Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Papanastasiu, Alexandros
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Papanastasiu, Alexandros

 Papanastasiu, Alexandros, griechischer Staatsmann und Publizist, * Tripolis (Peloponnes) 08.07.1879, † Athen 17.11.1936, Sohn des Gymnasialrektors Panajotis P.

Leben

 Nach Absolvierung der Primär- und Sekundärschule in Piräus und Athen (1894) studierte P. Jura an der Universität Athen (1895-1898), wo er auch sein Doktordiplom erwarb (04.06.1899). Nach einer kurzen Tätigkeit als Rechtsanwalt in Athen (1900-1901) begab er sich nach Deutschland, wo er an den Universitäten Heidelberg und Berlin Philosophie, Soziologie und Volkswirtschaft studierte (1901 bis 1905). 1905 setzte er seine Studien in London, dann in Paris fort, nach deren Abschluß er 1907 nach Athen zurückkehrte. Im nächsten Jahr, 1908, betätigte er sich zum erstenmal politisch. Zusammen mit drei anderen Intellektuellen richtete er am 24. Mai 1908 einen Appell an den Ministerpräsidenten Georgios Theotokis zugunsten des verfolgten „Nationaldichters“ Kostis Palamas. Im selben Jahr gründete er mit fünf Wissenschaftlern die „Kinoniolojiki Eteria“ (Soziologische Gesellschaft) und ihr theoretisches Organ, die „Epitheorisis ton Kinonikon ke Nomikon Epistimon“ (Revue der Gesellschafts- und Rechtswissenschaften) zur Förderung des wissenschaftliehen Studiums und der politischen Umgestaltung Griechenlands im Sinne eines demokratischen Reformsozialismus. Nach dem Militäraufstand vom 14. August 1909 richtete P. ein langes Memorandum mit dem Titel „Ti prepi na jini“ (Was ist zu tun) an den Führer des „Militärbundes“ Nikolaos Zorbas, in dem er ihn zur Durchführung sozialdemokratischer Reformen aufforderte. Da sein Appell ohne Beachtung blieb, gründete er im nächsten Jahr, 1910, die „Volkspartei“ (Laikon Komma), und nach den Wahlen vom 28. November 1910 kam er an der Spitze einer Gruppe von sieben sogenannten „Soziologen“ ins „Revisionsparlament“ als Abgeordneter Arkadiens, wo er sich für die Politik des inzwischen zum Ministerpräsidenten gewählten liberalen Politikers Eleftherios Venizelos einsetzte. Bei den Wahlen vom 12. März 1912 zum ordentlichen Parlament wurde er nicht wiedergewählt. Am im selben Jahr ausgebrochenen ersten Balkankrieg nahm er als Freiwilliger in Janina und auf Chios teil. 1913 wurde er mit der Untersuchung der Frage des Grundbesitzes in den neuerworbenen Gebieten Mazedoniens beauftragt. Bei den Wahlen vom 31. Mai 1915 wurde P. zum Abgeordneten gewählt, nachdem seine Gruppe, die „Soziologen“, in die „Liberale Partei“ von Venizelos eingetreten war. Er folgte Venizelos auch nach Saloniki und nahm an dessen Gegenregierung (August 1916) als Kommissar für die Ionischen Inseln teil. Nach der Absetzung König Konstantins und der Übernahme der Regierung in Athen durch Venizelos (Juni 1917) wurde P. zum Verkehrsminister ernannt. Er blieb im Amt bis zu den Wahlen vom 1. November 1920, bei denen die Liberalen geschlagen wurden. Nach der Emigration des Venizelos und der Rückkehr des Königs übernahm P. die Führung der Liberalen und Republikaner, die er 1922 im „Demokratischen Verein“ (Dimokratiki Enosis) zu vereinigen suchte. Am 23. Juni 1922 wurde er von den Royalisten verhaftet, dann jedoch vom antimonarchistischen „Revolutionskomitee“ freigelassen (12.09.1922). Am 21. Oktober 1922 brachte er die Zeitung „Dimokratia“ heraus und bei den Wahlen vom 16. Dezember 1923 wurde er mit 70 Abgeordneten seiner Partei in die 4. verfassunggebende Nationalversammlung gewählt. Am 23. Januar 1924 brachte er vor die