Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Photios
Bild: Wikimedia Commons
Wikidata: Q243187

In den Suchergebnissen blättern

Treffer 
 von 1526

Photios

Photios, byzantinischer Patriarch 858-867 und 877-886, * um 810 oder 820, † Hieria bei Konstantinopel 06.02.893 (?).

Leben

Über den vor seinem Patriarchat liegenden Lebensabschnitt des Ph. sind wir nur unvollständig informiert. Zweifellos entstammte er einer Familie, die zur vermögenden und vornehmen Schicht Konstantinopels zählte - sein Vater Sergios war ein naher Verwandter des Patriarchen Tarasios, und seine Mutter Eirene war mit der Kaiserin Theodora II. verschwägert. In der Schlußphase des Ikonoklasmus (wohl unter Kaiser Theophilos) wurde die gesamte Familie (Ph. hatte noch vier Brüder) verfolgt und zeitweilig verbannt.
Ph. muß von Jugend an Zugang zu umfassender Bildung gehabt haben, ohne daß man seine Lehrer genau benennen könnte. Zu unbestimmter Zeit trat er eine höhere Beamtenkarriere an, in der er in den letzten Jahren vor dem Patriarchat das Amt eines Chefs der Kaiserkanzlei (Protasekretis) ausübte. Daneben widmete sich Ph. in seinem Hause der intensiven Ausbildung junger Leute, zu denen vermutlich auch der spätere „Slawenlehrer“ Konstantin/Kyrill gehörte. Eine Lehrtätigkeit des Ph. an der vom Cäsar Bardas begründeten Lehranstalt oder an einer imaginären „Patriarchatsakademie“ läßt sich indes zu keinem Zeitpunkt nachweisen. Seine inzwischen erworbene Bildung bezeugen das sogenannte Lexikon („Lexeon Synagoge“) und die höchst wertvolle Exzerptensammlung christlicher und heidnischer Autoren, bekannt als „Bibliothek“ (oder „Myriobiblos“) und vor dem Aufbruch des Ph. zu einer Gesandtschaft zu den Arabern verfaßt (838 oder 855).
Als 858 der des Hochverrats bezichtigte Patriarch Ignatios verbannt wurde und zurücktrat, wurde Ph. sein Nachfolger. Alsbald mit der kirchenpolitischen Linie des Ph. unzufrieden (es handelte sich um die Frage des Verhältnisses zu den ehemaligen Ikonoklasten), begannen aber Ignatios und seine Anhänger gegen Ph. zu agitieren, was zur Absetzung des Ph. durch eine ignatianische, und - im Gegenzug - des Ignatios durch eine photianische Synode noch im Jahre 859 führte. Die so erfolgte Spaltung der byzantinischen Kirche führte durch die Einbeziehung Roms in diesen Streit zum photianischen Schisma zwischen Rom und Byzanz, dessen Höhepunkte die Absetzung des Ph. durch eine Lateransynode 863 und die den römischen Primat mißachtende Absetzung des Papstes Nikolaus I. durch eine byzantinische Synode 867 bildeten.
Im Verlauf der Auseinandersetzungen mit Rom entwickelte sich die Frage der kirchlichen Jurisdiktion auf dem Balkan zu einem wesentlichen zusätzlichen Streitpunkt, konkret die Frage der Restituierung des ehemaligen Illyricum an Rom und vor allem die der kirchlichen Orientierung Bulgariens nach der Bekehrung des Fürsten Boris-Michael 865. Das Engagement des Ph. hierbei bezeugen u. a. sein langes Schreiben an Boris aus demselben Jahr, eine Art missionarisch ausgestalteter Fürstenspiegel (dessen detaillierteres Gegenstück die „Responsa ad consulta Bulgarorum“ Nikolaus' I. sind), und seine Enzyklika an die östlichen Patriarchen von 867 mit Angriffen gegen das „Filioque“ der Lateiner und die römische Mission in Bulgarien. Nicht zu vergessen ist freilich, daß der byzantinischen Bulgarienmission die Gesandtschaft der Brüder Kyrill und Method nach Mähren vorausging, die wohl von Ph. (ebenso wie die Chazarenmission und ein erster Versuch der Russenmission) mitinspiriert war. Anlaß zu den letztgenannten Missionen gab die erste Belagerung Konstantinopels durch die Ruś (860), während der Ph. zwei Predigten gehalten hat, die uns zusammen mit 16 weiteren überliefert sind.
Sein erstes Patriarchat endete mit der Wiedereinsetzung des Ignatios (23.XII.867) bei Regierungsantritt Basileios' I., der Ph. für einige Jahre in das Kloster Skepe am Bosporus verbannte. Die Absetzung wurde im Beisein römischer Legaten von der Synode von 869/70 bestätigt. Vermutlich während des Exils (ca. 868-872) entstand ein weiteres berühmtes Werk des Ph., die „Amphilochia“, eine Sammlung von ca. 300 Erotapokriseis vor allem theologischen Inhalts, die Ph. als einen der „bedeutendsten Exegeten der griechischen Kirche“ (H.-G. Beck) ausweisen.
Ph. gelang es, sich mit Basileios I. wieder zu verständigen, er durfte das Exil verlassen und wurde sogar Erzieher der Kaisersöhne (ab 873); auch mit Ignatios söhnte er sich noch vor dessen Tod (877) aus. Auf Wunsch des Kaisers kam es dann 879/80 zu einem neuen Konzil, dessen Ergebnis u. a. auch die römische Anerkennung für Ph. brachte, der den Römern offenbar in der Bulgarienfrage entgegengekommen war. Nach dem Tod Basileios’ I. (886) wurde Ph. unter dem Verdacht der Verschwörung auf Betreiben des Basileopator Stylianos Zautzes in das Kloster „ton Armenianon“ (oder „ton Harmonianon“) in Hieria (?) verbannt, wo er auch starb.
Außer den erwähnten Schriften verfaßte Ph. u. a. noch eine große Zahl zur Beurteilung seiner Persönlichkeit aufschlußreicher Briefe verschiedensten Inhalts (darunter einen zweiten an Boris). Mag die Kirchenpolitik des Ph. auch Angriffspunkte bieten und ihre Bewertung unterschiedlich ausfallen, so gilt Ph. doch unstrittig als überragender Gelehrter, dem die byzantinische Kulturgeschichte grundlegende Impulse verdankt.

