Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Murad I.
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Murad I.

Murad I., osmanischer Sultan 1360-1389, * 1326/1327, † Kosovo Polje 15.06.1389, Sohn Orhans und der byzantinischen Prinzessin Nilüfer Hatun.

Leben

In den osmanischen Quellen wird M. auch Hudāwendigar bzw. Gāzī Hunkār und in den europäischen Quellen Amurath genannt. Dem Alter nach soll er der vierte der sechs Söhne Orhans gewesen sein. Ursprünglich von seinem Vater nicht für die Thronfolge ausersehen, brachte der frühzeitige Tod des Thronprätendenten, seines Bruders Süleyman (1357 oder 1359), M. auf den Thron Osmans. Als Sandschakbey von Önü und Bursa nahm M. noch unter dem Oberbefehl seines Bruders Süleyman an dessen Eroberungszügen in Thrakien teil und nach dem Tode Orhans wurde M. angeblich mit Unterstützung der Ahī-Bruderschaft den drei anderen noch lebenden Söhnen Orhans vorgezogen und zum Sultan ausgerufen. Daß die Thronbesteigung M.s nicht ohne innere Wirren vor sich gegangen war, beweist die Tatsache, daß M. Ankara neuerlich erobern mußte. Auch die Umgebung von Eskişehir mußte neu abgesichert werden, wobei in diesem Zusammenhang die Liquidation der Brüder erwähnt wird. In Thrakien war die Situation der kleinasiatischen Lage ähnlich: Burgaz, Çorlu und Malkara waren von den Byzantinern genommen worden und mußten wieder zurückerobert werden. M. konnte bei diesen Unternehmungen mit der Hilfe und Unterstützung der bedeutendsten Truppenführer wie Lala Şahin  Pascha, Kara Halil Hayreddin, Evrenoz Bey und Haci Ilbeği rechnen, was ihm bei der Durchführung der kriegerischen Vorhaben auch die Loyalität der Truppen sicherte. Um die wiedergewonnenen oder neueroberten Gebiete in Thrakien auch innen abzusichern, veranlaßte M. die Ansiedlung von Türken aus Anatolien in den besagten Gebieten, bzw. die Umsiedlung unsicherer nichttürkischer Volkselemente nach Anatolien. Nach der Eroberung weiter Teile Westthrakiens wurde der Angriff auf Edirne beschlossen und mit dessen Durchführung Lala Şahin Pascha betraut. Die verbündeten byzantinischen und bulgarischen Truppen suchten die Entscheidung in der Feldschlacht und wurden bei Sazlıdere, südöstlich von Edirne, von Lala Şahin  Pascha geschlagen. Nach dieser Niederlage ergab sich Edirne widerstandslos (Juli 1362). Dieser Westvorstoß des osmanischen Heres endete 1363/64 in Maricatal mit der Eroberung von Plovdiv (Filibe). Nun wurden sich die Herrscher der umliegenden Länder der Gefahr bewußt, die ihnen von M. drohte, und es kam auf Betreiben des Papstes Urban V. zu einem Bündnis zwischen Ungarn, Serbien, Bosnien und der Walachei sowie zum Kreuzzug wider die Osmanen. Die vereinigten Heere zogen gegen Edirne. Die verzweifelte Situation rettete Hacı Ilbeği, indem er zwei Tagmärsche vor Edirne das christliche Heer in einem Nachtangriff vernichtend schlug (1363, nach anderen Quellen 1364). In den folgenden Jahren wurden die Eroberungen in Bulgarien erweitert und Zar Ivan Šišman versuchte durch freundliches Entgegenkommen (indem er M. seine Schwester Mara (Tamara) zur Frau gab) für sich zu retten, was noch möglich war. Im nächsten Treffen mit den serbischen Truppen (unter Führung der Brüder Vukašin und Uglješa Mrnjavčević) bei Čirmen (Cernomen) an der Marica (26.09.1371) blieben die Osmanen ebenfalls siegreich und eröffneten sich durch die