Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

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Vlora, Süreya Bey

Vlora, Süreya Bey (in den türkischen Quellen Avlonyalı Süreya), albanischer Politiker, * Valona 1860, † ebd. 1940.

Leben

V. entstammte einer alten Adelsfamilie, an deren Anfang jener Göyegü Sinan Pascha stand, der unter Bayezid II. Großadmiral der osmanischen Flotte war und am 26. April 1503 in einer Schlacht bei Valona fiel. Sein Vater war Mustafa Pascha V., seine Mutter Naile H. Janina; sein älterer Bruder Ferid Pascha war 1903-1908 Großwesir. Uber seine Schulausbildung haben wir keine verläßlichen Angaben. Wir dürfen aber annehmen, daß er eine ausgezeichnete orientalische und solide europäische Bildung besaß. Vor allem bewies er eine ausgesprochene Begabung in wirtschaftlichen Dingen: Während der Tanzimat-Zeit war ein großer Teil des Landbesitzes der Familie konfisziert worden; V. gelang es durch diverse Transaktionen, einen guten Teil davon wieder zurückzubekommen, so daß die Familie Vlora wieder eine der größten Grundbesitzer Albaniens wurden. Auf der politischen Szene tauchte V. 1895 auf, als er zusammen mit seinem Verwandten Xhemil Bey V. von einem türkischen Gericht zu drei Jahren Haft verurteilt wurde, der er sich allerdings durch Flucht nach Italien entzog. Dem Istanbuler Zeitungsleser war er bereits früher bekannt, denn 1886/87 gab er dort fünf Nummern einer Zeitschrift namens „Zerrat“ (Atome) heraus; die erste Nummer umfaßte nur 32, die übrigen je 160 Seiten. Die Zeitschrift hatte kein festes Programm, ihr Ziel war, wie V. im Vorwort zur ersten Nummer erklärte, aus einigen interessanten Werken zu berichten, die er in Valona gelesen hatte. So finden wir darin u. a. Beiträge über Lord Byron, Wellington, Napoleon, Walter Scott, Machiavelli, über Geschichte des Handwerks und Korea. Alle Artikel stammten von V. selbst.
Da V. über ausgezeichnete Beziehungen in Istanbul verfügte, wurde ihm die Strafe bald erlassen, und er kehrte in die Türkei zurück. 1903 scheint er sich in Istanbul fest niedergelassen zu haben, wo sein Sohn Eqrem V. Jura zu studieren begann. Sicher durch Vermittlung seines Bruders, des Großwesirs Ferid Pascha, erhielt er den Posten eines Generaldirektors der türkischen Zollbehörden, den er bis zur jungtürkischen Revolution innehatte. 1907 gab er in türkischer Sprache ein wichtiges Werk zur Geschichte des Islams heraus, betitelt „Fitret ül-Isläm“. Es handelt sich dabei um eine Biographie von Muäwiya ihn Abi Sufyän, dem Begründer der Dynastie der Omaijaden; V. stützte sich dabei auf zahlreiche arabische Quellen. Von Bedeutung für die Geschichte der türkisch-albanischen Beziehungen und die Rolle der Albaner im Osmanischen Reich ist V.s Studie ,,Tarih-i osmanide Arnavutluk“ (Albanien in der osmanischen Geschichte); sie erschien 1911 in dem von Dervish Hima in Istanbul herausgegebenen Kalender „Shqiptari“ (Der Albaner), allerdings nur der erste Teil; der zweite wurde nicht veröffentlicht, da „Shqiptari“ nicht mehr erschien. Zusammen mit anderen albanischen Intellektuellen setzte sich V. für die Einführung des lateinischen Alphabets für die albanische Sprache ein und veröffentlichte in der Istanbuler „Yeni Gazete“ (Neue Zeitung) am 15. Januar 1910 in türkischer Sprache einen längeren Beitrag unter dem Titel „Das arabische Alphabet und die albanische Sprache“, in dem er davor warnte, die Glaubens- und die Alphabetfrage zu vermischen. Bei den Wahlen für die zweite Legislaturperiode des türkischen Parlaments wurde V. als Abgeordneter Valonas gewählt. Während einer Parlamentsdebatte am 9. Juli 1912 griff er die türkische Politik gegenüber Albanien so heftig an, daß er zusammen mit seiner Familie aus Istanbul fliehen mußte, wobei ihn der österreichisch-ungarische Botschafter in Istanbul finanziell unterstützte. Auf der Durchreise hatte er in Athen ein Gespräch mit dem griechischen Regierungschef Eleftherios Venizelos, der der türkischen Regierung durch V. folgenden Vorschlag übermitteln ließ: Wenn die türkische Regierung die griechischen Ansprüche auf Kreta anerkennt, dann würde Griechenland als Gegenleistung dem gegen die Türkei gerichteten Balkanbund fernbleiben. V. übermittelte sofort über den türkischen Botschafter in Athen diese Vorschläge seiner Regierung, bekam jedoch keine Antwort, da man ihn in Istanbul als Verräter betrachtete. Bereits Mitte 1912 war es V. klar, daß es zum Balkankrieg kommen würde. Er begann über die