Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Malinov, Aleksandŭr Pavlov
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Malinov, Aleksandŭr Pavlov

Malinov, Aleksandŭr Pavlov, bulgarischer Staatsmann, * Pandakly (Bessarabien) 21.04.1867, † Sofia 20.03.1938, Sohn eines bulgarischen (?) Kaufmanns.

Leben

M. absolvierte in Bolgrad (Ukraine) das Gymnasium und studierte in Kiev Jura. In Bulgarien schloß er sich der „Demokratischen Partei“ an, die er ab 1900 ununterbrochen im Parlament vertrat. Nach dem Tode von Petko Karavelov wurde er demokratischer Parteichef (1902). Die Demokratische Partei stellte eine „eigentümliche Linke“ unter den bürgerlichen Parteien dar (Ilčo Dimitrov): Da sie am nachdrücklichsten eine parlamentarisch-demokratische Regierungsweise, eine progressive Wirtschafts-, Sozial- und Bildungspolitik sowie eine unabhängige, mehr „westlich“ orientierte Außenpolitik propagierte, war sie besonders dazu geeignet, als eine „bürgerliche Reserve“ zu fungieren, die dann mit der Regierung betraut wurde, wenn es galt, eine für das „bürgerlich-monarchische“ System bedrohliche Entwicklung durch eine „Öffnung nach links“ aufzufangen. Der Parteiführer M. spielte dann die Rolle eines „Retters“ (spasitel) und „Einigers“ (obedinitel) der Nation. Erstmalig wurde M. am 16. Januar 1908 von Fürst Ferdinand mit der Entschärfung einer Krisensituation betraut. Sein Kabinett stellte den Universitätsbetrieb in Sofia wieder her und führte noch andere stabilisierende Maßnahmen durch. Auch sorgte er für gewisse liberale Änderungen im Verfassungsrecht. Im übrigen aber griff er zu denselben einem demokratischen Programm widersprechenden Regierungspraktiken zurück wie seine Vorgänger. - Nach der Unabhängigkeitserklärung und der Annahme des Zarentitels durch Ferdinand (22.09.1908) drängte die Regierung auf einen Krieg gegen die Türkei, um durch die Schaffung eines Großbulgariens u. a. „die ökonomische Entwicklung (des Landes) zu fördern“ (Malinov). Am 16. März 1911 mußte das Kabinett M. der Regierung Gešov Platz machen, die zum angestrebten Abschluß eines Bündnisses mit Rußland und Serbien geeigneter erschien. Als der Erste Weltkrieg sich für Bulgarien ungünstig entwickelte, ernannte Ferdinand die ententefreundliche Koalitionsregierung Malinov-Kosturkov (21.06.1918), die jedoch den Krieg auf seiten der Mittelmächte fortsetzte, da sie von der Entente keine Garantie der erworbenen Gebiete erhielt. Erst nach dem Zusammenbruch der bulgarischen Front und angesichts des Soldatenaufstandes im September 1918 sah sie sich zum Abschluß eines Waffenstillstandes mit der Entente gezwungen (Saloniki 29.09.1918). Nach der Abdankung Ferdinands (03.10. 1918) konnte sie sich trotz Aufnahme von Agrariern und Breitsozialisten in die Koalition (17.10. 1918) nur noch bis zum 28. November 1918 halten. Mit einem Protest gegen die Übergabe der Süddobrudscha an Rumänien durch die Entente trat sie zurück. Gegen die bürgerfeindliche Agrarierregierung Stambolijski (1919-1923) führte M. seine Partei in den oppositionellen „Konstitutionsblock“ ein (1922). Nach dem Sturz Stambolijskis durch den Putsch vom 9. Juni 1923 beteiligte sich M. nicht am konservativen Regierungsblock von Aleksandŭr Cankov, der „Demokratischen Eintracht“ (Demokratičeski Sgovor), sondern hielt sich mit einem Teil der Demokraten dem Zaren Boris III. als „bürgerliche Alternative“ bereit. M.’s Stunde kam, als Ende der 20-er Jahre die „Demokratische Eintracht“ u. a. mit der Wirtschaftskrise nicht fertig wurde und eine radikale Linksschwenkung der Bauern und anderer unzufriedener Bevölkerungskreise drohte. Der Versuch M.s, im Auftrage des Königs die Demokraten und die konservative „Demokratische Eintracht“ in einer Koalition zusammenzubringen, scheiterte zwar. Stattdessen gelang ihm jedoch die Bildung des oppositionellen „Volksblocks“, der Demokraten, einen Teil der Agrarier, die Nationalliberalen Georgi Petrovs und die Radikale Partei vereinte. Am 21. Juni 1931 gewann der „Volksblock“ die freiesten Wahlen in der bulgarischen parlamentarischen Geschichte und löste am 29. Juni 1931 die Regierung der „Demokratischen Eintracht“, die seit 1926 unter der Führung Andrej Ljapčevs stand, ab.