Eroberung von Kavala und Seres den Zugang nach Makedonien. Im Verlaufe dieser Unternehmungen ist auch Saloniki angeblich gefallen, aber wieder geräumt worden (widersprechende Berichte). Die Besetzung Makedoniens war vollzogen worden und Lazar von Serbien mußte sich als Nachbar zu Tributleistungen und Heeresfolge verpflichten (1374). Die neueroberten Gebiete wurden schon unmittelbar nach der Eroberung in das osmanische Lehenssystem einbezogen, und in den Städten wurde die Islamisierung und Türkisierung zielbewußt vorangetrieben. Im Jahre 1374 kann die erste Periode osmanischer Eroberungen auf dem Balkan als abgeschlossen betrachtet werden. Auch in Anatolien verstand M. seinen Herrschaftsbereich durch „sanften Druck“  und „Kauf“ zu erweitern: Städte und Gebiete von Akşehir , Yalvaç, Yenişehir  und Eğridir gerieten in M.s Machtbereich. 1380 zog M. wieder gegen die Balkanstaaten zur zweiten Eroberungsperiode aus. Die Stoßrichtungen waren einerseits Sofia-Niš und im Westen der Balkanhalbinsel Bitola und Ohrid. Sofia fiel 1382 (oder 1385) in osmanische Hände und auch Niš muß in dieser Zeit gefallen sein (manchen Berichten zufolge vor dem Fall von Sofia, was kaum wahrscheinlich ist). 1385 waren auch Bitola und Ohrid eingenommen. Zeitlich nicht gesichert ist der Ablauf einer inneren Krise im Osmanischen Reich, die durch die Erhebung Savcıs, eines Sohnes M.s, gegen den Vater ausgelöst wurde. M. gelang es, ohne besonderen Widerstand anzutreffen, den Sohn gefangenzunehmen, ihn zu blenden und zu töten (1385?). Den Feldzug, den M. in Kleinasien gegen seinen Schwiegersohn Alaeddin Bey von Karaman zur Wahrung seiner Interessen 1387 unternommen hatte, endete mit der Niederlage Alaeddin Beys vor Konya und dessen Unterwerfung. Während sich die christlichen Herrscher des Balkan, Lazar von Serbien, Tvrtko I. von Bosnien und Skanderbeg von Albanien (heimlich auch Ivan Šišman von Bulgarien) gegen die Osmanen zusammenschlossen, streiften osmanische Truppen unter Lala Şahin Pascha in Bosnien und erlitten bei Trebinje ihre erste Niederlage (1387). Zur selben Zeit gelang es Ali Pascha Çandarlızade, die Eroberung Bulgariens erfolgreich fortzuführen. 1388 hatte er Bulgarien bis zur Donau und bis Pirot unterworfen, und Ivan Šišman mußte sich bedingungslos ergeben. Nun glaubte M., den verbündeten Balkanherrschern entgegentreten zu müssen. Das osmanische Heer zog unter seinem Kommando über Ihtiman, Sofia und Kjustendil nach Kratovo, wo eine Lagebesprechung des Sultans und der Truppenführer stattfand und der Angriff endgültig beschlossen wurde. M., der alle verfügbaren Kräfte in seinem Heer zusammengefaßt hatte, traf auf dem Amselfeld (Kosovo Polje) auf das Heer der verbündeten Balkanfürsten, das den Kampf annahm. Zahlen über die Heeresstärken sind nicht bekannt, doch soll das Heer der verbündeten christlichen Fürsten stärker gewesen sein. Im Zentrum des osmanischen Heeres stand M. und ihm gegenüber König Lazar, auf dem rechten osmanischen Heeresflügel kommandierte der Sohn M.s, Bayezid, ihm gegenüber stand Tvrtko von Bosnien, und auf dem linken Flügel der Osmanen befehligte der zweite Sohn M.s, Yaqub, der als Gegenüber den Schwiegersohn Lazars, Vuk  I. Branković hatte. Nur für kurze Zeit war der Ausgang der Schlacht ungewiß, als der linke osmanische Heeresflügel in Auflösung geriet. Doch das Eingreifen des Prinzen Bayezid rettete