Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Petr I., der Große
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Petr I., der Große

Peter I. (Petr) Alekseevič, der Große, Zar von Rußland 1682-1725, *  Moskau 09.06.1672, † St. Petersburg 08.02.1725, Sohn des Zaren Aleksej Michajlovič aus dessen zweiter Ehe mit Natal'ja Naryškina.

Leben

P. wurde 1682 nach dem Tode seines Halbbruders, des Zaren Fedor III. Alekseevič, zusammen mit seinem anderen Halbbruder, dem debilen Ivan V. († 1696), zum Zaren ausgerufen. Für den Zehnjährigen übernahmen zunächst seine Mutter, später seine Halbschwester Sofija Alekseevna die Regentschaft. 1689 verwies er Sofija in ein Kloster.
Im Winter 1694/95, bereits wenige Monate nach dem Tode seiner Mutter (Januar 1694) und damit der faktischen Machtübernahme, entschloß sich P. zum Feldzug gegen das Osmanische Reich. Rußland befand sich zwar schon ab 1687 im Krieg mit der Pforte, aber seit dem zweiten erfolglosen Versuch, die Krim zu erobern (1689), hatte es keine militärischen Aktionen mehr gegeben. Azov war für den Zaren das Hauptziel, da sich sein Streben nach einem eisfreien Hafen zunächst nach dem Süden, ins Azovsche bzw. Schwarze Meer, richtete. Am 18. Juli 1696 konnte P. auch mit Hilfe ausländischer Miniertechniker die Festung Azov erobern.
1697/98 unternahm P. seine berühmte Europareise, bei der er vornehmlich außenpolitische Ziele verfolgte: er wollte eine Art Kreuzzug der christlichen Staaten gegen die „Feinde des Kreuzes“ - den Sultan in Istanbul und den Krimchan - zustandebringen. Freilich war ein solcher Plan am Vorabend des Spanischen Erbfolgekrieges (1701-1714) nicht zu realisieren. Wien war nach den Erfolgen des Prinzen Eugen (Sieg bei Zenta 11.09.1697) nur noch an einem raschen Frieden interessiert. Am 13. Juli 1700 schloß P. deshalb in Istanbul Frieden mit Mustafa II.: P. bekam Azov, und an den Krimchan brauchte er keinen Tribut mehr zu zahlen. Außerdem bekamen die Russen das Recht, einen ständigen diplomatischen Vertreter in Istanbul zu halten. Sogleich nach dem Friedensschluß, im August 1700, erklärte P. Karl XII. von Schweden den Krieg (Nordischer Krieg). Nach dem überlegenen Sieg des Zaren bei Poltava (08.07.1709) gelang es dem Schwedenkönig, der nach Istanbul geflohen war, Ahmed III. im November 1710 zum erneuten Waffengang gegen Rußland zu bewegen, obwohl P. bemüht gewesen war, den Konflikt zu vermeiden. So proklamierte P. am 25. Februar 1711 in der Uspenskij-Kathedrale sein Kriegsmanifest, das eine neue Komponente in die russische Orientpolitik brachte: der Sultan wird darin mit einem Wolf verglichen, der grundlos den Krieg begonnen und damit Vertrags- und Eidbruch begangen hat. Die ganze Christenheit, besonders die christlichen Völker, die sich unmittelbar unter seiner Herrschaft befinden, habe unter seinem Joch zu leiden. - Diese Verbindung zu den Balkanchristen wurde bewußt von P. aufgenommen, da sich die Hilfegesuche orthodoxer Christen an Rußland in dieser Zeit gehäuft hatten. U. a. hatten sich an P. gewandt der serbische Patriarch Arsenije III. Crnojević (1698 in Wien); der Fürst der Walachei Constantin Brîncoveanu nach der Schlacht bei Poltava 1709; der Fürst der Moldau Dimitrie Cantemir, der am 13. April 1711 in Luck (Wolhynien) mit den Russen einen Vertrag schloß, in dem sich die Moldau der Oberhoheit des Zaren unterstellte, sowie Franz II. Rákóczi, der 1707 mit P. in Warschau einen Geheimvertrag abschloß, der ihm darin den polnischen Thron anbot. Einer der engsten Vertrauten P.s und Berater in balkanischen Angelegenheiten war ab Anfang des 18. Jh.s aber Sava Vladislavić, genannt Raguzinskij, der wahrscheinlich auch der Verfasser jener Proklamation war, die P. am 3. März 1711 an alle Christen griechischen und römischen Glaubens in Serbien, Slawonien, Mazedonien, Bosnien, der Herzegowina und Montenegro erließ, und in der er seinen Willen zu verstehen gab, die Christen Südosteuropas vom türkischen Joch zu befreien. Diese Proklamation war an den montenegrinischen Metropoliten Danilo Petrović in Cetinje adressiert, womit auch die Periode enger montenegrinisch-russischer Beziehungen begann, die fast zwei Jahrhunderte andauern sollte.
