Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

In den Suchergebnissen blättern

Treffer 
 von 1526

Ibrahim Müteferrika

Ibrahim Müteferrika, osmanischer Staatsmann und Diplomat, Gründer der ersten Offizin für türksprachige Drucke, * Klausenburg 1670/74, † Istanbul 1745, Sohn einer Unitarier-Familie, dessen christlicher Name nicht überliefert worden ist.

Leben

I. flüchtete um 1691 vor der habsburgischen Herrschaft und schloß sich den Aufständischen des Imre Thököly an, bei denen er als Verbindungsoffizier zu den Os- manen Verwendung fand. Bald darauf tauchte er als Mitglied der osmanischen Bürokratie in Istanbul auf, wo er inzwischen zum Islam übergetreten war. Etwa 10 Jahre später rechtfertigte er diesen Schritt mit dem in türkischer Sprache geschriebenen Traktat „Risäle-i islämiyye“ (Abhandlung über den Islam). In dieser Schrift versuchte er, eine genetische und ideologische Verwandtschaft zwischen dem Unitarismus und dem Islam nachzuweisen; sonst ist die Grundtendenz seiner Ausführungen eine Absage an den Katholizismus und an die machtpolitischen Bestrebungen des Papsttums. I., der inzwischen zum Ratgeber des Sultans aufgestiegen war, nahm an einer Reihe von entscheidenden Staats Verhandlungen teil: 1715 in Wien mit Prinz Eugen; 1716 in Belgrad, wo er mit ungarischen Magnaten, die im Kampf gegen Habsburg engagiert waren, verhandelte; 1720 mit Ferenc II. Rdkoczy, dem er als ständiger osmanischer Verbindungsmann beigestellt wurde; 1737 in Kiev im Zusammenhang mit der polnischen Frage; 1738 in der Festung Orşova zwecks Übergabe der Festung an die osmanischen Truppen. 1740 hatte er zudem - neben Bonneval - entscheidenden Anteil an dem Zustandekommen eines türkisch-schwedischen Defensiv-Bündnisses gegen Rußland. 1743 war er in diplomatischer Mission in Daghestan. Obwohl es lange vor dem Auftreten I.s in der Türkei Druckereien gegeben hat (die mit kyrillischen, hebräischen, arabischen und armenischen Schrifttypen arbeiteten), gelang es erst ihm, den religiös getarnten Widerstand der Schreiber- und Kalligraphenzunft gegen die „schwarze Kunst“ endgültig zu brechen. 1727 erwirkte er ein Fetwa (Rechtsvotum), das den Druck mit beweglichen Lettern für religionszulässig erklärte. Gleich darauf gründete er - vom Großwesir Nevşehirli Ibrahim Pascha, ferner vom ehemaligen osmanischen Botschafter beim französischen Hofe Yirmisekiz Mehmed Qelebi und dessen Sohn Said Efendi sowie vom damaligen Schejch ül-Islam unterstützt - die erste türkische Offizin. In der glänzend geschriebenen Schrift „Wasîlat aţ-ţibâca“ (Anlaß des Buchdrucks) plädierte er für sein Unternehmen und wies auf die Nachteile hin, die der islamischen Gelehrsamkeit durch die bis dahin herrschende negative Einstellung zur Erfindung Gutenbergs erwachsen waren. Die Druckerei brachte in kurzer Zeit 17 Druckwerke heraus. Ihre Themen bezogen sich auf Sprache, Geschichte, Naturwissenschaften, Geographie und die Probleme der Erneuerung der islamischen Welt. Veröffentlicht wurde 1732 auch eine Abhandlung von I. über die Art des Regierens, „Usül al-hikam fl nizäm al-umam“, die in einer französischen Übersetzung von Karoly Graf Reviczky 1769 in Wien erschien (Traite de la tactique). I. besorgte außerdem mehrere Übersetzungen aus europäischen Sprachen ins Türkische. Infolge des Janitscharenaufstandes 1730, der Ermordung von Ibrahim Pascha, der Ls bewährter Freund war, und der Abdankung Ahmeds III. mußte der Druckereibetrieb zeitweilig eingestellt werden. Erst nach Einholung eines Fermans von Sultan Mahmud I. konnte dieser wieder aufgenommen werden. I. verpflanzte durch seine Wirksamkeit in Istanbul die geistige Atmosphäre seiner Heimat Siebenbürgen nach Kleinasien. Er inspirierte jenes Memorandum, in dem von Sultan Ahmed III. Reformen im Militär- und Unterrichtswesen gefordert wurden und gab dadurch zu den berühmten Tanzimat (Reformen) Anstoß. In der geistigen Vorbereitung der Türkei für den Anschluß an das Abendland liegt wohl das größte Verdienst I.s, dessen Wirkungsbereich eine reichhaltige Palette von Interessen in sich vereinigte. I. holte auch verschiedene europäische Experten ins Land und gründete in Yalova eine der wichtigsten Papierfabriken.

Literatur

Babinger, Franz: Stambuler Buchwesen im 18. Jahrhundert. Leipzig 1919.
Simonffy, Aladár von: Ibrahim Müteferrika, Bahnbrecher des Buchdrucks in der Türkei. Budapest 1941.
Gövsa, Ibrahim Alâettin: Türk Meşhurları Ansiklopedisi. Istanbul [um 1942], 185.
Berkes, Niyazi: Ibrahim Müteferrika. In: The Encyclopaedia of Islam. Bd 3. Leiden, London 1971, 996-998 (mit Bibliographie).

Verfasser

Smail Balić (GND: 120362201)

GND: 118994468

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd118994468.html


RDF: RDF

Vorlage (GIF-Bild):  Bild1   Bild2   

Empfohlene Zitierweise: Smail Balić, Ibrahim Müteferrika, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 2. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1976, S. 209-210 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=995, abgerufen am: (Abrufdatum)

Druckerfreundliche Anzeige: Druckerfreundlich

Treffer 
 von 1526
Ok, verstanden

Website nutzt Cookies, um bestmögliche Funktionalität bieten zu können. Mehr Infos