Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Osman I.
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Osman I.

Osman I. (Osman Gazi), erster Herrscher und Eponymos der Dynastie Osman 1281 (?) - 1326(?), * Söğüt 1258 (?), † ebd. 1326(?), Sohn des Ertoğrul.

Leben

Der Tradition zufolge wurde O. 1258 in Söğüt im westlichen Kleinasien geboren, und nach dem Tode seines Vaters Ertoğrul 1281 (nach anderen Quellen 1287 bzw. 1289) soll er dessen Nachfolge als Stammesführer des Stammes der Kayi, die ein Zweig des großen Türkenstammes der Oghuzen waren, angetreten haben. Als der Stamm unter Führung Ertoğruls das kleine Gebiet um Söğüt als Weide- und Wohnland bezogen hatte, umfaßte er vierhundert Zelte und befand sich im Untertanenverhältnis zu den Herrschern der Rumseldschuken von Konya. Im Jahre 1289 soll O. vom Sultan der Rumseldschuken Mes’ud II. zum Markgrafen (Uçbey) der in seinem Besitz befindlichen Gebiete ernannt worden sein. Die ersten Zusammenstöße mit den benachbarten byzantinischen Burgherren erfolgten 1287 und 1288 in der Gegend von Domaniç: beim ersten Treffen gegen die Herren von Inegöl und Karacahisar blieb O. der Erfolg versagt. Beim zweiten Waffengang gegen dieselben Gegner besiegte O. deren Truppen, und 1291 (nach anderen 1288) fiel die Burg Karacahisar in seine Hand. Einer Verschwörung seiner byzantinischen Nachbarn, die O. anläßlich einer Hochzeitsfeier der Tochter des Herrn von Yarhisar beseitigen wollten, entging O. durch die Warnung seines byzantinischen Freundes und Kampfgefährten Mihal (Köse Mihal), des Herrn von Harmankaya. Im Verlaufe der Gegenmaßnahmen gelang es O., die Burgen Bilecik und Yarhisar zu erobern. Die Tochter des Herrn von Yarhisar gab er seinem Sohn Orhan zur Frau. Diese ging unter dem Namen Nilüfer Hatun und als Mutter Süleyman Paschas und Murads I. in die osmanische Geschichte ein. Während dieser Ereignisse tötete O. seinen Onkel Dündar, der von der Verschwörung der byzantinischen Herren gewußt haben soll, dieses aber verschwiegen hatte, um O. zu schaden (1299). Daß sich hinter diesem nichtssagenden Bericht eine Rivalität zwischen O. und seinem Onkel verbirgt, und daß die Herrschaft O.s nicht unumstritten war, ist offensichtlich. Der Zusammenbruch des Seldschukenreiches von Rum einerseits und die Schwäche des byzantinischen Reiches andererseits begünstigten die Unternehmungen O.s und gestatteten ihm eine weitgehend freie Durchführung seiner Absichten. Der Bericht, daß nach der Eroberung von Karacahisar das Freitagsgebet auf den Namen O.s vollzogen worden sei (1290 Anonyme Chroniken, 1299 Aşık Pascha Zade), was einen Souveränitätsakt dargestellt und die Unabhängigkeit O.s bedeutet hätte, darf wohl als legitimistische Interpolation betrachtet werden. Im Jahre 1299 gelang es O., die mächtigste Burganlage der Gegend, Inegöl, nachdem diese von seinem Kampfgefährten Turgut Alp schon belagert worden war, einzunehmen. Nach diesen Erfolgen begann O. die Vorbereitungen zur Zernierung von Nikaia (Iznik) und Bursa zu treffen und machte damit die byzantinischen Nachbarherren und selbst Konstantinopel auf die Gefahr, die ihnen durch ihn drohte, aufmerksam. Es kam zu einer gemeinsamen Aktion der byzantinischen Stadt- bzw. Burgherrn von Bursa, Kestel und Kite, die ihre Truppen (5000 Mann) gegen O. schickten. Bei Koyunhisar (Bapheum) kam es zur Schlacht, aus der O. als Sieger hervorging. Die Burg Kite bei Bursa fiel in die Hände des Siegers (1302). Kocahisar (Trikokiya) eroberte O. 1308 und 1313-1315 gelang es ihm zusammen mit Köse Mihal, der Muslim geworden war, die Plätze Lefke, Mekese und Akhisar zu besetzen, wodurch die Umzingelung Bursas abgeschlossen war. In seinen letzten Lebensjahren soll O. an den kriegerischen Unternehmungen nicht mehr selbst teilgenommen haben (ab 1320), da ihn ein Fußleiden behinderte. Er habe, so heißt es, noch bei Lebzeiten seinen Sohn Orhan mit allen Aufgaben des wachsenden Staatswesens betraut, und er soll