Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Korais, Adamantios
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Korais, Adamantios

Korais, Adamantios, griechischer Philologe, Schriftsteller und Aufklärer, * Smyrna 27.04.1748, † Paris 6.04.1833.

Leben

 K. entstammte einer Familie, die väterlicher- und mütterlicherseits Gelehrte, Prälaten und Kaufleute hervorgebracht hatte. Sein auf Chios geborener Vater Ioannis († 1783) war als junger Mann nach Smyrna (Izmir) übergesiedelt, hatte sich dort zum angesehenen Kaufmann und Kommunalpolitiker hochgearbeitet und 1746 die Tochter des wohlhabenden und gelehrten Kaufmannes Diamantis Risios-Patirdoglu († 1747), Thomais, geheiratet. Als K. im Juli 1771 die angesehene „Evangelische Schule“ in Smyrna absolvierte, besaß er nicht nur die für seine Heimat und sein Alter übliche Bildung, sondern beherrschte neben dem Altgriechischen und dem Französischen auch das Hebräische, Italienische und Lateinische, das er sich beim liberalen, in Smyrna ansässigen Exilholländer Pater Bernhard Kenn erworben hatte, so daß er die klassische Literatur mit Hilfe einer von seinem Großvater geerbten Bibliothek im Original kennenlernen konnte. Im August 1771 kam er als Handelskorrespondent seines Vaters über Livorno und Wien nach Amsterdam, um gemeinsam mit dem Kompagnon seines Vaters, Petros Stamatis, die dortige Filiale zu leiten. Da er sich aber eher den Studien als den Geschäften widmete, wurde er im Juli 1778 in die Heimat zurückbeordert, wo er seine Studien bei Kenn fortsetzen konnte. 1782 erhielt er die väterliche Erlaubnis zum Auslandsstudium und kam darauf über Livorno und Marseille am 9. Oktober in Montpellier an, wo er sich an der Medizinischen Fakultät immatrikulieren ließ. Nach einem glänzenden vierjährigen Studium bekam er sein preisgekröntes Diplom (Bakkalaureat, 11.07.1786), dann das höhere Diplom (Lizentiat, 5.02.1787) und schließlich sein Doktordiplom (16.02.1787) mit einer preisgekrönten Dissertation über Hippokrates, nachdem er sich als Lehrbeauftragter an derselben Universität (11. VII. bis 11.10. 1786) hervorgetan hatte. Ende Mai 1788 ging er nach Paris, wo er bald als Spezialist für die Herausgabe klassischer, insbesondere medizinischer, Texte bekannt wurde. Die 1789 ausgebrochene französische Revolution machte auf ihn einen unaus löschlichen Eindruck und prägte sein ganzes Leben. Auf die vorläufige Einnahme der Ionischen Inseln durch die französischen Truppen (1797) und den daraufhin erfolgten Feldzug Napoleons in Ägypten (1798/99) setzte K. seine Hoffnungen zur Befreiung Griechenlands und zur Errichtung eines „gräko-französischen“ Staates, wozu er seine Landsleute mit einem „Kriegsgesang“ (Asma Polemistirion, 1800) und einem Aufruf
 in Prosa (Salpisma Polemistirion, 1801/1821) aufrief. Die 1800 erschienene zweibändige Hippokrates-Ausgabe, die 1810 vom Institut Français preisgekrönt wurde, begründete seinen Ruf als einer der erfolgreichsten Altphilologen seiner Zeit. So wurde er ein Jahr später, 1801, von Napoleon gemeinsam mit zwei französischen Philologen mit der Übersetzung der „Geographie“ Strabos beauftragt, die nach ihrem Erscheinen (1805) ihm eine jährliche Ehrenrente auf Lebenszeit vom französischen Staat einbrachte. Obwohl er den Höhepunkt seiner Karriere erreicht hatte, lehnte K. zweimal (1805 und 1814) einen ihm angebotenen Lehrstuhl am Collège de France ab. Die während der griechischen Revolution in Troizen einberufene 3. Nationalversammlung sprach ihm mit ihrem Dekret vom 9. April 1827 als einzigem Griechen den Dank der Nation für seine hohen Verdienste aus. K. kehrte jedoch auch nach der Pro- klamierung der griechischen Unabhängigkeit nicht in die Heimat zurück und zog es zweiten Heimat“, Paris, zu sterben, die er seit etwa 45 Jahren nicht vor, in seiner verlassen hatte (vgl. seine Grabinschrift im Montparnasse-Friedhof). Hinter diesem äußerlich unbewegten Dasein jedoch verbarg sich einer der liberalsten, lebendigsten und produktivsten Geister seiner Zeit, was sich in seinem ungewöhnlich vielfältigen Werk offenbarte. Selbst nur seine einige Tausende Briefe umfassende, sich auf sechs Jahrzehnte erstreckende Korrespondenz mit den angesehensten Wissenschaftlern, Schriftstellern, Politikern und Philhellenen (u. a. Jean-Baptiste Villoison, Char-don de la Rochette, Porte du Theil, Firmin Didot, Friedrich Thier sch, Eduard Everett, Thomas Jefferson, Ioannis Kapodistrias, Alexandros Mavrokordatos), legt ein beredtes Zeugnis davon ab. Schon sein Erstlingswerk, eine kleine „Orthodoxe Belehrung“ (Orthodoxos Didaskalia, 1782), die Übersetzung eines Katechismus des Moskauer Metropoliten Plato, die er mit seinen eigenen Kommentaren versah, machte sowohl die Richtung als auch die Technik seiner späteren aufklärerischen Tätigkeit deutlich: Die christliche Katechese (1783 folgten noch zwei Katechesen von K.) diente ihm zur Bekämpfung des - auch politisch gemeinten - Aberglaubens (Deisidaimonia). Derselben Technik bediente er sich auch viel später, als er eine antipäpstliche Broschüre