Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

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Herakleios

Herakleios, byzantinischer Kaiser 610-641, * Kappadokien um 575, † Konstantinopel 11.2. 641, vermutlich armenischer Abstammung.

Leben

Von seinem Vater gleichen Namens, dem Exarchen von Karthago, zur Befreiung Konstantinopels ausgesandt, stürzte H. Phokas und wurde darauf am 5. Oktober 610 zum Kaiser gekrönt. Er übernahm die Führung eines Reiches, das vom Untergang bedroht schien. Im europäischen Gebietsteil drangen die Awaren und Slawen vor, im asiatischen die Perser. Auf der Balkanhalbinsel wurde das griechische Element weiterhin zurückgedrängt. Nur wenige Stützpunkte blieben fest in byzantinischen Händen, vor allem Thessalonike, das auch den schweren Angriffen von 616 und 618 nicht erlag. Gegen die Perser erlitt das byzantinische Heer 613 eine verhängnisvolle Niederlage bei Antiochien. Darauf rückten die Perser nach Südwesten bis Jerusalem (614) und Alexandrien (618) vor, vermutlich sogar bis Karthago, und nach Nordosten bis an den Bosporus (615). Vergebens versuchte H. durch weitgehende Zugeständnisse zu einem Friedensvertrag mit Chosrau II. zu kommen. In den Jahren 617-618 scheiterten auch Verhandlungen mit dem Awarenkhagan. Bei einer Zusammenkunft mit ihm entkam H. sogar nur mit knapper Not einem verräterischen Überfall. Die Getreideversorgung Konstantinopels geriet durch den Verlust Ägyptens ins Stocken und H., der an einer Rettung des Reiches mit Konstantinopel als Basis zweifelte, entschloß sich, die Residenz nach Karthago zu verlegen. Patriarch Sergios konnte jedoch den Kaiser von diesem Plan abbringen. Man kann annehmen, daß Sergios dem Kaiser für den Krieg gegen Persien die finanzielle Unterstützung der Kirche zusicherte und ihm einen neuen Plan für die Wiedervereinigung der monophysitischen Kirchen von Armenien, Syrien und Ägypten mit der Reichskirche vorlegte. Spätestens seit diesem Zeitpunkt bereitete sich H. auf den entscheidenden Kampf gegen Persien vor. Ob zu diesen Vorbereitungen auch die Themenorganisation in Kleinasien und eine Reorganisation der Finanzen gehört haben, ist sehr fraglich. Gegen die Ansicht, daß H. der Neugründer des mittelbyzantinischen Staates gewesen sein soll, sind in der jüngeren Forschung bedeutende Einwände erhoben worden (Lemerle). Sicher ist, daß H. sich durch hohe Tributzahlungen an die Awaren den Frieden in Europa erkaufte (619) und dadurch Truppen für den Krieg in Asien freimachte. In einem sechsjährigen Krieg (622-628) gelang es ihm, das Perserreich niederzuringen. Allerdings erleichterten ihm innere Machtkämpfe in Persien den Endsieg. Während seiner Abwesenheit wurde Konstantinopel von Awaren und Slawen sowie von den Persern belagert (626), die Angriffe wurden aber abgeschlagen. Für die Awaren bedeutete dieser Fehlschlag das Ende ihrer Vorherrschaft auf dem Balkan. Schon 622/23 hatten sich Slawen, vermutlich von H. dazu ermutigt, unter Führung des fränkischen Fürsten Samos gegen die Awaren erhoben und den ersten slawischen Staat gegründet. Unter dem protobulgarischen Fürsten Kuvrat, der als Geisel in Konstantinopel aufgewachsen war und dort das Christentum angenommen hatte, entstand jetzt ein bulgarischer Völkerverband, der mit H. ein Bündnis schloß. Auch die Serben und Kroaten schwächten die Awaren erheblich und erkannten vermutlich offiziell die Oberhoheit des byzantinischen Kaisers an. H. erhielt zwar dadurch den Balkan nicht zurück, wurde aber auch nicht mehr unmittelbar von den Awaren bedroht. Die Slawisierung der Balkanhalbinsel erreichte so, begünstigt durch den einseitigen Einsatz von H. in Asien, seinen Höhepunkt. Ein wichtiges Bündnis schloß der Kaiser 626 in Lazika mit den Chazaren. Ihre Teilnahme am Perserkrieg blieb freilich beschränkt, doch gestaltete sich das Bündnis zu einem wichtigen Faktor in der byzantinischen Ostpolitik. Nach dem Sieg über die Perser widmete sich H. besonders der kirchlichen Wiedervereinigung mit den rückeroberten monophysitischen Provinzen. Der Fehlschlag dieser Unionsversuche führte zu neuen Verfolgungen, die diese Gebiete für die arabische Eroberung reif machten. Der entmutigte H. leistete den Eroberern keinen entschiedenen Widerstand mehr. 641 erlag er einer schweren Krankheit. Sein politisches Testament löste einen Kampf um den Thron aus.

Literatur

Bury, John B.: A History of the Later Roman Empire from Arcadius to Irene (395-800). Bd 1. London 1889, 207-257.
Pernice, Angelo: L’imperatore Eraclio. Saggio di Storia bizantina. Firenze 1905.
Grégoire, Henri: An Armenian Dynasty on the Byzantine Throne. In: Armenian Quarterly 1 (1946) 4-21.
Lemerle, Paul: Quelques remarques sur le règne d’Héraclius. In: Studi Medievali 3 (1960) 1, 347-361.
Karayannopoulos, J.: Über die vermeintliche Reformtätigkeit des Kaisers Herakleios. In: Jb. Österr. Byzant. Ges. 10 (1961) 53-72.
Van Dieten, Jan-Louis: Geschichte der griechischen Patriarchen von Konstantinopel. Von Sergios I. (610-638) bis Johannes VI. (711-715). Amsterdam 1971, 1-63.
Kaegi, W. E.: New evidence on the early reign of Heraclius. In: Byzant. 2. 66 (1973) 308-330.

Verfasser

Jan Louis van Dieten (GND: 1047967324)

GND: 118846981

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd118846981.html


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Empfohlene Zitierweise: Jan Louis van Dieten, Herakleios, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 2. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1976, S. 146-148 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=951, abgerufen am: (Abrufdatum)

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