Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Calvin, Johann
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Calvin, Johann

Calvin, Johann (eigentl. Jean Cauvin), französisch-schweizerischer Reformator, *Noyon (Picardie) 10.07.1509, † Genf 27.05. 1564, Sohn des Generalprokurators des Domkapitels zu Noyon.

Leben

Nach humanistischen Studien in Paris widmete sich C. der Rechtswissenschaft in Orléans und Bourges, wo er auch seine theologische Bildung erwarb. Er kam schon früh mit reformatorischen Kreisen in Berührung. Seine Hinwendung zum evangelischen Glauben führte 1534 zur Ausweisung aus Frankreich. C. ging nach Basel, wo er 1535 sein Werk „Institutio Christianae religionis“ (Basel 1536, erweiterte Ausgabe Genf 1539) verfaßte, eine systematische Darstellung des christlichen Glaubens, in der C. die Grundlage einer neuen protestantischen Frömmigkeit schuf. 1536 ging C. nach Genf und gab hier seinen „Catechismus ecclesiae Genevensis“ (französisch 1537, lateinisch 1538) heraus. 1538 aus Genf ausgewiesen, ging er nach Straßburg, wo er die französische Flüchtlingsgemeinde betreute. 1541 nach Genf zurückgerufen, war er bis zu seinem Tode der Leiter der dortigen Kirche. Er schuf eine neue kirchliche Ordnung und begründete die reformierte Kirche.
Nach C.s Auffassung ist die Kirche „das Volk der Erwählten“ auf dem Wege zu Gott und unterliegt darum den strengsten sittlichen Anforderungen. Die Leitung der Kirche übernimmt ein aus Geistlichen und Laien zusammengesetztes Konsistorium. So wird die aktive Teilnahme aller Gläubigen am Leben der Gemeinde gesichert, und die Kirche gewinnt dabei einen festen Rückhalt gegenüber dem Staat. C. machte eine scharfe Unterscheidung zwischen Kirche und Staat, wobei er das Leben des letzteren mit christlichem Geist durchdringen wollte.
C. zeigte besonders nach 1541 ein reges Interesse für das Schicksal der Völker des Südostens, seine Ideen sind aber durch die Vermittlung anderer zu diesen gelangt. Caspar Nidbruck (Rat Kaiser Ferdinands I.), der bekannte Gönner des Protestantismus in Österreich, hatte sich mit C. schon während seines Aufenthaltes in Straßburg in Verbindung gesetzt, und die ersten Beziehungen mit den böhmischen Brüdern datieren aus den späten 1540er Jahren. 1560 schrieb Johannes Lusenius, polnischer Pfarrer aus Iwanowice, an C., daß in Kleinpolen, Litauen und Ungarn das Evangelium sich von Tag zu Tag mehr verbreite. In Ungarn, wo die helvetische Richtung in der Reformation auch früher schon vertreten war, wurde C.s Einfluß um die Mitte des 16. Jh.s besonders in Ostungarn und in Siebenbürgen immer stärker (in Siebenbürgen schloß sich sogar Fürst Johann Sigismund dieser Richtung an). Der eigentliche Kampf unter den lutherischen und calvinischen Lehren begann in Ungarn 1552 mit dem Auftreten von Márton Kálmáncsehi-Sánta. Im selben Jahre wurden C.s Lehren auch von katholischer Seite angegriffen (Georg Draskovich: Confutatio eorum, quae dieta sunt a J. Calvino). 1562 verordnete die Synode von Tarcal (Komitat Zemplén) die Anwendung des Katechismus von C. und 1563/64 erschien in Debreczin dessen von Péter Melius verfertigte erste ungarische Übersetzung (die von Albert Szenczi-Molnár stammende ungarische Übersetzung der „Institutio“ erschien erst 1624). 1567 akzeptierte die Debrecziner Synode, bei der die Geistlichen ganz Ost-Ungarns anwesend waren, die „Confessio Ecclesiae Debreciensis“ und stellte in 74 Kapiteln ein Kirchengesetzbuch nach C.s Lehren zusammen („Articuli ex verbo Dei et lege naturae compositi ...“), die zu Grundgesetzen der ungarischen reformierten Kirche geworden sind.
Während sich in Ungarn die reformierte Kirche festigte (der größte Teil des Hoch- und Kleinadels und des Bauerntums wurde calvinisch, während das Bürgertum an Luthers Lehren festhielt), wurde sie in den Nachbarländern vom Lutherismus oder später von der Gegenreformation vernichtet. Im Gebiet der griechisch-orthodoxen Kirche, also östlich und südlich der Karpaten, haben die Lehren C.s keinen Widerhall gefunden.
C.s Theologie hat in Ungarn (wie auch in Westeuropa) auf die Gestaltung der politischen Ideen einen großen Einfluß ausgeübt. Nach C. war es Pflicht der weltlichen Obrigkeit, das Gesetz zur Geltung zu bringen. Darum gebührte ihr Gehorsam, auch wenn sie ungerecht war. Aber ihr war Widerstand zu leisten, wo sie Ungehorsam gegen Gott forderte. Darüber stand den Ständen, den Reichstagen, allen ordnungsgemäß dazu Befugten ein Recht zum Widerstande gegen Tyrannen zu, abgesehen davon, daß Gott „öffentliche Rächer“ berufen und damit in seiner Vorsehung einen außergewöhnlichen Weg zur Beseitigung eines außergewöhnlichen Zustandes beschreiten konnte. Der adelige Widerstand in Ungarn, d. h. die von den siebenbürgischen Fürsten im 17. Jh. gegen Habsburg geführten nationalen Kämpfe, stützten sich ideologisch auf diese Lehren. Nicht minder war C.s Bedeutung für die ungarische Kultur. Die erste vollständige Bibelübersetzung (1590 von Gáspár Károlyi) hatte eine große Bedeutung für die Entwicklung der ungarischen Schriftsprache. Die großen reformierten Schulen, Collegien genannt (Sárospatak, Debreczin, Karlsburg-Straßburg usw.), wurden zum Mittelpunkt der protestantischen ungarischen Bildung.

Literatur

Loesche, Georg: Luther, Melanthon [!] und Calvin in Österreich-Ungarn. Tübingen 1909.
Doumergue, Emile: La Hongrie Calviniste. Toulouse 1912.
Zoványi, Jenő: A reformáczió Magyarországon 1565-ig. Budapest 1922.
Révész, Imre: Méliusz és Kálvin. Cluj 1936.
Pannier, Jaques: Calvin et les Turcs. In: Rev. hist. 180 (1937) 268-286.
Révész, I.: A magyar református egyház története. Budapest 1949.
Bucsay, Mihály: Geschichte des Protestantismus in Ungarn. Stuttgart 1959.
Benda, Kálmán: A kálvini tanok hatása a magyar rendi ellenállás ideológiájára. In: Helikon 17 (1971) 322-330.

Verfasser

Kálmán Benda (GND: 119265907)

GND: 118518534

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd118518534.html


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Empfohlene Zitierweise: Kálmán Benda, Calvin, Johann, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 1. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1974, S. 281-283 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=640, abgerufen am: (Abrufdatum)

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