Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Dandolo, Enrico
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Dandolo, Enrico

Dandolo, Enrico, Doge von Venedig, * um 1107, † Konstantinopel 14.06.1205.

Leben

D. hatte bereits verschiedene öffentliche Ämter innegehabt (u. a. war er venezianischer Gesandter bei Kaiser Manuel I. Komnenos - die Blendung durch den oströmischen Kaiser scheint jedoch Legende zu sein, D. litt wahrscheinlich unter Altersschwachsichtigkeit - und bei Wilhelm II., König von Sizilien), als er 1192 Doge wurde. Zunächst vertrieb er die Hauptkonkurrenten Venedigs, die Pisaner, die 1192 in Pula auf Istrien Fuß gefaßt hatten und mit Brindisi im Bunde standen, aus der Adria (1201). Dann ergriff er die sich durch den 4. Kreuzzug bietende Chance, die Stellung seiner Heimatstadt im östlichen Mittelmeerraum zu stärken: Venedig hatte sich, nicht ohne das persönliche Dazutun D.s, im April 1201 verpflichtet, die für den Kreuzzug benötigten Schiffe zu stellen; als die für die Miete der Schiffe vereinbarten Geldmittel durch die Kreuzfahrer nicht aufgebracht werden konnten, nötigte D. diese, zunächst das rebellische Zara (Zadar), das sich unter ungarische Oberhoheit gestellt hatte, zu erobern (11. - 18.11.1202). Den Winter verbrachte D. mit den Kreuzfahrern in Zadar; als sie im Frühjahr 1203 aufbrachen, schloß sich ihnen Alexios Angelos, der Sohn des entmachteten Kaisers Isaak II., an. Er hatte mit den Kreuzfahrern und Venedig ein Abkommen geschlossen, worin er sich bereit erklärte, den Kreuzzug durch Truppen und finanzielle Subsidien zu unterstützen und die Union mit der römischen Kirche einzugehen, wenn man ihm helfen würde, den Usurpator Alexios III., seinen Onkel, zu vertreiben. Der Kreuzzug nahm so eine völlig neue Richtung: D. hatte unter der Androhung, er werde die Flotte wegen Nichteinhaltung der Zahlungsverpflichtungen seitens der Kreuzfahrer nach Venedig zurückziehen, erreicht, daß das griechische Projekt angenommen wurde. Im Juli 1203 wurde mit der Belagerung Konstantinopels begonnen; der greise D. leitete selbst die Operationen der venezianischen Truppen. Alexios III. floh nach einigen wenig erfolgreichen Versuchen, Widerstand zu leisten. Am 1. August wurde Alexios (IV.) Angelos neben seinem Vater zum Kaiser gekrönt. Da er und Isaak II. die mit Venedig und den Kreuzfahrern geschlossenen Vereinbarungen nicht einhalten konnten und wollten, kam es zur erneuten Belagerung Konstantinopels durch Venezianer und Kreuzfahrer. Die Griechen unter ihrem neuen Kaiser Alexios V. Dukas leisteten erbitterte Gegenwehr, konnten aber nicht verhindern, daß die Stadt am 13. April 1204 durch die Kreuzfahrer erobert wurde, nachdem Verhandlungen an der Unerfüllbarkeit der Forderungen D.s gescheitert waren. Nach der Plünderung, die allen Beteiligten reiche Beute brachte (u. a. auch zahllose Kunstwerke; die berühmten vier Rösser und die Tore der Fassade von S. Marco stammen von daher), ging man an die Wahl des Kaisers. Es scheint, daß D. selbst eine reale Chance hatte, gewählt zu werden; da den venezianischen Interessen jedoch ein lateinisches Kaiserreich unter schwacher Führung mehr entsprach, unterstützte D. den Grafen Balduin von Flandern gegenüber dem politisch fähigeren Markgrafen Bonifatius von Montferrat. Nach der Wahl Balduins kam es zu der bereits vor der Eroberung besprochenen Aufteilung des oströmischen Reiches: drei Achtel des Reiches kamen an Venedig (drei Achtel der Hauptstadt, das Nordufer des Marmarameeres, die Ägäischen und Ionischen Inseln und eine große Anzahl von Küstenplätzen in Griechenland), der Rest wurde zwischen den Kreuzfahrern und dem Kaiser aufgeteilt (drei Achtel kamen an die Kreuzfahrer, ein Viertel mit der Lehenshoheit über das Gesamtreich an den Kaiser). Durch Kauf kam Venedig zur gleichen Zeit in den Besitz von Kreta. D. konnte sich so mit gutem Recht „Herr von drei Achteln des ganzen Reiches der Romäer“ (dominator quarte et dimidie partis totius imperii Romanie) nennen - ein Titel, den seine Nachfolger noch 150 Jahre lang führten. 1205 nahm D. an dem erfolglosen Feldzug Balduins gegen die Bulgaren teil; seiner Besonnenheit ist es zu verdanken, daß wenigstens ein Teil der lateinischen Truppen nach Konstantinopel zurückgeführt werden konnte. D. starb noch im gleichen Jahre und wurde wahrscheinlich in der Hagia Sophia begraben.
Die Gestalt des Dogen ist von den Geschichtsschreibern verschieden beurteilt worden; manche behaupteten sogar, D. habe mit den islamischen Herrschern paktiert, um die Kreuzfahrer vom Hl. Land fernzuhalten, was nicht zu beweisen ist. Sicher ist, daß D. ein genialer Politiker war, der für seine Vaterstadt das Beste tat und Venedig in den Rang einer europäischen Großmacht erhob.

Literatur

Kretschmayr, Heinrich: Geschichte von Venedig. Bd 1. Gotha 1905.
Bravetta, Ettore: Enrico Dandolo. Milano 1929.
Gozzano, Umberto: Enrico Dandolo. Torino 1941.

Verfasser

Peter Bartl (GND: 133417492)


GND: 119190230

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Empfohlene Zitierweise: Peter Bartl, Dandolo, Enrico, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 1. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1974, S. 365-367 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=707, abgerufen am: (Abrufdatum)

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