Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Prokesch von Osten, Anton Graf
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Prokesch von Osten, Anton Graf

Prokesch (ab 1830 P. von Osten), Anton Freiherr (1845), dann Graf (1871), österreichischer Diplomat und Orientalist, * Graz 10.12.1795,  † Wien 26.10.1876, aus einer österreichischen Familie südmährischer Herkunft, Sohn des Franz Maximilian P. († 1811) und der Anna Prokesch, geb. von Stadler († 1804).

Leben

P. machte seit seinem 1812 erfolgten Eintritt in die österreichische Armee rasch Karriere, zuerst im Stabe Erzherzog Karls, 1818-1820 als Adjutant des Feldmarschalls Fürsten Karl zu Schwarzenberg, nach dessen Tod (1820) P. nach Oberungarn, 1823 als Hauptmann nach Triest versetzt wurde. Der geistig ganz unter dem Einfluß der deutschen Klassik stehende und schon ab 1821 von der Welle des Philhellenismus erfaßte P. nahm dort die Gelegenheit wahr, sich 1824 in die junge österreichische Marine versetzen zu lassen, um auf ihren Schiffen ausgedehnte Reisen durch die levantinischen Gewässer zu unternehmen, auf denen er sich (bis Ende 1829) profunde Kentnisse über die Völker des Orients erwarb. Seine Erfahrungen führten ihn zu einer nüchternen Beurteilung der Machtverhältnisse im griechischen Freiheitskampf und des Charakters des griechischen Volkes. P.s Reiseberichte und Denkschriften erregten bald die Aufmerksamkeit Metternichs und Gentz', die ihn durch zahlreiche Kontaktaufnahmen mit griechischen und türkischen Staatsmännern diplomatische und militärpolitische Aufgaben und Erkundungen ohne direkten offiziellen Auftrag erfüllen ließen.
Im Herbst 1826 bereiste P. Ägypten, um die militärische Macht dieses gefährlichsten Gegners Griechenlands zu studieren. Anfang 1827 zum Major ernannt, erhielt P. mit seiner Zuteilung zum Generalstab des österreichischen Levante-Escadrekommandanten Silvester Dandolo auch einen offiziellen Status. Auf Wunsch von Kapodistrias übernahm P. Anfang April 1828 die Auswechslung von griechischen gegen ägyptische Kriegsgefangene, die einer größeren Anzahl von Griechen als erwartet die Freiheit und P. großes Ansehen bei den Griechen einbrachte.
Der im Jahre 1829 in Wien erschienene erste Band der „Erinnerungen aus Ägypten und Kleinasien“ machte P. zum Mitbegründer einer neuen literarischen Gattung, der „Reisetagebücher“, die in Form von Erlebnisschilderungen und Betrachtungen seine vielfältigen Einzelforschungen auf topographischem, numismatischem, epigraphischem, archäologischem, kunst- und kulturhistorischem Gebiet vermittelten. 1830 nach Wien zurückgerufen, galt P. dort bereits als die größte Autorität in orientalischen Fragen. Nach zwei diplomatischen Missionen in Rom 1831 und 1832 vermittelte P. 1833 in Alexandrien im Konflikt zwischen der Pforte und dem Vizekönig Mehmed Ali von Ägypten, den er vom Wert einer formalen Anerkennung der Oberhoheit des Sultans über Ägypten überzeugen konnte. Am 29. Juli 1834 erfolgte die Ernennung P.s zum österreichischen Gesandten in Athen, um auf Bitten König Ludwigs I. von Bayern dem jungen König Otto mit P. einen mit den Verhältnissen bestens vertrauten politischen Berater zur Seite zu stellen. Als solcher von ungemein großem Einfluß, arbeitete P. allen landesfremden Einflüssen, auch den von England unterstützten liberalen, um eine Konstitution bemühten Kräften entgegen, in der Überzeugung, daß im Sinne Herders die Pflege bodenständiger Einrichtungen, nach P. hier in Richtung einer Stärkung der Monarchie, eine bessere Grundlage für die von ihm stark geförderten, vornehmlich gegen Rußland gerichteten Unabhängigkeitsbestrebungen des griechischen Staates bilden könnte. Im Athener Karussell der diplomatischen Intrigen der Großmächte mußten schließlich auch P.s Bemühungen, zuerst mit Unterstützung von Alexandros Mavrokordatos, später aber Ioannis Kolettis, eine funktionstüchtige griechische Regierung aufzubauen, erfolglos bleiben, wofür nicht zuletzt die Apathie Metternichs griechischen Problemen gegenüber erheblich beigetragen hat. In den Jahren seines bis Ende 1848 währenden Athener Aufenthaltes vollendete P. seine „Geschichte des Abfalls der Griechen vom Türkischen Reich“ (6 Bde, Wien 1867), das infolge russischen Einspruchs erst 14 Jahre später als geplant erscheinen konnte.
