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Ivajlo, Anführer eines bulgarischen Bauernaufstandes 1277-1280, bulgarischer Zar 1278-1279, † 1280.
Leben
Wiederholte Einfälle der Ungarn, Byzantiner und vor allem der Tataren aus dem Norden lasteten in den achtziger Jahren des 13. Jh.s schwer auf der bulgarischen Bevölkerung außerhalb stark befestigter Städte. Hinzu kamen die sozialen Gegensätze im Land; einer geringen Anzahl von Großgrundbesitzern standen die Steuer- und abgabepflichtigen Abhängigen als Mehrheit gegenüber. Dem Zarenhof in Türnovo zeigte man sich feindselig, weil die Zarin Maria, eine Nichte Michaels VIII. Palaiologos, der Byzantinisierung des Hofes beschuldigt wurde. Unter diesen Umständen bedurfte es bloß einer starken, ausstrahlungskräftigen Persönlichkeit, um die Volksmassen zu einem offenen Aufruhr gegen die herrschende Ordnung zu bewegen. Im Frühjahr 1277 erzählte der Schweinehirt I., „ein schlauer, aber auch heißblütiger und ruheloser Kopf“ (Jirecek), seiner Umgebung von Heiligenvisionen, in denen er aufgefordert worden wäre, die Macht an sich zu reißen. Nach anfänglichem Gespött schloß sich ihm eine Schar an, die im Kampf gegen die eindringenden Tataren überraschende Siege errang. Dadurch ermutigt, zog man gegen die Güter einzelner Boljaren. Der kranke Zar Konstantin Äsen rüstete ein Heer gegen I.s Scharen und traf mit ihnen im Herbst 1277 in Nordostbulgarien zusammen. In einer blutigen Schlacht wurde der Zar von I. selbst ermordet. I.s nächster Schritt konnte nur die Einnahme Türnovos sein. In der Zwischenzeit hatte sich der byzantinische Kaiser Michael VIII. nach Adrianopolis begeben, um den bulgarischen Ereignissen näher zu sein, weil er ähnliche Vorgänge im eigenen Reich befürchtete. Nachdem Verhandlungen mit I. negativ verlaufen waren, unterstützte der Kaiser den Boljaren Ivan Mico, den späteren Asen III., als möglichen bulgarischen Zaren. Ein Heer unter Michael Glabas verwüstete 1277/78 südbulgarische Gebiete. Die bulgarische Zarin, wohl mit dem byzantinischen Kaiserhaus verwandt, aber eine große Feindin Michaels VIII., sah sich auf zwei Fronten eingeschlossen. Um den Thron für ihren Sohn Michail zu retten, entschloß sie sich, I. die Zarenstadt zu übergeben und seine Frau zu werden. Durch die Heirat wurde I. im Frühjahr 1278 durch die Boljaren zum Zaren ausgerufen. Noch war die Tatarengefahr nicht gebannt, und I. mußte mit Heeren Türnovo verlassen und nach Norden ziehen. Von Süden rückten wiederum byzantinische Heere an. Im Jahre 1279 konnten die Byzantiner in Abwesenheit I.s Türnovo einnehmen, Maria und ihren Sohn gefangennehmen und Äsen III. als neuen bulgarischen Zaren einsetzen. I. gelang es mit seinem erschöpften Heer nicht mehr, Türnovo zurückzuerobern. Nur zweimal besiegte er im Sommer 1280 noch byzantinische Truppen. Er sah allein in der Flucht einen Ausweg und begab sich zum Tatarenkhan Nogaj mit der Bitte um Unterstützung. Dort traf er auch seinen Widersacher Äsen III., der aus Türnovo geflohen war. Nach anfänglichen Versprechungen wurde I. bei einem Gastmahl ermordet. Fünfzehn Jahre später trat in Byzanz ein Pseudo-Ivajlo auf, der gegen