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Radoslavov, Vasil Christov, bulgarischer Politiker und Literat, * Loveč 15.07.1854, † Berlin 21.10.1929.
Leben
Nach seinem Schulabschluß war R. Lehrer in Loveč und Gabrovo, während des Russisch-Türkischen Kriegs von 1877/78 machte er als Mitglied und Sekretär des Stadtrats von Loveč die ersten Schritte in der Politik. Danach studierte er in Prag, Wien und Heidelberg. 1883 wurde er Abgeordneter und als solcher ein überzeugter Anhänger des Liberalenführers Petko Karavelov. Karavelov war 1881 aus dem Fürstentum Bulgarien ausgewiesen worden und verbrachte zwei Jahre in „Ost-Rumelien“, dem halbautonomen Südbulgarien. Nach den Wahlen vom Frühjahr 1884 bildete Karavelov die Regierung und holte R. als Justizminister in sein Kabinett. Dieses Amt bekleidete R. bis August 1886, danach war er bis zum 12. Juli 1887 selbst Ministerpräsident und Innenminister. Bulgarien befand sich 1886/87 in einer überaus schwierigen Lage. Das Land hatte sich mit den Russen völlig überworfen, die das bulgarische Beharren auf staatlicher Souveränität mit grollendem Unverständnis aufnahmen. Dadurch aber kam es zu Spannungen zwischen Rußland, Deutschland und Österreich, die die Bulgaren durch die Wahl des Prinzen Ferdinand von Sachsen-Coburg zum Fürsten von Bulgarien (06.07.1887) ungerührt noch vergrößerten. Ferdinand konnte sich in Bulgarien nur deswegen halten, weil mit Stefan Stambolov („der bulgarische Bismarck“) ein überragender Staatsmann die Regierungsgeschäfte führte und zur Konsolidierung der Macht des Fürsten beitrug. R. überwarf sich mit Stamholov und zog sich in seine Rechtsanwaltspraxis zurück. Diese persönliche Fehde führte in der Liberalen Partei (von der sich 1884 bereits die Anhänger Dragan Cankovs abgespalten hatten) zu einer neuen Spaltung: Die Anhänger Stambolovs bildeten eine „Nationalliberale Partei“ (Narodnoliberalna partija), die Anhänger R.s (die sog. „Radoslavisti“) verließen ebenfalls die Partei, in der nur noch die Parteigänger Petko Karavelovs und Petko Slavejkovs verblieben. R.s politische Gruppe zeichnete sich durch eine scharf antirussische Gesinnung aus, R. selbst trieb wütende Opposition gegen Stambolov und den Fürsten, was ihm 1889 wegen Beleidigung des letzteren ein Jahr Haft einbrachte. Danach kultivierte er seine schriftstellerischen Talente, die schon früher zu Tage getreten waren: 1879 hatte er den bulgarischen Teil des in Wien erscheinenden „Slavjanski Almanach“ (Slawischer Almanach) redigiert, 1883/84 in Sofia insgesamt 54 Nummern der Wochenzeitung „Sŭznanie“ (Bewußtsein) herausgebracht, die sich im Untertitel als „Liberales Organ“ bezeichnete. Um 1890 war R. Chefredakteur der Zeitung „Narodni Prava“ (Nationale Rechte), 1891 gab er unter dem Pseudonym Ljuljakova eigene Lieder und Gedichte (Pesni i stichotvorenija) heraus. 1893 vereinigten sich die Anhänger R.s und Konstantin Stoilovs zur „Vereinigten Legalen Opposition“, für die R. und Stoilov die Zeitung „Svobodno slovo“ (Freies Wort) herausgaben. 1894 verließ R. die Redaktion wieder. Im gleichen Jahr wurde Stambolov gestürzt und Stoilov neuer Ministerpräsident; Justizminister wurde R., noch 1894 trat er jedoch zurück. Am 19. Januar 1899 wurde Dimitŭr Grekov neuer Ministerpräsident, R. in seinem Kabinett Innenminister; 1901 trat er von diesem Posten zurück. Inzwischen hatte am 1. Oktober 1899 Todor Ivančov ein neues Kabinett gebildet, in dem R.s Einfluß ausschlaggebend war (Radoslavistki režim). Am 9. Januar 1901 trat Ivančov zurück, wozu ihn vor allem seine unglückliche Wirtschaftspolitik - ungünstige Verträge mit der Wiener „Länderbank“, Bauernunruhen durch Einführung von Naturalabgaben usw. - zwang. Erst am 18. Juli 1913 übernahm R. anstelle Stojan Danevs erneut die Regierung und mit ihr die Verantwortung für den Ausgang des zweiten Balkankriegs, in dem Bulgarien von seinen ehemaligen Verbündeten im ersten Balkankrieg schwere Verluste zugefügt worden waren. Im Friedensvertrag von Bukarest (28.07.1913) mußte Bulgarien, vertreten durch die Regierung R., territoriale Einbußen in Mazedonien und der Dobrudscha hinnehmen. Hinzu kamen innenpolitische und wirtschaftliche Schwierigkeiten, als R. internationale Anleihen suchte: Berliner Bankhäuser stellten nahezu unannehmbare