Literatur

Hergenröther, Joseph: Photius, Patriarch von Konstantinopel. 3 Bde. Regensburg 1867 und 1869 (Nachdruck Darmstadt 1966).
Dvornik, Francis: The Photian Schism. History and Legend. Cambridge 1948 (Nachdruck 1970).
Mango, Cyril: The Homilies of Photius, Patriarch of Constantinople. Cambridge/Mass. 1958.
Beck: S. 520-528 und passim (mit Bibliographie).
Ahrweiler, Hélène: Sur la carrière de Photius avant son patriarcat. In: Byzant. Z. 58 (1965) 348-363.
Beck, Hans-Georg: Die byzantinische Kirche im Zeitalter des photianischen Schismas. In: Handbuch der Kirchengeschichte. Hrsg. Hubert Jedin. Bd 3,1. Freiburg, Basel, Wien 1966, 197-218.
Dvornik, Francis: Byzantine Missions among the Slavs. New Brunswick, New Jersey 1970, passim.
Lemerle, Paul: Le premier humanisme byzantin. Paris 1971, 177-204 und passim.
Speck, Paul: Die Kaiserliche Universität von Konstantinopel. München 1974, 14-21 und passim.
Stiernon, Daniel: Konstantinopel IV. Mainz 1975 (franz. Ausg. Paris 1967).
Hägg, Thomas: Photios als Vermittler antiker Literatur. Uppsala 1975.
Mango, Cyril: The Liquidation of Iconoclasm and the Patriarch Photios. In: Iconoclasm. Hrsg. Anthony Bryer u. Judith Herrin. Birmingham 1977, 133-140.

Verfasser

Günter Prinzing (GND: 1062916441)

GND: 118594095

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd118594095.html


RDF: RDF

Vorlage (GIF-Bild):  Bild1   Bild2   Bild3   

Empfohlene Zitierweise: Günter Prinzing, Photios, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 3. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1979, S. 453-455 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1534, abgerufen am: (Abrufdatum)

Druckerfreundliche Anzeige: Druckerfreundlich

Treffer 
 von 1526
Ok, verstanden

Website nutzt Cookies, um bestmögliche Funktionalität bieten zu können. Mehr Infos