Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Dimitrijević, Dragutin T.
Bild: Wikimedia Commons
Wikidata: Q441659

In den Suchergebnissen blättern

Treffer 
 von 1526

Dimitrijević, Dragutin T.

Dimitrijević, Dragutin T. (genannt Apis), serbischer Generalstabsoberst, * Belgrad 17.08.1876, † Saloniki 26.06.1917, Sohn eines Handwerkers.

Leben

D. zählt ohne Zweifel zu den markantesten und gleichzeitig umstrittensten Gestalten in der Geschichte Serbiens zu Beginn des 20. Jh.s. Dank seines Rückhaltes im Offizierskorps der Armee und seiner beachtlichen konspirativen Fähigkeiten hat er zwischen 1903 und 1917 als Drahtzieher hinter den Kulissen wiederholt einen entscheidenden Einfluß auf die Geschicke seiner Heimat nehmen können. Mit seinem Namen sind die für die serbische Geschichte schicksalhaften Daten von 1903 und 1914 ebenso verbunden wie die Modernisierung der serbischen Heeresorganisation, die terroristischen Umtriebe der „Schwarzen Hand“ (Crna Ruka) und innenpolitische Krisen (Prioritätsstreit des Jahres 1914). Er war ein geborener Verschwörer, von einer bewunderungswürdigen Prinzipientreue und Ausdauer in der Verfolgung seiner Ziele, aber skrupellos in der Wahl der Mittel. Als glühender Patriot hatte er sich schon von Jugend an der Verwirklichung der großserbischen Idee verschrieben. Er träumte von Serbien als dem balkanischen Piemont und von einer staatlichen Zusammenfassung sämtlicher Südslawen unter der Führung Belgrads.
D. hatte nach dem Besuch des Gymnasiums in Niš und Belgrad mit dem Eintritt in die Belgrader Militärakademie im Jahre 1892 eine hoffnungsvolle Karriere als Generalstabsoffizier begonnen. Schon bald mußte er von seinen politischen Idealen her in einen Gegensatz zum autokratischen Regime des Aleksandar Obrenović geraten, dessen politische und private Eskapaden ihn in den Augen aufrichtiger serbischer Nationalisten immer mehr diskreditierten. D. übernahm als junger Hauptmann eine führende Rolle in der Vorbereitung jener Offiziersverschwörung, die in der Nacht vom 10. Juni (28.05.) auf den 11. Juni (29.05.) 1903 auf brutale Weise dem Regime des letzten Obrenović ein Ende bereitete und Petar Karadjordjević den Weg zum Thron ebnete. Bei der Durchführung des Attentats wurde D. durch mehrere Pistolenschüsse schwer verletzt. Trotz gewisser Schwierigkeiten, mit denen die „Königsmörder“ aus innen- wie außenpolitischen Rücksichtnahmen in der Folgezeit zu rechnen hatten, konnte er unter der neuen Dynastie seine militärische Karriere weiter ausbauen (1910-1914 Taktiklehrer an der Belgrader Militärakademie, 1909-1910 Bataillonskommandeur in Kragujevac, 1910-1912 Stabschef einer Kavalleriedivison in Belgrad). Im Mai 1911 trat er der eben gegründeten Geheimorganisation „Ujedinjenje ili smrt“ („Einheit oder Tod“, bekannter unter dem Namen „Crna Ruka“ - „Schwarze Hand“) bei, die sich hauptsächlich aus Angehörigen des Offizierskorps rekrutierte, eine irredentistische Propaganda in Mazedonien, Altserbien, Bosnien und Herzegowina entfaltete und in wachsendem Maße auch terroristische Anschläge organisierte. Als Leiter des Nachrichtenbüros beim Generalstab (1913-1915) verfügte D. über eine Vielzahl von Möglichkeiten, aus dem Hintergrund derartige Einzelaktionen zu koordinieren.
D. hatte sich persönlich in die diplomatische und militärische Vorbereitung der Balkankriege eingeschaltet (Geheimmission zum Albanerführer Isa Buletini) und bei der Durchführung des Attentats von Sarajevo gegen den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand mitgewirkt. Auseinandersetzungen um innenpolitische Fragen am Vorabend des Kriegsausbruches (Abgrenzung von Zivil- und Militärverwaltung in den neugewonnenen Gebieten Mazedoniens = sog. Prioritätsstreit, Vorwurf der Korruption gegen die Regierung Pašić) trugen zu einer wachsenden Entfremdung zwischen den Militärkreisen um D. und der politischen Führung des Landes bei und hatten den Rücktritt des Königs Petar im Juni 1914 zur Folge. Der Prinzregent Aleksandar benutzte die turbulenten Kriegsereignisse (Rückzug der serbischen Armee und Evakuierung auf Korfu) zu einem weitgehenden Revirement der Führungsspitze des Heeres und zu einer Ausschaltung der opponierenden Offiziersgruppen. D. verlor seinen Posten als Chef der Nachrichtenabteilung und wurde im Oktober 1916 als Stellvertreter des Stabschefs zur III. Armee abkommandiert, die seinem persönlichen Feind Miloš Vasić unterstand und 1916/17 unter dem Oberbefehl des französischen Generals Maurice Sarrail an der Salonikifront im Einsatz war. Die Regierung und der Prinzregent bedienten sich einer rivalisierenden Offiziersgruppe, der sog. „Weißen Hand“ (Bela ruka), zur endgültigen Abrechnung mit dem unbequemen D. Am 28. Dezember 1916 wurde er überraschend durch den Ortskommandanten von Saloniki, Oberst Milan Dunjić, in der Ortschaft Ostrovo verhaftet und zusammen mit anderen Offizieren vor ein Militärgericht gestellt. Die Anklage lautete auf Zugehörigkeit zu einer terroristischen Organisation, Hochverrat (angebliche Verhandlungen mit dem Feind), Attentatsversuch auf den Prinzregenten (ungeklärter Vorfall vom 11.09.1916 in Ostrovo), Aufruf zur Meuterei und Staatsstreichpläne. In einem dreimonatigen Verfahren vor dem Militär-Obergericht (Offiziersgericht), das zum Teil von persönlichen Feinden der Angeklagten besetzt war, ist D. im Sinne der Anklage für schuldig befunden und am 5. Juni 1917 zum Tode verurteilt worden. Der oberste Militärgerichtshof als Revisionsinstanz verwarf am 18. Juni 1917 eine Nichtigkeitsbeschwerde. Vergeblich hatten sich englische und russische Stellen um eine Amnestie bemüht. Am frühen Morgen des 26. Juni 1917 wurde D. zusammen mit Major Ljubomir Vulović und Rade Malobabić bei Saloniki erschossen.
Die nicht der Radikalen Partei angehörenden drei Mitglieder des Kabinetts Pašić stellten aus Protest über die Prozeßführung am 9. Juli 1917 ihre Ämter zur Verfügung. Die Hintergründe und Begleitumstände dieses aufsehenerregenden Saloniki- Prozesses von 1917 haben die nach Kriegsende einsetzenden Kriegsschuld-Diskussionen wiederholt beschäftigt. D. ist 3⅟₂ Jahrzehnte später in einem Revisionsverfahren vor dem obersten Gerichtshof der Volksrepublik Serbien (2.-13.06.1953) rehabilitiert worden.

