieder zurück. Als am 23. Juli 1912 Gazi Ahmed Muhtar Pascha seine Regierung bildete, bot er ihm wiederum den Posten des Innenministers an, den V. jedoch ablehnte. Am 2. August 1912 übernahm er dafür den Vorsitz im Oberhaus. Ende Januar 1913 trat er von diesem Posten zurück und reiste nach Ägypten, um an der Hochzeit seines Sohnes Xhelaludin Bey mit der Tochter des Khediven Ahhas Hilmi Pascha teilzunehmen. Nach der Rückkehr nach Istanbul reiste er zur Kur nach Europa. Als Prinz Wied Fürst von Albanien wurde, bot er V. mehrmals, aber vergeblich, den Posten des albanischen Ministerpräsidenten an. Der österreichisch-ungarische Botschafter in Istanbul Pallavicini hatte bereits 1912 V. als geeignetste Persönlichkeit für den Posten eines albanischen Regierungschefs vorgeschlagen, dieser aber mit Hinweis auf seinen Gesundheitszustand abgelehnt und weil er es als Verrat am Osmanischen Reich betrachtete, ein solches Amt zu übernehmen. Obwohl er Albaner war und auch Kontakte zu albanischen Nationalisten wie Dervish Hima unterhielt, vermochte er die Entwicklung der Dinge auf dem Balkan nicht mehr zu verstehen. Er glaubte bis zuletzt an die Fortexistenz des Osmanischen Reiches, in dessen Rahmen das albanische Volk zu bleiben hätte. V. starb am 7. Dezember 1914 in San Remo in Italien an Herzschlag; bestattet wurde er in Valona, Albanien.
Interessant ist die Biographie von V.s Sohn Xhelaludin Pascha Vlora (* Istanbul 1886). Dieser war Beamter im osmanischen Außenministerium; 1909 wurde er zweiter Sekretär der osmanischen Botschaft in Paris und danach hoher Funktionär im Vilayet Rumelien. 1913 heiratete er in Kairo die Tochter des Khediven Abbas Hilmi Pascha, von der er sich nach neun Jahren wieder trennte. Während des Zweiten Weltkrieges war er in Valona in Albanien. Von Graf Ciano wurde er zur Übernahme eines hohen Staatsamtes aufgefordert, was er jedoch ablehnte. Dann reiste er über Italien nach Nordamerika, kehrte aber bereits nach wenigen Monaten nach Valona zurück. Gegen Kriegsende lernte er Julian Amery und Harold MacMillan kennen, die mit einer britischen Militärmission mit dem Fallschirm über Albanien abgesprungen waren. 1944 ermöglichte ihm der deutsche Militärbefehlshaber von Albanien die Flucht nach Wien. Von dort ging er in die Schweiz und nach Kriegsende nach Kairo. Wenn man seinen Memoiren glauben darf, überredete er den ägyptischen Prinzen Amr Ibrahim, die albanischen politischen Emigranten von Italien und Griechenland nach Ägypten zu übersiedeln. Nach Nassers Machtergreifung übersiedelte Xhelaludin von Kairo in die Türkei, wo er 1970 noch lebte und seine Memoiren diktierte. Ohne Pension und irgendwelche Einnahmen lebte er dort in sehr armseligen Verhältnissen.

Literatur

Rambert, Louis: Notes et impressions de Turquie. L’Empire ottoman sous Abdul Hamid II (1895-1905). Genf, Paris [o.J.].
Inal, Ibnülemin Mahmud Kemal: Son Sadrazamlar. Heft 10-11. Istanbul 1949-1950.
Tansu, Samih Nafiz: Medalyanın Tersi. Anlatan: Sadrazam Avlonyalı Ferid paşanın oğlu Celaleddin paşa (Vlora). Istanbul 1970.

Verfasser

Hasan Kaleshi (GND: 1084144948)


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Empfohlene Zitierweise: Hasan Kaleshi, Vlora, Ferid Pascha, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 4. Hgg. Mathias Bernath / Karl Nehring. München 1981, S. 428-430 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1853, abgerufen am: (Abrufdatum)

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