M. wurde Chef des ersten Volksblock-Kabinetts. Doch zog er sich schon bald aus der vordersten Schußlinie zurück (u. a. wegen seiner Unbeliebtheit bei der IMRO): Am 15. Oktober 1931 übergab er das Amt des Ministerpräsidenten seinem engsten Mitarbeiter Nikola Mušanov und übernahm das Amt des Parlamentspräsidenten, das er bis zum Mai 1934 innehatte. In dieser neuen Stellung und in seiner Eigenschaft als Parteiführer der Demokraten bestimmte er auch weiterhin die Politik des „Volksblocks“ mit. Die Regierung des „Volksblocks“ verlief jedoch enttäuschend: Infolge ihrer personellen und programmatischen Heterogenität wirkte sich der liberal-parlamentarische Regierungsstil eher verhängnisvoll aus. Die Regierung erwies sich als unfähig, die entscheidenden Probleme Bulgariens (Bewältigung der Wirtschaftskrise, Bekämpfung der IMRO, Durchbrechung der außenpolitischen Isolation Bulgariens auf dem Balkan) wirksam anzupacken. Allerdings war auch die ihr gebotene Chance zur „Rehabilitierung“ der parlamentarisch-demokratischen Regierungsweise relativ kurz. Schon am 19. Mai 1934 wurde sie durch einen Offiziersputsch gestürzt. Trotz seiner beharrlichen Forderung nach Rückkehr zum freiheitlichen Parlamentarismus zeigte sich M. gegenüber dem Regime vom 19. Mai und gegenüber der (1935 errichteten) Diktatur des Zaren Boris III. zu Kompromissen bereit. Hierbei spielte sein gutes persönliches Verhältnis zum Zaren eine wichtige Rolle (M. war Pate der Zarentochter). Dem Bemühen des Zaren um ein stabileres Regierungssystem unter seiner Führung kam M. durch die Propagierung eines „Kabinetts der nationalen Vereinigung“ entgegen, in dem nicht die Parteien, sondern das Staatsoberhaupt die oberste Kontrolle hat. Projekte dieser Art wurden auf den vom Zaren inspirierten Beratungen der bürgerlichen Oppositionsführer im Hause M.s (im November 1935) erörtert; ein breiter Zusammenschluß der bürgerlichen Politiker, der dem Zaren als Voraussetzung für eine Alternative zur Diktatur hätte geboten werden können, scheiterte jedoch. So blieb es bei dem „persönlichen Regime“ des Zaren mit allein von ihm eingesetzten Beamtenkabinetten. Daß der Zar sein Regime mit einigen Elementen der parlamentarischen Demokratie verband, war auch dem Drängen M.s zu verdanken. Im März 1937 wurden Kommunalwahlen, ein Jahr später Parlamentswahlen durchgeführt. Mitten in einer Wahlrede, die er in Sofia am 20. März 1938 anläßlich der bevorstehenden Parlamentswahlen hielt, ereilte M. der Tod. Seine Rede stellte „eine offene Entlarvung der faschistischen Diktatur und eine tapfere Verteidigung der Konstitution von Tŭrnovo“ dar und durfte deshalb nicht gedruckt werden (vgl. Ilčo Dimitrov). M.s Beerdigung, an der 20 000 Menschen teilnahmen, wurde zu einer machtvollen Demonstration der Gegner der Diktatur.

Literatur

Malinov, Aleksandŭr: Stranički ot našata nova istorija. Spomeni. Sofija 1938.
Rothschild, Joseph: The Communist Party of Bulgaria. Origins and Development 1883-1936. New York 1959.
Istorija: Bd 2 u. 3, passim.
Dimitrov, Ilčo: Bŭlgarskata demokratična obštestvenost, fašizmŭt i vojnata 1934-1939. Sofija 1972. = God. Sof. Univ., filos.-ist. Fak. 64 (1970) 2.

Verfasser

Hans-Joachim Hoppe (GND: 143931040)


GND: 119428636

Weiterführende Informationen: https://prometheus.lmu.de/gnd/119428636

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Empfohlene Zitierweise: Hans-Joachim Hoppe, Malinov, Aleksandŭr Pavlov, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 3. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1979, S. 82-84 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1286, abgerufen am: (Abrufdatum)

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