Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Metternich-Winneburg, Klemens Lothar Graf
Bild: Wikimedia Commons
Wikidata: Q45662

In den Suchergebnissen blättern

Treffer 
 von 1526

Metternich-Winneburg, Klemens Lothar Graf

Metternich-Winneburg, Klemens Lothar Wenzel Nepomuk Graf (ab 1813 Fürst von), österreichischer Staatsmann, * Koblenz 15.05.1773, † Wien 11.06.1859, aus einem rheinischen, seit dem 17. Jh. reichsunmittelbaren Adelsgeschlecht, Sohn des Grafen (ab 1803 Fürsten) Franz Georg M. und der Maria Beatrix Aloisia Gräfin von Kageneck; verheiratet 1795 mit Maria Eleonore Gräfin von Kaunitz-Rietberg († 1825), 1827 mit Antoinette Baronin von Leykam († 1829) und 1831 mit Melanie Gräfin von Zichy-Ferarris († 1857).

Leben

Bereits die Lehrjahre M.s an den Universitäten in Straßburg und Mainz 1788- 1791 sowie in der österreichischen Verwaltung der Niederlande 1791-1794 sind gekennzeichnet durch wiederholte Flucht vor der Französischen Revolution, - der Kampf gegen ihre Folgen hat das gesamte Leben M.s ausgefüllt und geprägt. Ab 1801 österreichischer Gesandter in Dresden, ab 1803 sodann in Berlin, ging M. 1806 als Botschafter nach Paris, wo er nicht nur Napoleon, sondern auch durch Charles Maurice Duc de Talleyrand und Joseph Fouché die raffiniertesten Methoden der Geheimdiplomatie wie des Polizeistaates näher kennenlernte. Erstrebte M. den Sturz Napoleons anfänglich mittels eines Volkskrieges, so lernte er aus der schweren Niederlage von 1809 - nunmehr als Nachfolger von Graf Johann Philipp Stadion Außenminister der Wiener Regierung (08.10.1809) - sein Ziel mit subtileren Mitteln anzusteuern, nämlich über eine vorläufige Annäherung an Frankreich auf die innere Erstarkung Österreichs hinzuarbeiten. Im Sinne dieser Strategie vermittelte M. die Heirat der Tochter Kaiser Franz II., der Erzherzogin Marie Louise, mit Napoleon. Ferner lehnte M. ein antirussisches Bündnis als Preis für die von ihm angestrebte Rückgewinnung Dalmatiens-Illyriens ab und ließ sich auch nicht vom Angebot Napoleons, Belgrad zu besetzen und ein österreichisches Protektorat über Serbien aufzurichten, dazu verlocken, gegen Rußland Partei zu ergreifen, obwohl dieses inzwischen durch Besetzung der Donaufürstentümer und durch seine Begünstigung des serbischen Aufstandes eine für Österreich wie für die Pforte bedrohliche Stellung eingenommen hat. In dem Österreich im März 1812 aufgezwungenen Allianzvertrag mit dem zum Krieg gegen Rußland rüstenden Napoleon wahrte M. die selbständige Haltung der österreichischen Armee, mit deren Hilfe er nach der Niederlage des Franzosenkaisers vor Moskau zum mächtigsten Vermittler des europäischen Friedens aufstieg. Nach dem durch vorsichtige Taktik gekennzeichneten Anschluß an die antifranzösische Koalition (12.08.1813) und nach dem endgültigen Sieg über Napoleon im Koalitionskrieg 1813/14 brachte M. auf dem von ihm einberufenen und präsidierten „Wiener Kongreß“ (22.09.1814 - 09.06.1815) das Konzept seiner Europapolitik voll zur Ausführung. Den grundlegenden Ausgangspunkt seines Konzeptes markierten die besonderen Lebensbedingungen des seiner Struktur nach so heterogenen Kaisertums Österreich, das M. in seiner Existenz tödlich bedroht sah, einerseits von außen durch die Hegemoniebestrebungen Frankreichs wie Rußlands, andererseits von innen durch die revolutionären politischen, sozialen und nationalen Strömungen von 1789, in deren Bekämpfung M. seine Hauptaufgabe erblickte. Aus diesem Grunde bildete für ihn die österreichische Staatsräson und sein Konzept eines dem Prinzip der Restauration und des Konservativismus solidarisch verbundenen „Konzerts“ der fünf Großmächte (Pentarchie), das nach dem Vorbild des 18. Jh.s vom Gleichgewichtsstreben erfüllt jede Hegemonie ausschließen und eine gegen Österreich gerichtete Politik verhindern sollte, eine unauflösbare