Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

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Gavriilidis, Vlasis

Gavriilidis, Vlasis, griechischer Journalist und Zeitungsverleger, * Istanbul 1848, † Athen 11.04.1920, Sohn des Goldschmiedes Gavriil.

Leben

G. absolvierte 1865 als Primus die griechische „Große Gemeinde-Schule“. Mit Hilfe eines von dem in Wien ansässigen griechischen Bankier Georgios Sinas gewährten Stipendiums studierte er in Leipzig politische Wissenschaften und Philosophie. Nach Istanbul zurückgekehrt (1868) betätigte er sich zunächst als freier Mitarbeiter der Zeitschrift „Eptalofos“. Eine Reihe seiner dort im selben Jahr veröffentlichten Aufsätze erschien im nächsten Jahr in Athen unter dem Titel „I Ellas ke o panslavismos“ (Griechenland und der Panslawismus) und erregte großes Aufsehen, da G. als erster Journalist die Angst der griechischen Nationalisten vor der „Slawengefahr“ in ein theoretisches Gewand einkleidete. Danach war er als freier Mitarbeiter an griechischen Zeitungen tätig. Am 14. Juni 1876 brachte er eine eigene Tageszeitung mit dem Titel „Metarrithmisis“ (Reform) heraus. Wegen eines darin veröffentlichten antitürkischen Artikels wurde gegen ihn Haftbefehl erlassen, weswegen er das Erscheinen seiner Zeitung einstellen (26.10. 1877) und nach Griechenland fliehen mußte. In Athen arbeitete er zunächst an der Redaktion der „Efimeris ton Sizitiseon“ (Zeitung der Gespräche), brachte dann 1879 zusammen mit Kleanthis Triantafillu das satirische Wochenblatt „Rampagas“ heraus, das er 1880 verließ, um die politisch-satirische Zeitung „Mi chanese“ (Verlier Dich nicht) zu gründen (16.1. 1880). Drei Jahre später entwickelte sich das kleine, dreimal wöchentlich in Kleinformat erscheinende Blatt zur größten griechischen Tageszeitung der Zeit, der „Akropolis“, deren erste Nummer am 1. November 1883 erschien. Die journalistischen Prinzipien, die die große griechische Zeitung in ihrem fast 40jährigen Leben bestimmten, hatte G. schon in der Zeitung „Mi chanese“ festgelegt: „Das Ziel ist die nationale Wiedergeburt Griechenlands. Die Mittel dazu sind entweder Absolutismus oder Verfassung, Revolution, Theokratie oder Anarchie“. Die Grundlagen eines „überparteilichen“ Journalismus in Griechenland waren somit gelegt - zusammen mit den Widersprüchen einer solchen „Überparteilichkeit“. An die Person ihres Verlegers, Herausgebers und Leitartikelverfassers engstens gebunden, setzte die „Akropolis“, gestützt auf ihren publizistischen Erfolg - kurz vor der Revolution von 1909 erreichte sie die für das damalige Griechenland einmalige Auflagenzahl von 30 000 Exemplaren - den griechischen Zeitung durch: Sie war nicht das Sprachrohr einer kollektiv festgesetzten Politik, sondern die an die Person ihres Herausgebers gebundene Reaktion eines Mannes auf das Tagesgeschehen, der sich selbst als vox populi verstand. G. verdiente trotz der hohen Auflage an seinem Unternehmen nichts.
Auch im journalistischen Métier an sich war G. für Griechenland ein Wegbereiter. Von seinen Vorbildern, den großen angelsächsischen Tageszeitungen, übernahm er Techniken, die die griechische Presse, erstickt in ihrem Provinzialismus, bis dahin nicht kannte: die Reportage, das Interview und den „fliegenden“ Korrespondenten. In einer für Griechenland äußerst kritischen Zeit lebend (1897: Verlorener Krieg gegen die Türkei; 1909: Machtergreifung von Venizelos und Vollendung der 1821 begonnenen bürgerlichen Revolution; 1912-1914: Balkankriege) übernahm G. die zu seinem Charakter passende Rolle des öffentlichen Zensors. Bei den Wahlen 1881 unterstützte er in „Mi chanese“ die radikaldemokratischen, antimonarchistischen Kandidaten Aristidis Ikonomu, Rokos Choidas und Apostolos Makrakis. 1894 plädierte er in „Akropolis“ für die Reorganisation der Armee; daraufhin drangen empörte Offiziere in seine Büroräume ein und zerstörten die Einrichtung, darunter die größte Druckpresse, die Griechenland bisher gekannt hatte, das sog. „Mammut“. Zwei Jahre später prophezeite er die Emanzipation der griechischen Frau. 1901 nahm er bei der „Evangelien-Affäre" gegen die Theologische Fakultät und die von attikisierenden Professoren aufgehetzten Studenten und für die Übersetzung der Evangelien in die Volkssprache Stellung. Bei der Auseinandersetzung zwischen dem griechischen Statthalter auf Kreta, dem Prinzen Georg, und dem lokalen Volksführer Eleftherios Venizelos bezog er in der Kreta-Frage die Stellung des letzteren, begab sich selbst nach Kreta und traf sich mit Venizelos (1905).
In den Jahren von 1906 bis 1909 zog G. in einer Reihe von Artikeln in „Akropolis“ gegen die korrumpierten alten Parteien zu Felde. Der oppositionellen Gruppe der fünf Politiker von 1906, den sog. „Japanern“, stand er Pate. Am 22. Mai 1909 verlangte er die „Beseitigung der Oligarchie“, eine „friedliche Revolution“ und die Errichtung „eines anderen Staates mit einem anderen Recht..., anderen Grenzen und anderen ökonomischen Beziehungen“. Der Militäraufstand vom Juli 1909 schien dann als Vollstrecker dieser Forderungen gekommen zu sein, weshalb G. auch als dessen geistiger Verkünder angesehen wird.

Literatur

Anastasopulos, Dimitrios: O Gavriilidis. Athen 1904.
Sinadinos, Theodoros: Vlasis Gavriilidis. Athen o. J. [um 1929].
Mager, Kostas: Istoria tu elliniku tipu. Bd 1. Athen 1957, 187-209.
Misailidis, Chariton: Vlasios Gavriilidis. In: Archion Glossiku ke Laografiku Thisavru 27 (1962) 195-207.
Naku, Lilika: Vlasis Gavriilidis. In: Smirni 1 (1967) H. 2.

Verfasser

Georg Veloudis (GND: 124116787)


GND: 1015183751

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Empfohlene Zitierweise: Georg Veloudis, Gavriilidis, Vlasis, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 2. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1976, S. 15-17 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=854, abgerufen am: (Abrufdatum)

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