Literatur

Boghitchévitch, M.: Le procès de Salonique, juin 1917. Paris 1927.
Ders.: Le Colonel Dragoutine Dimitriévitch Apis. Paris 1928.
Szántó, Alexander: Apis, der Führer der „Schwarzen Hand“. Ein Beitrag zum Kriegsschuldproblem. Berlin o. J. [1928]. = Völker in Not. 4.
Pribitchévitch, Svetozar: La dictature du roi Alexandre. Paris 1933.
Nešković, Borivoje: Istina o Solunskom procesu. Beograd 1953.
Živanović, Milan Ž.: Solunski proces 1917 godine. Prilog za proučavanje političke istorije Srbije od 1903 do 1918 god. Beograd 1955.
Uebersberger, Hans: Österreich zwischen Rußland und Serbien. Zur Südslawischen Frage und der Entstehung des Ersten Weltkrieges. Köln, Graz 1958.
Živanović, Milan Ž.: Likvidacija organizacije „Ujedinjenje ili smrt“. In: Ist. Čas. 9 (1959) 487-507.
Dedijer, Vladimir: The road to Sarajevo. New York 1966 (serbokroatische Ausgabe: Sarajevo 1914. Beograd 1966; deutsche Ausgabe: Die Zeitbombe. Sarajewo 1914. Wien, Frankfurt, Zürich 1967).

Verfasser

Edgar Hösch (GND: 105823724)

GND: 118904248

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd118904248.html


RDF: RDF

Vorlage (GIF-Bild):  Bild1   Bild2   Bild3   

Empfohlene Zitierweise: Edgar Hösch, Dimitrijević, Dragutin T., in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 1. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1974, S. 403-405 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=734, abgerufen am: (Abrufdatum)

Druckerfreundliche Anzeige: Druckerfreundlich

Treffer 
 von 1526
Ok, verstanden

Website nutzt Cookies, um bestmögliche Funktionalität bieten zu können. Mehr Infos