Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Thugut, Johann Amadeus Franz de Paula Freiherr von
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Thugut, Johann Amadeus Franz de Paula Freiherr von

Thugut, Johann Amadeus Franz de Paula Freiherr von, österreichischer Staatsmann, * Linz 31.03.1736, † Preßburg (Bratislava) 28.05.1818, Sohn eines österreichischen Beamten bürgerlicher Herkunft.

Leben

Th. war einer der ersten Schüler der 1754 im Zuge der mariatheresianischen Reformen gegründeten Akademie für orientalische Sprachen in Wien und kam als Sprachknabe bald nach Istanbul, wo er die türkischen Verhältnisse kennenlernte und 1757 zum Dolmetscher, 1769 zum Geschäftsträger und 1771 (bis 27.08.1776) schließlich zum österreichischen Internuntius an der Pforte aufstieg. Als eifriger und überaus begabter Schüler des ihn stets fördernden Staatskanzlers Kaunitz eignete er sich rasch dessen politisches Konzept, das ganz auf die Erweiterung der österreichischen Großmachtstellung abzielte, an. Als geschickter Verhandlungsführer erwies sich Th. am Friedenskongreß zu Focşani 1772 und bei der Erwerbung der Bukowina 1775/76, die er mit der Pforte vertraglich regelte. Damit erwarb er sich das Vertrauen Maria Theresias, die ihn 1772 in den Freiherrenstand erhob und 1778 in Auszeichnung seiner Fähigkeiten mit der schwierigen Friedensmission in das Feldlager Friedrichs II. zu Braunau in Böhmen betraute, wodurch die Kaiserin hinter dem Rücken Kaiser Josephs II. dem bayerischen Erbfolgekrieg ein Ende setzte. Nach Gesandtschaften in Warschau und in Neapel leitete Th. 1790 kommissarisch die Verwaltung der Moldau und Walachei und schloß am 4. August 1791 mit dem von ihm ausgehandelten Friedensvertrag zu Sistowa (Svistov) den Türkenkrieg von 1787-1790 ab.
Nach Bekanntwerden der zweiten Teilung Polens wurde Graf Philipp von Cobenzl als Vizekanzler entlassen und am 27. März 1793 Th. die Leitung der Wiener Außenpolitik zuerst als „Generaldirektor“, nach dem Tode von Kaunitz 1794 auch als Staatskanzler übertragen. Dem für seinen Preußenhaß bekannten Th. gelang es, am 3. Januar 1795 mit Hilfe Englands die dritte Teilung und damit die Aufteilung Restpolens zwischen Österreich und Rußland unter Ausschluß Preußens zu erreichen. Preußen konterte mit dem Friedensvertrag zu Basel im April 1795, mit dem es aus der antifranzösischen Koalition gänzlich ausschied. Der zur Unnachgiebigkeit sowohl gegenüber Preußen als auch gegenüber Frankreich entschlossene Th. vermochte Süddeutschland gegen beide Mächte für Österreich zu behaupten und versuchte darüber hinaus, sich auch der auf Italien übergreifenden französischen Expansion entgegenzusetzen. Eine wichtige Rolle spielte dabei auch das von Th. neu aufgegriffene josephinische Tauschprojekt, dem kurpfälzischen Haus nunmehr für Bayern ein italienisches Territorium anzubieten, nachdem die Niederlande bereits verlorengegangen waren. Die militärischen Siege Napoleon Bonapartes und dessen Vorstoß bis in die Erblande im Frühjahr 1797 zwangen jedoch Th. nach dem Vorfrieden von Leoben zum Abschluß des Friedensvertrages von Campo Formio (17.10. 1797). Dieser brachte die Anerkennung der Cisalpinischen Republik, des endgültigen Verlustes der österreichischen Niederlande an Frankreich und demgegenüber den Erwerb der uralten Republik Venedig für Österreich.
Das Scheitern des Rastatter Friedenskongresses führte zum neuerlichen Ausbruch des Krieges gegen Frankreich, in dem Th. vergeblich Preußen in die österreichisch-englischrussische Koalition einzuordnen versuchte. Doch inzwischen hatte Th. einiges von seiner früheren Schwungkraft verloren und war im Gegensatz zu den Jahren vorher mehr darauf bedacht, größeren Wagnissen auszuweichen, freilich ohne sein altes Konzept aufzugeben. Daher haftete seiner Politik in den letzten beiden Jahren seiner Regierung ein Zug der Unsicherheit, ja der scheinbaren Systemlosigkeit an, was auf verschiedene Gründe zurückzuführen ist: außenpolitisch war es Rußland, das nach der Rückkehr Napoleons aus Ägypten aus der Koalition ausschied. Innenpolitisch machte der Hof und Regierung beherrschende Hochadel die dringlichen administrativen und militärischen Reformvorschläge des gesellschaftlichen Außenseiters Th. zunichte und trat in seiner Kurzsichtigkeit für eine strikte Erhaltung der bestehenden Zustände nach innen und außen und damit für einen Frieden mit Frankreich ein. Letztlich führte dieser Mangel einer ausreichenden Machtgrundlage sowie eine nicht immer glückliche Wahl der militärischen Befehlshaber zu den militärischen Katastrophen von Marengo und Hohenlinden (1800) und damit zum Zusammenbruch des von der kleindeutschen Geschichtsschreibung des 19. Jh.s heftigst kritisierten „Thugutschen Systems“, zu seiner Entlassung von seinem Amt am 26. September 1800 und zum Frieden von Luneville (9.02.1801), der den von Campo Formio im wesentlichen bestätigte. Dennoch ist im ersten Dezennium der Revolutionsepoche nach 1789 Th. gemeinsam mit England, das der Staatskanzler sehr geschickt zu größeren Subsidienzahlungen veranlaßte, als der entschlossenste Kämpfer gegen das revolutionäre Frankreich anzusehen.

Literatur

Vivenot, Alfred von u. Heinrich von Zeißberg: Quellen zur Geschichte der deutschen Kaiserpolitik während der französischen Revolutionskriege 1790-1801. 5 Bde. Wien 1873/90.
Ernstberger, Anton: Österreich-Preußen von Basel bis Campoformio 1795-1797. Prag 1932.
Folkert, Oskar: Johann Amadeus Franz de Paula Freiherr von Thugut. In: Gestalter der Geschicke Österreich. Hrsg. Hugo Hantsch. Wien 1962, 323-332.

Verfasser

Gerhard Seewann (GND: 1069961280)

GND: 118622390

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd118622390.html


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Empfohlene Zitierweise: Gerhard Seewann, Thugut, Johann Amadeus Franz de Paula Freiherr von, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 4. Hgg. Mathias Bernath / Karl Nehring. München 1981, S. 312-314 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1778, abgerufen am: (Abrufdatum)

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