aus dem Lateinischen ins Griechische übersetzte (Simvuli trion episkopon ... pros ton papan Iulion ton triton = Ratschlag dreier Bischöfe an den Papst Julius III., 1820), um auf die Korruption und die Unwissenheit des orthodoxen Klerus hinzuweisen (des gleichen Kunstgriffs bediente sich 1866 Emmanuil Roidis mit „I Papissa Ioanna“ = Die Päpstin Johanna). Diese Verflechtung religiöser und politischer Aufklärung machte sich auch in seiner „Adelfiki Didaskalia“ (Brüderliche Belehrung, 1798) bemerkbar, in der er das Recht der von den Türken unterjochten Griechen auf Widerstand im Sinne der französischen Revolution gegen die Sklavensprache einer „väterlichen Belehrung“ aus den Kolla- borateuren-Kreisen des Patriarchats verteidigte. Der Weg zur Befreiung seines Volkes führte nach K. über dessen geistige Wiedergeburt, die „Paideia“. Dies sollte erreicht werden, indem die Errungenschaften des „aufgeklärten Europa“ (Frankreichs an erster Stelle, dann Englands und Deutschlands) auf die Griechen „transfundiert“ würden - sein Terminus dafür war „Metakenosis“. Dazu wäre die Übertragung aufklärerischer Schriften ins Griechische, wie etwa die
 Übersetzung des Werkes des italienischen Frühaufklärers Cesare Beccaria „Dei delitti e delle pene“ (Peri amartimaton ke pinon, 1802) durch K. und vor allem die Hinwendung zu den alten Vorbildern das wichtigste Mittel - der Neoklassizismus des K. drückte keinen konservativen Nationalismus aus, sondern durchaus die Ideale der europäischen Aufklärung. In diesem Sinne wandte er sich der Herausgabe, Übersetzung und Kommentierung altgriechischer Autoren zu (Hauptwerk Elliniki Vivliothiki [Griechische Bibliothek], 16 Bände, 1807/27, mit 9 Anhang-Bänden, Parerga, 1809/27). Die Prologe und Einleitungen zu diesen Ausgaben machen ein umfassendes theoretisches Werk für sich aus, das in der Form der Abhandlung oder des platonisch-aufklärerischen Dialoges auf die Bildung und das Bewußtsein seiner Landsleute abzielt. So findet sich z. B. in der Einleitung zur „Politik" (1821) und zur „Ethik“ (1822) des Aristoteles gemeinsam mit der „Improvisierten Abhandlung zum Dogma Nomoi Kalon, Nomoi Kakon“ (1818/19) die Kodifizierung seiner politischen Philosophie. Vollends im Geiste der europäischen Aufklärung vom Naturrecht und der Vernunft ausgehend gelangt er zum Zentralbegriff Freiheit, die er aber mit der Gerechtigkeit und der Humanität untrennbar verbindet („J’ idolâtre la liberté, mais je voudrais la trouver assise au milieu de la Justice et de l’ Humanité“). Auch wenn er die griechische Revolution auf einen späteren Zeitpunkt, etwa auf 1850, angesetzt hatte und von deren „frühzeitigem“ Ausbruch 1821 überrascht wurde, gilt er mit Recht als deren bedeutendster Wegbereiter. Schon 1803 wußte er mit einer vor der Gesellschaft der „Observateurs de l’ Homme“ gehaltenen Rede (Mémoire sur l’ état actuel de la civilisation dans la Grèce) die Anschuldigungen der „Griechenhasser“, namentlich Cornelius Pauws, zurückzuweisen und somit das griechische Selbstbewußtsein zu stärken. Auch praktisch griff er in die Bemühungen seiner Landsleute zur Selbstbehauptung ein: Die Gründung einiger Schulen in Griechenland und die Errichtung einer öffentlichen Bibliothek auf seiner Heimatinsel Chios sowie die französische Expedition unter dem General Charles Fahvier ebendort (Oktober 1827) gehen auf seine Initiative zurück. Seine ideologische Stellung in der „Mitte“ geht zwar philosophisch auf Aristoteles zurück, bringt aber, politisch gesehen, seine Parteinahme für den - bürgerlichen - dritten Stand zum Ausdruck. In diesem Sinne sind zunächst seine Polemik gegen den Opportunisten Panajotis Kodrikas und allgemeiner seine Stellungnahme zur „Sprachenfrage“ (Brief an die Zeitschrift „Hermes Logios“ [Der gelehrte Hermes] vom 5.09.1817) und seine „Improvisierten Reflexionen“ (Stochasmi Aftoschedii, 1805/14) zu verstehen: Als Grundlage der neugriechischen Schriftsprache sollte die sog. „Volkssprache“ dienen, jedoch von ihren „Barbarismen“ gereinigt und durch die alte Sprache angereichert. Das mag vielleicht auch seinen Gegensatz zum in Griechenland errichteten Staat erklären, den er in der Person Kapodistrias zunächst mahnend, dann tadelnd kritisierte (fünf Kapodistrias-Dialoge, 1827/31; vgl. dazu seine frühe Kritik an der ersten, „provisorischen“ griechischen „Verfassung von Epidauros“ aus dem Jahre 1823 und „Ti simferi is tin eleftheromenin apo tus Turkus Ellada na praxi is tas parusas peristasis" [Was nützt dem befreiten Griechenland zu tun ...], 1830), weil er in ihm die Fortpflanzung der alten feudalistischen Strukturen und der FanariotenKlientel aus der Türkenzeit sah (was auch die Tatsache erklärt, daß er unter der Regierung Ottos I. totgeschwiegen wurde). Die Rückkehr zum „griechischen Voltaire“, wie er übertrieben genannt wurde, erfolgte viel später, infolge des unter Trikupis ansetzenden Aufstiegs des „dritten Standes“ in Griechenland, zu einer Zeit aber, in der schon Wortführer eines „vierten Standes“ sich auch in Griechenland zu Wort gemeldet hatten.