Einheit, war M. Staatsmann des Habsburgerreiches und Europas zugleich, in dem er bis 1822/25 eine führende und bis zu seinem Sturz 1848 noch immer eine überragende Stellung eingenommen hat. Auf den 1818 in Aachen einsetzenden alljährlichen Konferenzen der Pentarchie (1819 Karlsbad, 1820 Troppau, 1821 Laibach, 1822 Verona) verpflichtete M. diese, durch das in Deutschland, Italien und Spanien wiederholt angewandte Mittel der Interventionspolitik, jede revolutionäre Strömung im Innern eines jeden europäischen Staates im Keime zu ersticken. Die Solidarität der Pentarchie sowie der romantisch-konservativen „Heiligen Allianz“, dieses Ende 1815 geschaffenen Bündnisses zwischen Rußland, Österreich und Preußen, zerbrach konkret an der griechischen Frage, letztlich an der Unmöglichkeit, die zum Nationalstaat hinführenden Tendenzen mit ihren spezifischen Machtinteressen auf Dauer hin zu unterdrücken. Der von M. auch aus Gründen der von ihm stets befürworteten Erhaltung des Osmanischen Reiches strikt abgelehnte Aufstand der Griechen gegen dieses hat Rußland die willkommene Gelegenheit gegeben, sich zur Schutzmacht der christlichen Balkanvölker zu erheben und mit dem Frieden von Adrianopel (14.09.1829) seine Vorherrschaft auf dem Balkan zu errichten. Diesen in der Orientpolitik auf getretenen Gegensatz zwischen Rußland und Österreich überbrückte M. mit dem Münchengrätzer Vertrag (18.09.1833), in dem der durch den polnischen Aufstand bedrängte Zar Nikolaus I., Friedrich Wilhelm III. von Preußen und Kaiser Franz II. erneut die Heilige Allianz, die monarchische Solidarität gegen jeden liberalen Umsturzversuch zum Grundsatz ihres gemeinsamen Handelns machten. Österreich und Rußland einigten sich auf die Erhaltung der europäischen Türkei und im Meerengenvertrag vom 13. Juli 1841, mit dem die alte Pentarchie kurzfristig wieder auflebte, vermochte M. die Garantie des türkischen Besitzstandes auch international auszuweiten, in Friedenszeiten blieb den Kriegsschiffen aller Nationen die Durchfahrt durch den Bosporus und die Dardanellen verwehrt. Nach 1815 wurde der 1821 zum Staatskanzler ernannte M. in verstärktem Maß auch innenpolitisch tätig, ohne hier jemals die gleiche Machtstellung wie nach außen zu erlangen. Der Grund dafür lag einmal am Kaiser selbst, der sich M.s außenpolitischen Kurs zwar dankbar anvertraute, bei der Regierung seines Reiches im Stil seines bürokratischen Autokratismus M. jedoch nur als - wenn auch erstrangigen - Berater anerkennen wollte und dem mächtigen Gegenspieler M.s, dem Innenminister Grafen Franz Anton Kolowrat, eine beherrschende Stellung einräumte. M. unternahm nichts, um die unglückliche Thronfolge- und Regentschaftsregelung von 1835 zu verhindern. Seine 1811-1822 erstellten Vorschläge zu einer Reform der Zentralverwaltung liefen auf deren Stärkung und Vereinheitlichung hinaus durch Reorganisation des Staatsrates, Zusammenfassung der Ministerien in einem Ministerrat und Errichtung eines Reichsrates als ständische Repräsentation der Reichseinheit. Sein Hauptziel bildete dabei die Entlastung der Regierung von der reinen Administration, die er förderalistisch in den verschiedenen Ländern konzentrieren wollte. Grundsätzlich fühlte sich M. ganz dem rationalistischen Staatsprinzip der Aufklärungszeit verpflichtet, dem nur von oben kommende Reformen dienlich erschienen. Den Ständen wurde bloß eine rein beratende Rolle zugebilligt und jede im zeitgenössischen Sinne „fortschrittliche“ Regelung durch ein von M. in der gesamten Monarchie perfekt ausgebautes Polizei- und Zensursystem verfolgt. In der Nationalitätenpolitik machte sich M. zum Befürworter administrativer und kultureller Zugeständnisse, womit er indirekt wesentlich zur Pflege von Kultur, Sprache und Schulwesen der Nationalitäten des Kaisertums im Vormärz beigetragen hat. Wurden solche Zugeständnisse aber ins