die Situation. Nach achtstündigem Kampf war das christliche Heer besiegt und König Lazar tot. Auch M. wurde unmittelbar nach der Schlacht von dem Serben Miloš Obilić erstochen. Die Schilderungen dieses Ereignisses weichen in den Details sehr voneinander ab, doch stimmen sie in der Feststellung, daß M. von Miloš Obilić erstochen wurde, überein. Als Datum der Schlacht bzw. des Todes M.s wird neben dem allgemein angenommenen 15. Juni 1389 (a. St.) auch der 8. und 28. August 1389 genannt. Die Leiche M.s wurde auf dem Amselfeld beigesetzt und erst später mit dem Leichnam seines Sohnes Yaqub, den Sultan Bayezid I. gleich nach dem Tode M.s beseitigen ließ, um seine Thronansprüche zu sichern, nach Bursa überführt und in seinem Mausoleum beigesetzt. Obwohl viele Ereignisse aus der Zeit M.s unbekannt geblieben sind und die Zeitfolge der bekannten Vorfälle oft nicht gesichert ist, so beweisen allein die ereignishaft feststehenden Berichte die Bedeutung, die M. in der Reihe der osmanischen Sultane einnimmt. Er führte das kleine ererbte Fürstentum aus der politischen Bedeutungslosigkeit zu einer Staatsmacht und organisierte Heer und Verwaltung derartig, daß es mit ihrer Hilfe möglich war, Sicherung und Funktion des Staates zu gewährleisten. Eine der Maßnahmen von größter Tragweite war die Gründung des Janitscharenkorps, die man heute einstimmig M. zuspricht, und die er unter der Beratung Kara Halil Hayreddins vollzogen haben soll. Ebenso geht auf ihn die Einführung der Pencik-Abgabe zurück, die besagte, daß ein Fünftel jeglicher Kriegsbeute dem Sultan zustehe, wodurch die Begründung eines gewissen Staatsschatzes und damit die Erhaltung feststehender Truppen (Janitscharen) ermöglicht wurde. Auch die Einführung des Amtes des Heeresrichters (Kadiasker) verordnete M. und betraute als ersten mit dieser Würde Kara Halil Hayreddin. In einem angeblich neuen Gesetz soll M. auch die Organisation des Lehenssystems den neuen Verhältnissen angepaßt haben. M. gehörte noch in das Heldenzeitalter der osmanischen Geschichte, und seine Persönlichkeit und Herrschaft haben selbst in den ältesten Quellen idealisierende Verformungen erfahren, die die Sicherung historischer Fakten äußerst erschweren und teilweise unmöglich machen.

Literatur

Giese, Friedrich (Hrsg.): Die altosmanischen anonymen Chroniken. T. 2: Übersetzung. Leipzig 1925.
Wittek, Paul: The Rise of the Ottoman Empire. London 1958.
Kreutel, Richard F.: Vom Hirtenzelt zur Hohen Pforte. Graz, Wien, Köln 1959. = Osmanische Geschichtsschreiber. 3.
Uzunçarşılı, Ismail Hakkı: Murad I. In: Islam Ansiklopedisi. Bd 8. Istanbul 1957, 587-598.
Kreutel, Richard F.: Leben und Taten der türkischen Kaiser. Wien, Graz, Köln 1971. = Osmanische Geschichtsschreiber. 6.
Inalcık, Halil: The Ottoman Empire. London 1973.
Shaw, Stanford J.: History of the Ottoman Empire and Modern Turkey. Bd 1. Cambridge 1977 (Reprint).

GND: 122922778

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd122922778.html


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Empfohlene Zitierweise: Anton Cornelius Schaendlinger, Murad I., in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 3. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1979, S. 245-248 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1404, abgerufen am: (Abrufdatum)

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