Dieser zweite Türkenkrieg P.s endete mit einer Niederlage. P. drang zwar über den Dnestr vor, wurde aber am 21. Juli 1711 am Pruth von den überlegenen Türken eingeschlossen und geschlagen. Nur infolge der in andere Richtung zielenden türkischen Interessenpolitik - es wurden keine Forderungen zugunsten der Schweden angemeldet - wurde P. gerettet. Bereits am 23. Juli 1711 wurde der Präliminarfrieden am Pruth zwischen dem russischen Vizekanzler Baron Petr Šafirov und dem Großwesir Baltaci Mehmed Pascha unterzeichnet: Rußland kam glimpflich davon - es mußte Azov zurückgeben, und die militärischen Anlagen am Schwarzen Meer (Taganrog) fielen mitsamt der Azov-Flotte an die Pforte. Die ständige russische Gesandtschaft in Istanbul wurde aufgehoben, und Karl XII. sollte ungehindert nach Schweden reisen können. Im Vertrag von Adrianopel vom 27. Juni 1713 wurde der Pruthfrieden bestätigt. Doch bildete den Hauptpunkt dieses endgültigen Friedensabkommens die „polnische Frage“, d. h. die Räumung Polens durch die Russen und Freiheit für die Zaporoger Kosaken.
Der Pruthfeldzug von 1711 hatte der Pforte die Gefährdung der Randprovinzen durch das russische Vordringen drastisch vor Augen geführt und zwang sie, die militärisch-strategische und politische Kontrolle über die Donaufürstentümer zu verbessern. Die Errichtung des Phanariotenregimes bildete somit die Antwort der Türkei auf die russische und österreichische Gefahr (Nicolae Mavrocordat wurde 1711 Fürst der Moldau und 1715 Fürst der Walachei). Die energische Kriegführung P.s im Norden zwang Schweden nach zwanzigjährigem Kampf zum Abschluß des Friedens von Nystad (10.09.1721), der Rußland in den Besitz von Ingermanland, Estland, Livland und einen Teil Kareliens brachte und den Ausbau der bereits 1703 oberhalb der Neva-Mündung neu gegründeten Residenz St. Petersburg förderte. Die Stelle Schwedens als Großmacht im Ostseeraum nahm fortan das Zarenreich ein. P. wurde als „der Große“ gefeiert und nahm im Oktober 1721 den Titel eines „vserossijskij imperator“ („allrußländischer Kaiser“) an.

Literatur

Platonov, Sergej Fëdorovič: Pëtr Velikij. Paris 1927.
Bogoslovskij, Michail Michajlovič: Pëtr Velikij. Materialy dlja biografii. 5 Bde. Moskva 1940/48.
Sumner, Benedict Humphrey: Peter the Great and the Ottoman Empire. Oxford 1949.
Tarle, Evgenij Viktorovič: Russkij flot i vnešnjaja politika Petra I. Moskva 1949.
Kostić, Mita: Kult Petra Velikog kod Rusa, Srba i Hrvata u XVIII veku. In: Ist. Čas. 8 (1958) 83-106.
Kurat, Akdes Nimet: Der Prutfeldzug und der Prutfrieden von 1711. In: Jb. Gesch. Osteuropas 10 (1962) 13-66.
Wittram, Reinhard: Peter I., Czar und Kaiser. 2 Bde. Göttingen 1964.
Sumner, Benedict Humphrey: Peter the Great and the emergence of Russia. London 1964(5).

Verfasser


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Empfohlene Zitierweise: , Petr I., der Große, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 3. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1979, S. 441 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1525, abgerufen am: (Abrufdatum)

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