Versammlung ein Dekret zur Abschaffung der Monarchie und zur Einführung der Republik, stieß aber auf den Widerstand des Venizelos. Am 12. März 1924 wurde P. mit der Regierungsbildung beauftragt und am 25. desselben Monats setzte er die Ausrufung der Republik durch die Nationalversammlung durch. Er trat infolge eines Zwischenfalls in der Marine am 18. Juni zurück. Zu der darauffolgenden Militärdiktatur von General Theodoros Pangalos (Juni 1925 bis August 1926) nahm P. eine lauwarme, zögernde und ambivalente Haltung ein, die ihn jedoch vor der Verbannung nicht schützte (Februar - August 1926). Bei den Parlamentswahlen vom 7. November 1926 kam er an der Spitze von 17 Abgeordneten wieder ins Parlament (seine Partei gewann etwa 6,5% der Stimmen) und nahm an der darauffolgenden „ökumenischen“ Regierung des Alexandros Zaimis (04.12.1926) als Landwirtschaftsminister teil. Am 3. Februar 1928 trat er jedoch von diesem Posten zurück. Am 8. Mai 1929 benannte er seine Partei in „Bauern- und Arbeiterpartei“ (Agrotikon ke Ergatikon Komma) um - inzwischen beherrschte seit 1928 wieder der aus der Emigration zurückgekehrte Venizelos die politische Szene in Griechenland. In den Jahren 1929-1931 beschäftigte sich P. vor allem mit Fragen der Verständigung auf dem Balkan. 1932 übernahm er zum zweitenmal und für kurze Zeit die Regierungsbildung (26.05. - 03.06.) und in der nachfolgenden politischen Verwirrung setzte er seine internationale Balkan- und Friedenstätigkeit fort (05. - 12.11.1933: IV. Balkankongreß in Saloniki; 01. - 06.09.1934: Friedenskongreß in Locarno). Im Oktober 1935 warnte er mit anderen republikanischdemokratischen Politikern in verschiedenen Appellen vor Putsch-Plänen der Royalisten. Daraufhin wurde er verhaftet und nach Mykonos verbannt (Oktober 1935), nach dem von General Georgios Kondilis durchgeführten verfälschten Referendum vom November 1935 und der Wiedereinführung der Monarchie (König Georg II.) jedoch wieder freigelassen. Bei den Wahlen vom 26. Januar 1936 zog P. mit noch sieben Abgeordneten in die III. Nationalversammlung ein. Die Regierung des Generals Metaxas, der er sein Vertrauensvotum verweigert hatte (27.04.1936), setzte durch Abschaffung des Parlaments und Errichtung der Diktatur (04.08.1936) auch seiner politischen Karriere ein Ende. P. ist der erste und bedeutendste Repräsentant einer sozialdemokratischen Politik und politischen Theorie in Griechenland. Sein Versuch blieb wegen seiner subjektivi- stischen und unhistorischen Einschätzung der ökonomischen und sozialen Realitäten in Griechenland ohne Widerhall beim Volk und ohne nennenswerte Fortsetzung - beachtenswert nur als die intellektuelle Utopie eines verspäteten „Humanisten“.

Literatur

Papanastasiu, Alexandros: Meletes - Logi - Arthra. Athen 1957 (mit Biographie).
Bredimas, Ilias: I proti dimokratia. Istoriki erevna tis tarachodus periodu 1922-1925. Athen 1960.
Papanastasiu, Alexandros: Dimokratia ke eklojikon sistima. Athen 1973.
Ders.: O ethikismos. Athen 1973.
Kastrinos, Nikos: O Alexandros Papanastasiu ke i dimokratia. Bd 1. Athen 1974.

Verfasser

Georg Veloudis (GND: 124116787)

GND: 103572635

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd103572635.html


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Empfohlene Zitierweise: Georg Veloudis, Papanastasiu, Alexandros, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 3. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1979, S. 391-393 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1391, abgerufen am: (Abrufdatum)

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