Politische übertragen, als z. B. die kulturell geförderte illyrische Bewegung Forderungen erhob, die auf eine Vereinigung der südslawischen Völker im Habsburgerreich abzielten, schritt M. meist mit repressiven Maßnahmen dagegen ein. Als den gefährlichsten Krisenherd der Monarchie erkannte M. ab 1825 Ungarn. Im Zuge der von ihm angestrebten politischen wie wirtschaftlichen Vereinheitlichung des Gesamtreiches war es oberstes Ziel seiner Ungarnpolitik, die er ab 1839 auch hauptverantwortlich leitete, die Sonderstellung Ungarns im Reich zu beseitigen. Dieses Ziel suchte er taktisch durch Abspaltung der konservativen Kräfte von der ihm verhaßten ungarischen Reformbewegung zu erreichen, um mit Hilfe der Konservativen aus dem oppositionellen Landtag ein gefügiges Werkzeug der Wiener Regierung zu machen. Eine Schlüsselrolle nahm hier M.s Verhältnis zum Grafen István Széchenyi ein, der mit Hilfe der Regierung die von ihm angestrebten Reformen von oben her zu verwirklichen trachtete, von M. aber - wie Széchenyi zu spät erkannt hat - mehr als Aushängeschild der Wiener Politik mißbraucht wurde. Nach einer Periode repressiver Maßnahmen (Verurteilung von Lajos Kossuth 1837 sowie von Baron Miklós Wesselényi 1839) und einer zögernden Kompromißbereitschaft (Anerkennung des Ungarischen als Staatssprache im Sprachengesetz von 1844) änderte M. im Verlauf des Jahres 1844 seine Politik und beschloß eine umgreifende politische und wirtschaftliche Reform Ungarns: deren Höhepunkte waren die Stärkung der Zentralgewalt, Brechung des oppositionellen Widerstandes in den Komitaten durch Einführung regierungstreuer Administratoren als Obergespane, wirtschaftlich die Förderung des Agrar- und Vekehrswesens und die Zollunion Ungarns mit den Erbländern. Führende Neukonservative ernannte M. noch 1844 zu Regierungsmiitgliedern: den Grafen György Apponyi zum ungarischen, Baron Samu Jósika zum siebenbürgischen Vizekanzler. Apponyi, der 1846 auch zum Kanzler ernannt wurde, sorgte für die rasche Durchsetzung des Administratorensystems. Der ungebrochene Widerstand auch des letzten ständischen Landtags von 1847/48 mit seinen auf die Errichtung eines parlamentarischen Regierungssystems abzielenden Forderungen (Rede Kossuths vom 03.03.1848) machte jedoch bereits der öffentlichen Meinung das endgültige Scheitern der Politik M.s deutlich. Die am 13. März 1848 in Wien ausbrechende revolutionäre Bewegung erklärte den - von der um ihre eigene Existenz fürchtenden Dynastie auch schnell gewährten - Rücktritt M.s zu einer ihrer Hauptforderungen, denn ihr war sein Sturz mit dem des verhaßten Regimes identisch, das der Staatskanzler wohl geistig geprägt aber niemals allein geführt hat. Dazu fehlte ihm sowohl die Macht als auch Durchsetzungsvermögen. Die Jahre seines Ruhestandes, die er ab Herbst 1851 wiederum in Wien verbrachte, nützte M. zur Ordnung seines umfangreichen schriftlichen Nachlasses (hrsg. von Fürst Richard M. und A. von Klinkowström: Aus M.s nachgelassenen Papieren. 9 Bde. Wien 1880/89). Obwohl er es in dieser Zeit mit Befriedigung genießen konnte, die Stellung eines viel befragten Orakels aller europäischen Konservativen einzunehmen, hat er auf die Entwicklung nach 1848/49 keinen entscheidenden Einfluß mehr ausgeübt. Die von M. so souverän beherrschte Rolle des konsequenten Verfechters einer alten gegenüber einer neuen Ordnung, geistig gesehen der des 18. gegenüber des 19. Jh.s, ist gerade in einer Zeit tiefgreifender Umstürze nach 1918 und 1945 mit einer gewissen Faszination wiederholt zum Gegenstand eingehender Forschungen gemacht worden. Doch hat nach der monumentalen aber nicht ganz erschöpfenden Srbik-Biographie die gerade in den 1960er Jahren neu aufblühende M.-Forschung sich bis heute noch nicht zu einer übereinstimmenden Beurteilung M.s als Staatsmann Europas wie der Habsburgermonarchie durchgerungen.

