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Noli, Fan (Theofan) Stylian, albanischer Metropolit, Politiker und Publizist, * Ibrik Tepe (albanisch Qytezë, südlich von Edirne) 06.01.1882, † Fort Lauderdale (Florida, USA) 13.03.1965.
Leben
Im Alter von acht Jahren kam N. auf die siebenklassige griechische Volksschule, ab 1896 besuchte er das griechische Gymnasium in Edirne. Von seinem Vater, der ein bekannter Sänger im Kirchenchor war, übernahm er die Liebe zur Kirchenmusik und auch die Heldenverehrung, besonders den Kult Napoleons. Im Jahre 1900 beendete er das Gymnasium und ging nach Istanbul und von dort nach Athen, wo er bis 1903 blieb. N. arbeitete dort in verschiedenen Stellungen, die längste Zeit als Souffleur bei einer griechischen Theatergruppe. Von 1903 bis 1906 weilte er in Shibin el Kom und El Faiyum in Ägypten als Griechischlehrer und Kirchensänger. Hier wurde er mit den albanischen Patrioten Spiro Dine, Jani Vruho und Thanas Tasbko bekannt. Vruho und Tashko begründeten 1906 in Kairo die albanische Zeitung „Shkopi“ (Der Stab), an der auch N. mitarbeitete. Vruho und Tashko veröffentlichten auch das von N. aus dem Albanischen ins Griechische übersetzte Werk von Sami Frashëri „Shqipëria. Ç’ka qenë, dhe ç’do të bëhete“ ç’është (Albanien, was es war, was es ist und was es sein wird). Im April 1906 reiste N. mit griechischem Paß und mit einer Fahrkarte, die ihm Vruho und Tashko gekauft hatten, in die USA; am 10. Mai traf er in New York ein. Dort ging er verschiedenen Beschäftigungen nach, einige Monate war er auch stellvertretender Redakteur der Zeitung „Kombi“ (Die Nation), die von Sotir Peci herausgegeben wurde. Am 6. Januar 1907 gründete er dann mit einigen albanischen Patrioten in Boston die Vereinigung „Besa-besën“ (Der Schwur). Ein wichtiges Datum in seiner Biographie war der 9. Februar 1908, als er zum Diakon von Brooklyn geweiht wurde. Am 8. März wurde er Pope in New York City, als welcher er am 22. März erstmals die Liturgie in albanischer Sprache abhielt. Damit unternahm N. den ersten Schritt zur Errichtung der autokephalen albanischen Kirche, die auf dem Kongreß von Berat am 13. September 1922 ausgerufen und am 12. April 1937 durch das ökumenische Patriarchat anerkannt werden sollte. Die Gesellschaft „Besa-besën“ begann am 15. August 1909 mit der Herausgabe der Zeitung „Dielli“ (Die Sonne), deren Redakteur N. wurde und es bis zum 7. Juli 1911 blieb. Von Bedeutung für die albanische Kolonie in den USA und für N. selbst war die Ankunft von Faik Konica 1909. Konica, der zweifellos der bedeutendste albanische Intellektuelle Ende des 19./Anfang des 20. Jh.s war, beeinflußte N. stark. Ende 1911 reiste N. nach Europa; er besuchte Bukarest und Sofia und hielt dort Messen in albanischer Sprache. Dank der Initiative N.s und Konicas wurde am 28. April 1912 in Boston die panalbanische Föderation „Vatra“ (Der Herd) gegründet, die in sich verschiedene albanische Organisationen Nordamerikas vereinigte. Im gleichen Jahre schloß N. sein Studium an der Harvard University „cum laude“ ab. Nach der albanischen Unabhängigkeitserklärung am 28. November 1912 begab sich N. erneut nach Europa und nahm im März 1913 an dem von Konica geleiteten Albanerkongreß in Triest teil. Anfang 1914, schon während der Herrschaft des Prinzen Wied, besuchte N. Valona; am 10. März 1914 hielt er in Gegenwart des Prinzen Wied die erste albanische Messe in Durazzo. Im August gleichen Jahres war er in Wien. 1915 kehrte er in die USA zurück und gründete die Zeitschrift „The Adriatic Review“, die in englischer Sprache erschien und von „Vatra“ finanziert wurde. Von Dezember 1915 bis Juli 1916 war er Chefredakteur von „Dielli“, die damals als Tageszeitung erschien. 1917 wurde er zum Vorsitzenden von „Vatra“ gewählt und zeigte große Aktivität nicht nur in der patriotischen Propaganda, sondern auch in der Sammlung von Geldern, zu der Orthodoxe und Muslime beitrugen. Mit diesem Geld wurden albanische Delegierte in Paris, London und Washington unterstützt. Am 24. März 1918 wurde N. zum Administrator der albanischen orthodoxen Mission in Amerika ernannt und im Juli nahm er am Kongreß der unterdrückten Völker in Washington teil. Bei dieser Gelegenheit lernte er Woodrow Wilson kennen. N. selbst und einige spätere Historiker heben die Bedeutung dieser kurzen Begegnung hervor. Am 27. Juli 1919 wurde N. zum Bischof der albanisdien orthodoxen Kirche in Amerika ernannt. Im folgenden Jahre war er Leiter der albanisdien Delegation in Genf, wo, hauptsächlich dank seiner Aktivität, Albanien am 17. Oktober 1920 in den Völkerbund aufgenommen wurde. Alle Kosten der Delegation wurden von den Albanern Nordamerikas getragen. Von Genf begab sich N. nach Albanien, wo er als Vertreter von „Vatra“ in das Parlament aufgenommen wurde. 