die Türken in Kleinasien kämpfen wollte. Der byzantinische Kaiser ließ ihn jedoch bald einkerkern. Der geschichtliche Ablauf des bulgarischen Volksaufstandes kann nur in groben Umrissen rekonstruiert werden, weil die Erforschung der Gestalt Ls durch das ungenügende Quellenmaterial erschwert wird. In dem vorhandenen Material lassen sich Geschichte und Dichtung kaum mehr unterscheiden. Die wertvollsten und ausgiebigsten Quellen stammen von byzantinischen Geschichtsschreibern. Für das ausgehende 13. Jh. sind die Werke von Georgios Pachymeres und Nikephoros Gregoras von besonderer Bedeutung. Mittelpunkt in Pachymeres Darstellung bildet die bewegte Regierungszeit Michaels VIII. Palaiologos. Das Interesse, das der byzantinische Kaiser an der bulgarischen Politik und besonders an der Entwicklung der Revolte I.s bekundet, und seine Absicht, Nutzen aus den Ereignissen zu ziehen, veranlaßt Pachymeres, eingehender über die nördlichen Nachbarn zu berichten. Nikephoros Gregoras’ Nachrichten sind zweitrangiger, weil er die Zeit selbst nicht miterlebt hat und vieles von Pachymeres übernimmt. Die dritte byzantinische Quelle stellt ein Poem des Manuel Philes dar, das den Feldzug des Michael Glabas gegen I. besingt. Durch ihn sind die Namen einiger Gefährten I.s, nämlich Damjan, Kuman, Momcil, Künco und Stan, die Marschroute des Feldzuges sowie die Kampfplätze bekannt. Allein einem bulgarischen Abschreiber ist es zu verdanken, daß der Nachwelt der wirkliche Name des Anführers überliefert wurde. Die byzantinischen Quellen berichten nur von „Lachanas“, einer Übersetzung des bulgarischen „Bürdokva“ (dt. Lattich), möglicherweise einem Beinamen des Anführers. Im Kolophon der „Svürlizki listove“ von Evangelientexten erscheint der Name des Zaren I., der 1278/79 Türnovo belagerte. Jirecek hat als erster auf dieses Dokument hingewiesen und die Identität Ls mit Lachanas bestätigt. Der „Volksheld“ I. bleibt eine der faszinierendsten Gestalten in der bulgarischen mittelalterlichen Geschichte. Ähnlich wie die Tat der Jeanne d’Arc, mit der I. verglichen werden kann, viele Schriftsteller angeregt hat, den Stoff künstlerisch zu gestalten, ist das Auftreten Ls eines der weitverbreitetsten Themen für dichterische Werke innerhalb der historischen Dichtung über das bulgarische Mittelalter.
Literatur
Jireček, Constantin Jos.: Geschxchte der Bulgaren. Prag 1876.
Loparev, Chr.: Vizantijskij poèt Manuil Fil. K istorii Bolgarii v XIII-XIV veke. S.-Peterburg 1891.
Petrov, Petŭr Chr.: Vŭstanieto na Ivajlo (1277-1280). In: God. Sof. Univ., filos.-ist. Fak. 49 (1955) 1, 173-260.
Angelov, Dimitŭr: Ivajlo. Sofija 1954.
Petrov, Petŭr Chr.: Bŭlgaro- vizantijskite otnošenija prez vtorata polovina na XIII v., otrazeni v poemata na Manuil Fil „Za voennite podvizi na izvestnija čutoven stratostrator. In: Izv. Inst. bŭlg. Ist. 6 (1956) 545-576.
Ders.: Vŭstanieto na Ivajlo. Sofija 1956.
Karyškovskij, P. O.: Vosstanie Ivajla. Kresťjanskaja vojna v srednovekovoj Bolgarii v 1277-1280 gg. In: Viz. Vrem. 13 (1958) 107-136.
Karaivanov, Asen: Vŭstanieto na Ivajlo. 1277-1280. Sofija 1967.
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