Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Melanchthon, Philipp
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Melanchthon, Philipp

Melanchthon, Philipp (eigentlich Philipp Schwartzerd[t]]), deutscher Humanist und Reformationstheologe, * Bretten (Baden) 16.11.1497, † Wittenberg 19.04.1560, Sohn eines pfalzgräflichen Waffenschmieds, über seine Mutter mit Johannes Reuchlin verwandt.

Leben

Als Repräsentant der lutherischen Reformation, mehr noch des christlichen Humanismus, als Verfechter der Glaubenseinheit der Christenheit und ein Mann, dessen religionspolitische Praxis weniger von theologischer Dogmatik als von seiner humanistischen Geschichtsauffassung bestimmt war, fand M. in den Ländern Ost- und Südosteuropas mehr Anklang, als die kirchlich-institutionellen Folgen vermuten lassen. Unterstützt von seinem wendischen Schwiegersohn Kaspar Peucer verhandelte und korrespondierte er jahrzehntelang mit Tschechen, Polen und Südslawen. Sein erasmischer Humanismus entsprach der vor allem in Ungarn verbreiteten Offenheit gegenüber Reformideen im geistigen und kirchlichen Leben. Da er sich zudem persönlich um die ungarischen Studenten in Wittenberg kümmerte, mit manchen von ihnen befreundet war (Mátyás Bíró Dévai, Sigismund Gelog u. a.) und im Briefwechsel blieb, wuchs ihre Zahl derart an, daß 1555 eine ungarische Burse gegründet wurde, deren Mitglieder als Verfechter der Reformation in ihre Heimat (vornehmlich Ostungarn) zurückkehrten. Besonders enge Beziehungen pflegte M. zu den ungarländischen Deutschen, von denen er mehr zu Rate gezogen, gelesen und zitiert wurde als Luther selbst. Als seine Schüler in Wittenberg (Valentin Wagner, Lukas Ungleich, Damasus Dürr u. a.), als seine Korrespondenten (Wagner, Johannes Honter, Matthias Ramser, Leonhard Stöckel) und als eifrige Benutzer seiner Schriften (Honter, Wagner, Dürr, Stöckel) haben Siebenbürger und Zipser Deutsche M.s Ansichten im Bereich der praktischen Theologie und Pädagogik sowie in der Wissenschaft aufgegriffen und verwertet. Wagners Wittenberger Reise 1542/43 galt der Rücksprache mit M., auf die hin Honter die Reformation in Kronstadt durchführte. In Honters Reformationsbüchlein von 1543 und seiner Apologie wird M. als einziger Gelehrter namentlich zitiert und auf seine Abendmahlslehre verwiesen. M.s „Loci communes rerum theologicarum“ (1521) hatte sich Dürr als dogmatischen Leitfaden vom Studium mitgebracht. Zwei Lieder M.s übernahm der sonst selbständige Schöpfer des Zipser Gesangbuchs, Friedrich Ambrosius Lam. Als Pädagoge hat M. maßgeblichen Einfluß auf das deutsche Schulwesen in Ungarn, insbesondere auf die Gründung von Honters Schola Coronensis, deren Lehrplan und Bildungsziel genommen; diese Schulreform wirkte sich bis in die Moldau aus (Lateinschule von Cotnari). Auch als Wissenschaftler fand M. bei den Südostdeutschen Anhang: Der Abdruck seiner Dialektik, Rhetorik und Syntax in Kronstadt, die Verbreitung seiner lateinischen Grammatik bei den Siebenbürger Sachsen wie in ganz Ungarn, die Übernahmen aus M.s Grammatik und Syntax in Honters Grammatik, der Niederschlag von M.s Rechtsauffassung in den juristischen Arbeiten Honters, der Ankauf historischer Abhandlungen M.s für Bibliotheken und die anhaltende Geltung der von M. mit Nachdruck vertretenen „Wittenberger Goten-Geten-Sachsen-lehre“ gegen das bessere Wissen Einheimischer (Honter, Georg Reicherstorffer) mögen als Beispiele zitiert werden. Als Gutachter für Reformationsschriften und Berater bei der Besetzung von Pfarr- und Schulmeisterstellen (Dürr, Martinus Hentius, der erste Rektor von Neusohl u. a. wurden von Wittenberg aus bestellt) bewies M. sein Interesse an Südosteuropa. Er gab Honters Reformationsbüchlein noch 1543 mit einer eigenen Vorrede in Wittenberg neu heraus und versuchte sogar, über die Siebenbürger Sachsen zur griechisch-orthodoxen Kirche, die er für ein Bündnis gegen die römische gewinnen wollte, Zugang zu finden. Im Rahmen dieser Bestrebungen schrieb Wagner einen griechischen Katechismus, der u. a. dem Patriarchen von Konstantinopel zugesandt wurde, während gleichzeitig in Hermannstadt ein lutherischer Katechismus in rumänischer Sprache zum Druck kam. Wie Luther versuchte auch M. die Rechtmäßigkeit eines mit der Waffe geführten Widerstandes gegen die Türken zu beweisen, und er tadelte, daß der persönliche Egoismus der europäischen Herrscher einen kräftigen Widerstand verhindere.

Literatur

Fraknói, Vilmos: Melanchthon és magyarországi barátai. In: Századok 8 (1874) 149- 184.
Fabritius, Karl: Die siebenbürgischen Studierenden auf der Universität zu Wittenberg im Reformationszeitalter. In: Arch. Ver. siebenbürg. Landeskde 2 (1885) 134-141.
Stromp, Ladislaus: Ungarn und Melanthon. In: Deutsch-evangelische Blätter 28 (1903) 727-746.
Loesche, Georg: Luther, Melanthon und Calvin in Österreich-Ungarn. Tübingen 1909.
Köhler, Manfred: Melanthon und der Islam. (Diss.) Leipzig 1938.
Kallbrunner, Josef: Philipp Melanchthon im deutschen Südosten. In: Gesamtdeutsche Vergangenheit. Festgabe für Heinrich Ritter von Srbik. München 1938, 75-82.
Klein, Karl Kurt: Die Goten-Geten-Daken-Sachsengleichung in der Sprachentwicklung der Deutschen Siebenbürgens. In: Südost-Forsch. 11 (1946/52) 84-154.

Verfasser

Ute Monika Schwob (GND: 1050326059)

GND: 118580485

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd118580485.html


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Empfohlene Zitierweise: Ute Monika Schwob, Melanchthon, Philipp, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 3. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1979, S. 153-155 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1330, abgerufen am: (Abrufdatum)

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