Literatur

Therianos, Dionisios: A. Korais. 3 Bde. Triest 1889/90.
Oeconomou, Ch. P.: Die pädagogischen Anschauungen des A. Korais. Leipzig 1908.
Kokkaliadis, Th. und G. Mutafis: O A. Korais peri politias ke dikeu. Chios 1935.
Dimaras, Konstantinos: O Korais ke i epochi tu. Athen 1958.
Papaderos, Alexander: Metakenosis, das kulturelle Zentralproblem des neuen Griechenland bei Korais und Oikonomos. Meisenheim am Glan 1970(2).
Dimaras, Konstantinos: To politiko thema ston Korai. Athen 1963.
Korais, A.: Allilografia. Hrsg. K. Dimaras [u. a.]. 2 Bde. Athen 1964/66.
Korais, A.: Apanta. Hrsg. Georgios Valetas. 2 Bde in 4 Bden. Athen 1964/65.
Eranos is A. Korain. Athen 1965.
Rotolo, Vicenzo: A. Korais e la questione della lingua in Grecia. Palermo 1965.
Henderson, G. P.: The Revival of Greek Thought. 1620-1830. Edinburgh, London 1971, 142-158.

Verfasser

Georg Veloudis (GND: 124116787)

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Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd118565346.html


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Empfohlene Zitierweise: Georg Veloudis, Korais, Adamantios, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 2. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1976, S. 476-479 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1179, abgerufen am: (Abrufdatum)

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