Nach der Ernennung zum Gesandten in Berlin hat P. 1849-1852 als kompromißbereiter Verfechter einer föderalistischen Organisation der deutschen Staaten wesentlieh zum friedlichen Ausgleich zwischen Österreich und Preußen (Olmütz 1850) beigetragen, durchschaute aber bald das Hegemonialstreben Preußens, dem er 1853 bis 1855 als Präsidialgesandter Österreichs im Deutschen Bund zu Frankfurt am Main und damit als unmittelbarer Gegenspieler Bismarcks weniger noch als in Berlin entgegenzusetzen wußte. Seine durch Rußland wiederholt hintertriebene Ernennung zum österreichischen Internuntius in Istanbul am 12. Oktober 1855, in dem er die folgenden 16 Jahre (ab 1861 als Botschafter) verblieb, brachte P. wieder in den Orient.
An der Pforte arbeitete P. bei der Beeinflussung der türkischen Staatspolitik weitgehend mit dem englischen Botschafter Stratford de Redcliffe zusammen, obwohl er die von diesem betriebene Reformpolitik im Innern, die auf eine Verwestlichung der Türkei hinauslief, ablehnte und den diesbezüglich mit mehr Zurückhaltung auftretenden türkischen Staatsmann, den ihm befreundeten Großwesir Ali Pascha aufs wärmste unterstützte. Vehementer noch trat P. den Bestrebungen des russischen Imperialismus entgegen, demgegenüber er die seit Athen in ihrer europäischen Bedeutung erkannte Integrität des türkischen Gesamtstaates auch in seinem Besitz auf der Balkanhalbinsel energisch verteidigte. Nach seiner Pensionierung Ende 1871 war P. mit der Abfassung seiner Memoiren und der Ordnung seiner Schriften beschäftigt, die nach seinem Tod sein Sohn Anton Graf P.-Osten zum größeren Teil veröffentlichte. (Aus dem Nachlaß des Grafen Prokesch-Osten. Briefwechsel mit Gentz und Metternich. 2 Bde. Wien 1881; Aus den Briefen des Grafen Prokesch von Osten 1849-53. Wien 1896; Aus den Tagebüchern 1830-34. Wien 1909; Briefwechsel zwischen Erzherzog Johann Baptist von Österreich und Anton Graf von Prokesch-Osten. Hrsg. Anton Schlossar. Wien 1898.) Mit P. schied einer der letzten Vertreter der Schule Metternichs aus dem Diplomatenkorps Österreich-Ungarns, der noch mehr als an der Politik stets an der Förderung der mit dem Orient verbundenen Wissenschaften interessiert war und den sein Freund Alexander von Humboldt „einen vollkommenen Reisenden“ nannte, „wenn es je einen solchen gab.“

Literatur

Berger, Anton: Prokesch-Osten. Ein Leben aus Altösterreich. Graz, Wien, Leipzig 1921.
Meyer, Arnold Oskar: Bismarcks Kampf mit Österreich 1851-59. Berlin, Leipzig 1927.
Engel-Janosi, Friedrich: Die Jugendzeit des Grafen Prokesch von Osten. Innsbruck 1938.
Hoffmann, Joachim: Die Berliner Mission des Grafen Prokesch-Osten 1849-1852. (Diss.) Berlin 1959.
Engel-Janosi, Friedrich: Österreich und die Anfänge des Königreiches Griechenland. In: Ders.: Geschichte auf dem Ballhausplatz. Graz, Wien, Köln 1963, 29-64.
Ders.: Ein Kampf um Österreich in Berlin und Frankfurt 1849-1855. In: ebd., 65-102.
Ders.: Drei Jahre der Orient-Frage 1856-1859. In: ebd., 103-142.

Verfasser

Gerhard Seewann (GND: 1069961280)

GND: 118596713

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd118596713.html


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Empfohlene Zitierweise: Gerhard Seewann, Prokesch von Osten, Anton Graf, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 3. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1979, S. 491-493 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1560, abgerufen am: (Abrufdatum)

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