die Eroberung von Bursa (1326) noch erlebt haben (Aşık Pascha Zade). Wie immer dem sei, über das Todesjahr O.s wissen wir nicht genau Bescheid: Ob O. bald nach der Übergabe der Führungsgeschäfte an seinen Sohn Orhan (1320?) gestorben war, oder ob er wirklich noch die Eroberung Bursas erlebt hat, ist ungewiß. In einer Urkunde aus dem Jahre 1324 wird Orhan bereits als Herrscher genannt (Uzunçarşılı). Nach seinem Ableben soll O. in Söğüt an der Seite seines Vaters begraben worden sein, und erst zu einem späteren Zeitpunkt hat man den Leichnam nach Bursa überführt und dort beigesetzt (was für das Ableben O.s vor der Eroberung Bursas spricht). Inschriften, Urkunden und Münzen auf den Namen O.s sind auf uns nicht überkommen. Paul Wittek spricht sich gegen die Tradition aus, die O. als Stammesführer darstellt und glaubt in ihm den Anführer einer Gemeinschaft von Gazi-Kriegern (Glaubenskriegern) sehen zu dürfen, was eine Stammestradition und Stammesstruktur ausschließt. Die Gazi in Kleinasien waren Glaubenskrieger, die in Kriegergemeinschaften zusammengeschlossen waren, und deren Ideale der Glaubenskrieg und eine mittelalterlich-ritterliche Ethik auf der Grundlage einer volkstümlich-islamischen Mystik waren. Neben diesen militanten Vereinigungen gab es auch einen zivilen Zweig, die Ahı-Bünde, in denen Kaufleute und Handwerker zusammengeschlossen waren. Zu diesen stand O. in einem besonderen Nahverhältnis, das sich in seiner Heirat mit der Tochter des Ahı-Schejchs Edebali, Mal Hatun (Bālā Hatun), die die Mutter seiner Söhne Alaeddin und Orhan war, ausdrückte. Ebenso belegt dieses Nahverhältnis die Deutung des prophetischen Traumes O.s (oder seines Vaters) über die künftige Herrschaft seines Geschlechts durch den obengenannten Schejch. Da die Chroniken darüber hinaus hinreichend Zeugnisse über die Beziehungen O.s zu den Gazi- bzw. Ahı-Bünden enthalten, erscheint die Annahme Witteks nicht unberechtigt. Unsere oft sehr lückenhaften Kenntnisse um die Verhältnisse und Begebenheiten in der Frühzeit des Osmanischen Reiches erlauben nur in seltenen Fällen eine endgültige Stellungnahme gegenüber den Problemenen, die sich aus einander widersprechenden Aussagen der Chronisten, d. h. der Überlieferungen im weiteren und der Reichstradition im engeren Sinne, ergeben. Die Quellen unseres Wissens über die Persönlichkeiten und historischen Ereignisse der Gründungszeit des Osmanischen Reiches sind im wesentlichen die altosmanischen Chroniken, deren auf uns überkommene Fassungen in der zweiten Hälfte des 15. Jh.s festgelegt wurden: In einer Zeit also, in der die spätere offizielle Reichstradition schon so weit ausgebildet war, daß sie die textliche Gestaltung der Chroniken weitgehend beeinflußt hat. Diese spätere Reichstradition, deren Anliegen in erster Linie der Nachweis der Legitimität der Dynastie war, geriet öfters in Widerspruch zu den ursprünglichen Überlieferungen der Chroniken und wurde so eine der Ursachen der differierenden Inhalte der früh- osmanischen Chroniken.

Literatur

Hammer: Bd 1.
Giese, Friedrich: Das Problem der Entstehung des Osmanischen Reiches. In: Zeitschrift für Semitistik 2 (1923) 246-271.
Ders. (Hrsg.): Die altosmanischen anonymen Chroniken. T. 2: Übersetzung. Leipzig 1925.
Uzunçarşılı, Ismail Hakkı: Osmanlı Tarihi. Bd 1. Ankara 1947.
Wittek, Paul: The Rise of the Ottoman Empire. London 1958.
Kreutel, Richard F.: Vom Hirtenzelt zur Hohen Pforte. Graz, Wien, Köln 1959. = Osmanische Geschichtsschreiber. 3.

GND: 118747789

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd118747789.html


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Empfohlene Zitierweise: Anton Cornelius Schaendlinger, Osman I., in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 3. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1979, S. 363-365 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1483, abgerufen am: (Abrufdatum)

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