Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Haymerle, Heinrich Karl
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Haymerle, Heinrich Karl

Haymerle, Heinrich Karl (ab 1876 Freiherr von), österreichisch-ungarischer Außenminister, * Wien 7.12.1828, † ebd. 10.10. 1881, Sohn des Hofkriegsagenten und Agenten des Deutschen Ritterordens Johann H. (1793-1833) und der Wilhelmine Káan.

Leben

Nach dem Besuch der Wiener Orientalischen Akademie trat H. in den diplomatischen Dienst ein und wurde 1850 Dolmetscheradjunkt in Istanbul und 1857 Legationssekretär in Athen. Auch während des Krimkrieges in diplomatischer Mission (Bulgarien) erwarb sich H. rasch den Ruf eines außerordentlich begabten, durch weitreichende politische Kenntnisse hervorragenden Diplomaten, den sein Vorgesetzter Graf Julius Andrássy als besten Kenner der orientalischen Angelegenheiten als dritten Bevollmächtigten Österreichs mit zum Berliner Kongreß nahm, auf dem sich H. an der Abfassung der Beschlüsse maßgeblich beteiligte.
H. war als ein Mann größter Vorsicht und Zurückhaltung bekannt. Seine nachdrückliche Unterstützung der Politik Andrássys bewirkte auf dessen Vorschlag hin seine am 8. Oktober 1879 erfolgte Ernennung zum Minister des Äußeren und des kaiserlichen Hauses. Im Rahmen der Ausführung der für Österreich-Ungarn günstigen Bestimmungen des Berliner Vertrages bildete H.s politisches Programm die wirtschaftliche Durchdringung des Balkans durch die Doppelmonarchie, verbunden mit eindringlichen Bemühungen um möglichst fruchtbare Beziehungen zu den Balkanstaaten, um auf diese Weise den Frieden auf der Balkanhalbinsel aufrechtzuerhalten, ein Programm, das die Festlegung des österreichischen Interesses an der Integrität des Osmanischen Reiches in Europa nach Maßgabe der allerdings recht problematischen Verhältnisse dortselbst mit einschloß. In diesem Sinne gelang es H., eine friedliche Lösung der Grenzstreitigkeiten zwischen der Pforte und den zwei jungen Staatsgebilden Montenegro und Griechenland zu erreichen.
Das Kernstück der Balkanpolitik H.s bildete neben dem erfolgreichen Abschluß eines Geheimvertrages zwischen Wien und Belgrad (am 28.06.1881), in dem sich Serbien ganz den österreichischen Interessen sowohl außen- wie handelspolitisch unterordnete, seine weniger erfolgreiche Donaupolitik, die H. im Sinne eines dominierenden Einflusses des Habsburgerreiches auf die mittlere Donau (vom Eisernen Tor bis Galatz) trotz der entschiedenen Gegnerschaft Englands und Rumäniens stark forcierte. H.s Donaupläne (avant-projet) opferte sein Nachfolger Graf Gustav Siegmund Kálnoky dem 1883 geschlossenen Defensivbündnis mit Rumänien.
Es bleibt ein Verdienst H.s, eine Annäherung der italienischen Politik an den Zweibund herbeigeführt zu haben; sein jäher Tod hat H. an der Ausführung seines höchsten Zieles, dem Abschluß des Dreibundes, verhindert.
Die Instabilität der bulgarischen Verhältnisse sowie die Änderung der englischen Orientpolitik unter Gladstone bewogen H. schließlich, seinen Widerstand gegen das von Bismarck mit allem Nachdruck betriebene Projekt eines Dreikaiserbündnisses aufzugeben, bei dem freilich die unterschiedliche Interpretation des Zweibundes in Berlin und Wien eine bedeutende Rolle spielte. Betrachtete Bismarck den Zweibund mehr als Vorstufe zum Dreikaiserbund und jenen als Rückversicherung in diesem, so betonte H. hingegen die Ungleichwertigkeit der Beziehungen Wiens zu Berlin und zu Petersburg. Die spätere politische Entwicklung auf dem Balkan erwies seinen Standpunkt als weitblickender als die Desinteressiertheit des deutschen Reichskanzlers an der Orientpolitik, der mit seinem Bündnissystem die Problematik eines Übereinkommens der beiden auf dem Balkan rivalisierenden Großmächte unterschätzte. Gegen Zusicherung der gegenseitigen Interessen, nämlich der Donaumonarchie in der Frage der Annexion von Bosnien-Herzegowina sowie der russischen in Bulgarien kam schließlich der Dreimächtevertrag am 18. Juni 1881 zustande, ohne freilich das grundsätzliche und gegenseitige Mißtrauen zwischen Wien und Petersburg zu beseitigen; denn die Lösung der zwischen ihnen stehenden Probleme blieb nur aufgeschoben, eine Tatsache, die Andrássy zu der Kritik an seinem Nachfolger veranlaßte, daß sein erklärtes politisches Ziel, Österreich-Ungarn die Führerrolle im Orient zu sichern, von H. in der vorliegenden Form einer Bindung Wiens an Petersburg bereits aufgegeben worden sei.
Am 10. Oktober 1881 starb H. völlig unerwartet; seine genau zwei Jahre währende Amtszeit war zu kurz, um zu weitgehenderen politischen Resultaten zu führen. Sein von ihm vorgeschlagener und tatsächlicher Nachfolger, Graf Kálnoky, hat seine Politik mit folgenden Worten gewürdigt: „Die Wahl war richtig, Baron Haymerle hat Ansehen und Interessen des Reiches zu vertreten gewußt.“

Literatur

Arneth, Alfred Ritter von: Heinrich Freiherr von Haymerle. Ein Rückblick auf sein Leben. Berlin 1882.
Wertheimer, Eduard von: Graf Julius Andrássy. Bd 3. Stuttgart 1913.
Charmatz, Richard: Geschichte der auswärtigen Politik Österreichs im 19. Jh. Bd 2. Berlin, Leipzig 1918(2).
Hauptmann, Ferdinand: Österreich-Ungarns Werben um Serbien 1878-1881. In: Mitt. österr. Staatsarch. 5 (1952) 122-149.
Gotz, Dietlinde: Österrreich-Ungarn und die Donaufrage vom Berliner Kongreß bis zur Londoner Donaukonferenz 1878 bis 1883. (Diss.) Graz 1950.
Wischall, Susanne: Das Ministerium Haymerle 1879-1881. (Diss.) Wien 1964.

Verfasser

Gerhard Seewann (GND: 1069961280)

GND: 118773526

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd118773526.html


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Empfohlene Zitierweise: Gerhard Seewann, Haymerle, Heinrich Karl, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 2. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1976, S. 136-137 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=942, abgerufen am: (Abrufdatum)

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