1922 wurde er Außenminister im Kabinett Xhafer Ypi, reichte aber nach wenigen Monaten seinen Rücktritt ein. Am 21. November 1923 wurde er zum Bischof von Korça und Metropoliten von Durazzo geweiht. Zu dieser Zeit stand N. an der Spitze der Liberalen oder Bauernpartei, die sich in Opposition zu Ahmed Zogu befand, der die Konservative Partei leitete. Nach der Ermordung Avni Rustemis (April 1924), für die die Opposition Zogu verantwortlich machte, und nach dem Sturz von dessen Regierung am 10. Juni 1924 durch die sog. „Demokratische Revolution“ wurde N. zum albanischen Regierungschef ernannt (17. Juni 1924), kurz darauf auch zum Regenten. N., der mehrere Fremdsprachen beherrschte und der sich in Theologie, Literatur und Geschichte gut auskannte, von dem man oft glaubte, daß er ein zweiter Messias oder Skanderbeg sei, und dem das Schicksal eingegeben habe, das albanische Volk zu befreien (er selbst stellte sich die Frage, ob es die Situation erfordere, daß er als Christus, Skanderbeg oder Napoleon auftrete), erwies sich angesichts der komplizierten innen- und außenpolitischen Lage als wenig geschickter Politiker. Er trachtete danach, die ganze Bevölkerung zu entwaffnen, auch jene, die ihn an die Macht gebracht hatten. Sein zwanzig Punkte beinhaltendes Regierungsprogramm mag zwar für eine entwickelte Gesellschaft und für einen modernen Staat geeignet gewesen sein, nicht aber für das damalige Albanien, das wirtschaftlich unterentwickelt und in politischer, sozialer und religiöser Hinsicht gespalten war (sogar einige Minister seiner Regierung waren dagegen). Zu einer Zeit, als die parlamentarische Demokratie in Europa zwar ihren Durchbruch geschafft hatte, in Albanien aber keinerlei Aussichten in dieser Hinsicht bestanden, träumte N. von einer Weltföderation. Als überhaupt noch nicht sicher war, ob er an der Macht bleiben würde, unternahm N. zusammen mit seinen beiden engsten Mitarbeitern - Luigj Gurakuqi und Bajram Curri - eine zweimonatige Europareise. Er empfing in Albanien eine sowjetische Delegation, was einer Anerkennung der sowjetischen Regierung gleichkam, und das zu einer Zeit, als gegen die junge Sowjetmacht noch immer eine Art Kreuzzug geführt wurde. Er bat den Völkerbund in Genf um materielle Hilfe, und hielt gleichzeitig den dort versammelten Vertretern europäischer Staaten Moralpredigten. Er teilte sofort nach seiner Machtübernahme allen Regierungen die Veränderungen in Albanien mit und bat um Unterstützung; er erhielt aber keinerlei Anerkennung, weder von den Nachbarstaaten, noch von den europäischen Mächten. Alles das macht verständlich, daß er kaum sechs Monate an der Macht blieb, und daß Ahmed Zogu mit seinen Freiwilligen und in Jugoslawien angeworbenen und von der jugoslawischen Regierung bezahlten Söldnern kampflos in Albanien einmarschieren und am 25. Dezember 1924 Tirana besetzen konnte. Nach einem erfolglosen Appell an den Völkerbund verließ N. mit seinen Mitarbeitern Albanien, in das er nicht mehr zurückkehren sollte, und ging nach Bari. Bis Mitte 1925 genoß er die Gastfreundschaft Mussolinis, der über ihn Druck auf Zogu ausüben wollte. Als es zwischen Italien und Albanien zu einem Vertrag über Finanzhilfe und Konzessionen für die Erdölförderung kam, mußten N. und seine Anhänger Italien verlassen. Mitte 1925 kam N. nach Wien, wo er Vorsitzender der KONARE (Komiteti Nacional Revolucionar - Nationales Revolutionskomitee) wurde. Nach dem Besuch einiger europäischer Städte hielt sich N. dann hauptsächlich in Deutschland auf. 1927 reiste er in die UdSSR und nahm am „Kongreß der Freunde der Sowjetunion“ teil. 1932 kehrte er in die USA zurück, zog sich aus dem politischen Leben zurück und trat sein Amt als Oberhaupt der albanischen orthodoxen Kirche wieder an. In Boston begründete er im gleichen Jahr die Zeitschrift „Republika“. 1938 beendete er das Konservatorium von New England; 1945 promovierte er an der Universität von Boston über Geschichte des Nahen Ostens und Rußlands. 