Bedingungen, während die Russen überhaupt nur dann Geld geben wollten, wenn ihr alter Feind R. gestürzt würde. Der heraufziehende und ausbrechende Weltkrieg brachte Bulgarien in eine Sonderstellung, da alle Seiten seine Neutralität mittels Druck oder Versprechungen zu erhalten suchten. Für das Land selbst war diese Lage alles andere als angenehm, da es sich zwischen der Türkei, die auf der Seite Deutschlands und Österreichs in den Krieg eingriff, und Serbien, deren gemeinsamer Gegner, befand. Trotzdem spielte R. die Karte der Neutralität mit größtem Geschick: Immer wieder ließ er anklingen, daß die Wiedergewinnung Mazedoniens das „Volksideal“ schlechthin sei, daß die bulgarische Regierung dennoch zur Aufrechterhaltung der Neutralität entschlossen sei. Der Erfolg blieb nicht aus: Rußland machte erneut Bündnisangebote, England und Frankreich versprachen Territorialgewinne, falls Bulgarien seine Neutralität bis Kriegsende erhielte, und innenpolitisch ging R. am 23. Februar 1914 bei zwei Nachwahlen zum Sobranje als absoluter Gewinner hervor: von 764000 Wählern stimmten 45 Prozent für die Regierung R. Der Gang des Krieges setzte dieser Schaukelpolitik indessen ein Ende, und am 8. September 1915 ordnete Bulgarien die allgemeine Mobilmachung seines Heeres an. Rußland verstand das als Votum für Deutschland und Österreich und drohte in einem Ultimatum vom 4. Oktober 1915 Konsequenzen an, „wenn binnen 24 Stunden die bulgarische Regierung nicht offen die Beziehungen zu den Feinden des Slawentums und Rußlands abbricht“. Tatsächlich war die Regierung R. längst dem Werben Deutschlands und Österreichs erlegen und hatte mit diesen am 6. September 1915 mehrere Abkommen geschlossen: einen Freundschafts- und Beistandspakt, eine Geheimabmachung über bulgarische Territorialgewinne als Föhn für seinen Kriegseintritt auf seiten der Mittelmächte und eine Militärkonvention, die Details dieses Kriegseintritts fixierte. Bereits am 14. Oktober 1915 eröffnete Bulgarien Kampfhandlungen gegen Serbien. Gleichzeitig tauchten erste Schwierigkeiten bei den Waffen- und Warenlieferungen auf, die Bulgarien zugesagt worden waren. Davon unbeeinträchtigt trat das Fand am 1. September 1916 zum zweiten Mal in einen Krieg mit Rumänien. Nachdem Bulgarien gewissermaßen an der Seite Deutschlands und Österreichs den ungünstigen Ausgang des zweiten Balkankriegs revidiert hatte, sank sein Interesse am Krieg beträchtlich. Sehr zum Ärger der deutschen Obersten Heeresleitung war es beispielsweise nicht zu bewegen, den USA den Krieg zu erklären oder auch nur die Beziehungen zu diesen abzubrechen. Mehr Engagement brachte Bulgarien nur für Versuche auf, mit Rußland einen Separatfrieden zu schließen: Von R. und dem deutschen Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg autorisiert, versuchte der bulgarische Gesandte in Berlin Dimitŭr Rizov das ganze Jahr 1917 über vergeblich, die wechselnden russischen Regierungen für dieses Vorhaben zu gewinnen. Im Sommer 1918 kam es überdies zwischen R. und den Verbündeten zu Zerwürfnissen über das Schicksal der Dobrudscha, und am 16. Juni 1918 trat R. zurück und überließ es seinem Nachfolger Aleksandŭr Malinov, am 25. September 1918 zu beschließen: „Der Feind soll um Waffenstillstand, eventuell um Friedensschluß ersucht werden Die Koalitionsregierung der Nachkriegszeit unter Aleksandŭr Stambolijski ließ alle Mitglieder der Regierung R. am 4. November 1919 in Sofia inhaftieren - R. selbst befand sich zu dieser Zeit bereits im deutschen Exil. 1923 wurde er in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt, im Mai 1929 amnestiert. R.s Erinnerungen an die politischen Begebenheiten in Bulgarien, vor allem von der Zeit des ersten Balkankrieges bis zum Ende des Weltkrieges, erschienen 1923 in Berlin unter dem Titel „Bulgarien und die Weltkrise“.
Literatur
Obvinitelen akt protiv bivšite ministri ot kabineta na D-r V. Radoslavov prěz 1913-1918 godini. Sofija 1921.
Haucke, Kurt: Bulgarien. Land, Volk, Geschichte, Kultur, Wirtschaft. Bayreuth 1942(2), 40-43.
Topalov, Vladislav: Kŭm istorijata na radoslavistkija režim (19 januari 1899-27 noemvri 1900 g.). In: Ist. Pregled 17 (1961) 6, 12-45.
Königslöw, Joachim von: Ferdinand von Bulgarien. München 1970, passim.
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