Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Cankov, Dragan
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Cankov, Dragan

Cankov, Dragan, bulgarischer Politiker, * Svištov 28.10. 1828, † Sofia 11.03.1911.

Leben

C. erhielt in Svištov bei Christaki Pavlovič und Emanuil Vaskidovič den ersten Unterricht; seine weitere Ausbildung erfolgte in Odessa, Kiew und Wien. 1852 veröffentlichte er in Wien eine (deutsch geschriebene) „Grammatik der bulgarischen Sprache“, die in der Fachwelt stark beachtet wurde. 1857 wurde C. Lehrer an der französischen Schule in Istanbul, wo er zur gleichen Zeit eine bulgarische Druckerei gründete. Am 28. März 1859 erschien die erste Nummer seiner Zeitschrift „Bŭlgarija“, der er diesen Namen gegeben hatte, „um auszudrücken, daß wir unser eigenes Land und Volk haben“. In diesen Jahren wandte sich C. immer stärker dem Katholizismus zu; er trat für eine Katholisierung der überwiegend orthodoxen Bulgaren und für eine „Union“ mit Rom ein - eine Entwicklung, die er 1860 mit seiner Konversion zum Katholizismus besiegelte. Für die „Union“ und gegen den orthodoxen und russisch-panslawischen Einfluß auf die Bulgaren kämpfte auch die Zeitschrift „Bŭlgarija“. Nach kurzen aber heftigen Kämpfen schwor C. im August 1863 diesen Gedanken wieder ab, rekonvertierte und trat in den türkischen diplomatischen Dienst ein. Jahrzehnte später stellte er dieses Intermezzo als Gründungsversuch einer einigen und unabhängigen bulgarischen Kirche hin, der von ihm abgebrochen wurde, als die römischen Einflüsse übermächtig wurden.
Bis 1873 führte C. ein bewegtes Leben: er war Dragoman, Paßinspektor, Richter, Zensor, Lehrer (in Ruse, später am „Lycée impérial ottoman“ in Istanbul) usw. Strafweise in Istanbul festgehalten, schrieb er u. a. eine „Kurze bulgarische Geschichte“ (1868) und redigierte bis 1870 das „Čitalište“, bis 1874 das „Pedagogičesko Spisanie“. 1876 schickten die Istanbuler Bulgaren ihn und andere in geheimer Mission zu den Großmächten, um von diesen die Autonomie Bulgariens zu erbitten. C. kehrte 1877 mit den russischen Truppen nach Bulgarien zurück, wo er der erste bulgarische Zivilgouverneur wurde, zunächst in Svištov, dann in Tŭrnovo. 1879 gründete C. zusammen mit Karavelov die „Liberale Partei“, im gleichen Jahr war er Deputierter der Konstituierenden Großen Nationalversammlung, in der er heftig gegen den russischen Verfassungsentwurf, das „Organische Statut“, opponierte. Nach einem kurzen Aufenthalt als erster bulgarischer Botschafter in Konstantinopel wurde C. Ministerpräsident (24.03.-28.11.1880) und Innenminister in der Regierung Karavelov (28.11.1880-27.04.1881). Der bulgarische Fürst Alexander von Battenberg nutzte die Schwäche und Unbeliebtheit der liberalen Regierung, um sich in einem Staatsstreich vom Mai 1881 außerordentliche Vollmachten zu sichern. C. und seine Freunde bekämpften den Fürsten und die hinter ihm stehenden Russen, von denen, so C., Bulgarien „weder den Honig, noch den Stachel“ wolle (nito meda, nito žiloto). Im Februar 1882 wurde C. verhaftet und für 18 Monate unter harten Bedingungen in Vraca interniert; die Haft und sein für den 10. Februar 1883 anberaumter Prozeß machten C. in den Augen der Öffentlichkeit zum „Märtyrer“ - eine Stimmung, die er 1883 in seiner Broschüre „Političeskij proces na Dragan Cankov“ geschickt stützte. Inzwischen hatte sich der Fürst mit den Russen überworfen und begnadigte C., der im Triumph nach Sofia zurückkehrte und vom 7. September 1883 bis 29. April 1884 als Ministerpräsident amtierte. Dabei zerstritt er sich mit den Radikalen seiner Partei um Karavelov und Slavejkov, wodurch sich 1894 der rechte Flügel von der Liberalen Partei abspaltete (aus dem 1899 die „Progressiv-liberale Partei“ entstand). Die Aussöhnung zwischen C. und dem Fürsten wandelte sich bald wieder in gegenseitigen Haß. C. agierte gegen den Fürsten und trat in die Regierung des Metropoliten Kliment als Innenminister ein, die am 21. August 1886 den Fürsten stürzte. Der drei Tage später erfolgte Machtantritt Stambolovs zwang C. ins russische Exil (Petersburg), von wo aus er 1894 im Triumphzug zurückkehrte, ohne indes politisch wieder aktiv zu werden.
C. war ohne Zweifel die umstrittenste Gestalt der bulgarischen politischen Szene des 19. Jh.s. Seine oftmaligen extremen Kurswechsel erschweren eindeutige Urteile über ihn: kaum ein Lob und wenige Verdammungen, die nicht irgendwann über ihn geäußert worden wären. Dennoch ist Ivan Šišmanov zuzustimmen, der den „fanatischen Glauben an den Genius des bulgarischen Volks“ als Triebkraft C.s erkannte. C. selbst hatte gegen Ende seines Lebens versucht, die Hauptbeschuldigungen gegen seine Person abzuwehren: daß er gegen die bulgarische Vereinigung mit Ost-Rumelien gewesen sei, ein Interventionsrecht der Hohen Pforte befürwortet und den Sturz des „Battenbergers" bewußt betrieben habe. Unberührt davon bleibt das Urteil von K. Spisarevski: „... wenn man die politische Geschichte Bulgariens von der Wiedergeburt bis zum heutigen Tage [d. i. 1891] schreiben will, dann muß man mit dem Namen von Vater Cankov beginnen und enden.“

Literatur

Spisarevski, Kosta D.: Pogroma na liberalna partija i Dr. Cankov. Sofija 1891.
Radev, Simeon: Stroitelite na sŭvremenna Bŭlgarija. 2 Bde. Sofija 1900/10.
Dragan Cankov. Nekrolog. In: Bŭlg. Sbirka 18 (1911) 4, 291.
Velčev, Velčo: Stranici ot novata ni političeska istorija. Sofija 1924.
Šišmanov, Ivan: Dragan Cankov (1828-1911). In: Bŭlg. Misŭl (1928) 3, 14-29.
Patriarch Kiril: Katoličeskata Propaganda sred bŭlgarite pres vtorata polovina na XIX vek (1859-1865). Bd 1. Sofija 1962.

Verfasser

Wolf Oschlies (GND: 107216760)

GND: 118638211

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd118638211.html


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Empfohlene Zitierweise: Wolf Oschlies, Cankov, Dragan, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 1. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1974, S. 285-286 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=643, abgerufen am: (Abrufdatum)

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