Literatur

Srbik, Heinrich von: Metternich. Der Staatsmann und der Mensch. 3 Bde München 1925/54.
Kissinger, Henry A.: A world restored. Castlereagh, Metternich and the restoration of peace 1812-1822. Boston 1957 (dt. Ausg. Düsseldorf 1962).
Schroeder, Paul W.: Metternich’s diplomacy at its zenith: Austria and the congresses of Troppau, Laibach and Verona. Austin 1958.
Bertier de Sauvigny, G. de: Metternich et son temps. Paris 1959.
Schroeder, Paul W.: Metternich studies since 1925. In: J. mod. Hist. 33 (1961) 237-260.
Haas, Arthur G.: Metternich, reorganization and nationality 1813-1818. Wiesbaden 1963.
Emerson, Donald E.: Metternich and the political police. The Hague 1968.
Radvany, Egon: Metternich’s projects for reform in Austria. The Hague 1971.
Nichols, J. C.: The European Pentarchy and the Congress of Verona 1822. The Hague 1971.
Palmer, Alan: Metternich. London 1972.
Andics, Erzsébet: Metternich und die Frage Ungarns. Budapest 1973.
Berglar, Peter: Metternich. „Kutscher Europas - Arzt der Revolutionen“. Göttingen 1973. - Persönlichkeit und Geschichte. 79/80.

Verfasser

Gerhard Seewann (GND: 1069961280)

GND: 118581465

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd118581465.html


RDF: RDF

Vorlage (GIF-Bild):  Bild1   Bild2   Bild3   Bild4   Bild5   

Empfohlene Zitierweise: Gerhard Seewann, Metternich-Winneburg, Klemens Lothar Graf, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 3. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1979, S. 168-172 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1339, abgerufen am: (Abrufdatum)

Druckerfreundliche Anzeige: Druckerfreundlich

Treffer 
 von 1526
Ok, verstanden

Website nutzt Cookies, um bestmögliche Funktionalität bieten zu können. Mehr Infos