Zukunft Albaniens Überlegungen anzustellen, wobei er hauptsächlich auf Österreich-Ungarn rechnete, mit dem er schon lange politisch verbunden war. Als der Krieg zwischen Montenegro und den Türken begann, berief V. die Notabein von Valona und Südalbanien zu einer Versammlung in Valona zusammen. Gleichzeitig schickte er seinen Sohn Eqrern V. nach Wien, um dort entweder die Unterstützung der Donaumonarchie für die Proklamation der albanischen Unabhängigkeit zu gewinnen, oder aber zu erreichen, daß diese das Protektorat über Albanien übernimmt. Allerdings konnte weder Eqrem V. die Unterstützung Österreich-Ungarns gewinnen (dort glaubte man, daß aus dem künftigen Balkankrieg die Türken als Sieger hervorgehen würden), noch konnte V. die in Valona versammelten Notabein für seine Pläne gewinnen: Es mag sein, daß daher die Zwistigkeiten zwischen seiner Familie und der Ismail Qemals stammen. Von Valona reiste V. nach Tirana und Skutari, es kam dort aber weder zu einer Verständigung mit Esad Pascha Toptani, dessen Schwester Mihri H. Toptani V. zur Frau hatte, noch mit Preng Bibe Doda, der noch immer an ein selbständiges Fürstentum Mirdita dachte. Enttäuscht reiste V. über S. Giovanni di Medua (Shen Gjini) und Kotor nach Wien. Im Juni 1913 kehrte er nach Valona zurück, wo er Ismail Quemal V. überredete, Esad Pascha Toptani in seiner Provisorischen Regierung das Innenministerium anzubieten. Esad Pascha erbat sich zwei Wochen Bedenkzeit, zog es dann aber vor, in Durazzo eine eigene Regierung zu bilden. Bald begab sich auch V. nach Durazzo, was die Position Ismail Qemals noch mehr schwächte. Zur Zeit der Regierungen des Prinzen Wied und später Esad Paschas war V. albanischer Botschafter in Wien. Seine Beziehungen zu Österreich-Ungarn verschlechterten sich, als er eine seiner Besitzungen, den strategisch wichtigen Ort Pashaliman unweit von Valona, gegen eine hohe Summe den Italienern zum Kauf anbot. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, begab sich V. in die Schweiz, wo er von österreichisch-ungarischen Agenten bespitzelt wurde, weil man vermutete, daß er für Italien arbeite. In Wirklichkeit verkehrte er häufig in der Gesellschaft einiger hoher türkischer Persönlichkeiten, die in Opposition zum damaligen türkischen Regime standen, und von denen es hieß, daß sie für England arbeiteten. Am 12. Oktober 1918 sandte eine Gruppe albanischer Politiker, zu denen neben Turhan Pascha Permeti, Visarion Dodani u.a. auch V. gehörte, aus der Schweiz dem italienischen Außenminister Baron Giorgio Sidney Sonnino ein Telegramm, in dem sie forderte, Italien solle die Interessen Albaniens auf der Friedenskonferenz vertreten und italienische Truppen vorübergehend ganz Albanien besetzen. Dieses rief den heftigen Protest einer anderen Gruppe hervor, die sich um die in Lausanne erscheinende Zeitschrift „L’Albanie“ gesammelt hatte. Von der Schweiz ging V. dann nach Rom, wo er sich fest niederließ. 1920 reiste er noch einmal nach Istanbul, in der Hoffnung, einige seiner von den Jungtürken beschlagnahmten Besitztümer zurückzuerhalten. 1923 kehrte er nach Valona zurück; als in Albanien aber im Juni 1924 die Regierung Fan Noli an die Macht kam, floh er erneut nach Rom. Nach dem Regierungsantritt Zogus 1925 übersiedelte er, diesmal für immer, in seine Heimatstadt. Eine Rolle in der albanischen Innenpolitik spielte er bis zu seinem Tode 1940 nicht mehr. Im Archiv des Historischen Instituts in Tirana befindet sich die Handschrift seiner in türkischer Sprache verfaßten Memoiren „Hatirät ve teracim-i ahväl“ (Erinnerungen und Lebensbilder), die im Archiv unter dem Titel „Shenime dhe kujtime mbi Shqiperine“ (Notizen und Gedanken über Albanien) geführt werden.

Literatur

Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, PA, Albanien XIV, Karton 44, Albanische Notabeln (Sureja Bey Vlora 1914-1918).
Vlora, Ekrem Bey: Lebenserinnerungen. 2 Bde. München 1968/73.
Krause, Adalbert Gottfried: Das Problem der albanischen Unabhängigkeit in den Jahren 1908-1914. (Diss.) Wien 1970.

Verfasser

Hasan Kaleshi (GND: 1084144948)


GND: 1055983716

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Empfohlene Zitierweise: Hasan Kaleshi, Vlora, Süreya Bey, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 4. Hgg. Mathias Bernath / Karl Nehring. München 1981, S. 433-436 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1855, abgerufen am: (Abrufdatum)

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