1947 sammelten die Anhänger von „Vatra“ 20 000 Dollar, und N. begab sich nach Washington, wo er sich vergeblich bemühte, die amerikanische Regierung zur Anerkennung der VR Albanien zu bewegen. N. organisierte auch Hilfssendungen von Lebensmitteln und Medikamenten nach Albanien. Anfänglich waren seine Beziehungen zur albanischen Regierung deshalb durchaus gut, erst später, während des Kalten Krieges, verhielt sich N. reservierter. 1953 sammelten Anhänger von „Vatra“ 20 000 Dollar und kauften N. ein Haus in Fort Lauderdale in Florida; dort starb er am 13. März 1965. In seinem Testament bestimmte N., daß von seinem Vermögen von 50 000 Dollar 23 000 einem Fond für Studenten des albanischen Bistums in Amerika, 11 000 dem Bostoner Konservatorium und 11 000 dem Bostoner Symphonie-Orchester zukommen sollten. Das Haus, das ihm die „Vatra“ gekauft hatte, überließ er ebenfalls dem Bistum. Seine Bibliothek hatte er für die öffentliche Bibliothek in Boston bestimmt; als diese ablehnte, sie zu übernehmen, wurde sie nach Tirana überführt, wo sie der Nationalbibliothek einverleibt wurde. Neben seiner politischen und kirchlichen Aktivität beschäftigte sich N. vor allem mit Literatur und Publizistik. Sein schriftstellerisches Schaffen kann man in vier Gruppen unterteilen: Literatur, Geschichte, religiöse Literatur und Musikgeschichte. Sein erstes literarisches Werk war „Izraelitë dhe Filistinë“ (Israeliten und Philister, Boston 1907), ein Drama in drei Akten. Er entwickelte darin im Anklang an Nietzsche die Idee des Übermenschen, eine Idee, die ihn nicht mehr verlassen sollte. Es folgten eine Reihe von Übersetzungen von Werken der Weltliteratur in das Albanische (von Henry Wadsworth Longfellow, William Shakespeare, Henrik Ibsen, Blasco Ibáñez, Miguel de Cervantes, Edward Fitzgerald u. a.). Diese Übersetzungen versah er mit z. T. ausführlichen Vorworten. 1948 folgte „Albumi“ (Album), eine Sammlung von eigenen Gedichten. Von N.s historischen Werken kommt der „Historia e Skenderbëut“ (Geschichte Skanderbegs, Boston 1921, englische Ausgabe New York 1947) die größte Bedeutung zu. N. zeigt sich darin als einer der ersten modernen albanischen Historiker. Daneben sind zu erwähnen: Die Geschichte der „Vatra“ im „Kalendari i Vatrës“ (Vatra-Kalender, Boston 1918) und „Fiftieth Anniversary of the Albanian Orthodox Church in America 1908-1958“ (Boston 1960), in dem, verbunden mit der Biographie N.s, die Hauptdaten der Geschichte der albanischen orthodoxen Kirche wiedergegeben werden. Einen besonderen Platz nimmt N.s Buch „Beethoven and the French Revolution“ (New York 1947) ein, ein Werk, das von bekannten Autoritäten wie Bemard Shaw, Jan Sibelius, Thomas Mann u. a. hochgeschätzt wurde. Als großes Verdienst ist N. anzurechnen, daß er die Autokephalie der albanischen orthodoxen Kirche begründete, die die orthodoxe albanische Bevölkerung von der Gräzisierung und dem starken politischen Einfluß des Konstantinopler Patriarchats befreite. Um den Gottesdienst in albanischer Sprache zu ermöglichen, übersetzte N. auch verschiedene liturgische Werke ins Albanische, die fast alle in den USA gedruckt wurden. Nach der Beendigung des Konservatoriums versuchte sich N. auch im Komponieren. Handschriftlich liegen einige seiner Kompositionen vor, u. a. eine Skanderbeg-Symphonie. Die Herausgabe der gesammelten Werke N.s (Vepra të plota, 7 Bände, Prishtinë 1968) wurde von der Vatra finanziert. Die Bände enthalten neben seiner Biographie auch seine wichtigsten Aufsätze und Zeitungsartikel. N. war als Politiker, Bischof, Historiker, Übersetzer und Komponist eine sehr widersprüchliche Figur; er war ambitiös, von seiner messianischen Bedeutung für das albanische Volk überzeugt, gleichzeitig aber auch skeptisch, besonders gegenüber religiösen Dogmen. Er ist zweifellos zu den bedeutendsten und interessantesten Persönlichkeiten der neuesten albanischen Geschichte zu rechnen.
Literatur
Dilo, Leiter Lame: Ligjëron Fan Noli. Tirana 1944.
Buda, Aleks: Fan S. Noli (1882- 1965). In: Stud. alban. 2 (1965) 1, 3-8.
Zamboni, Giovanni: Mussolinis Expansionspolitik auf dem Balkan. Hamburg 1970.
Bala, Vehbi: Jeta e Fan S. Nolit. Tiranë 1972.
lliri, Artan: Lavdi e „Vatrës“ dje - kriza e „Vatrës“ sot. In: Koha e jonë (1974) 7-9, 10-12.
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