Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Palacký, František
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Palacký, František

Palacký, František, tschechischer Historiker und Politiker, * Hodslavice (Hotzendorf, Nordmähren) 14.06.1798, † Prag 26.05.1876, Sohn des evangelischen Lehrers Jiří P.

Leben

Schon zur Zeit seiner Ausbildung am Lyzeum zu Preßburg hat sich P. unter dem Einfluß der aus dem Geiste der Romantik hervorbrechenden slawischen Erneuerungsbewegung eines Josef Dobrovský, Pavel Josef Šafárik und Josef Jungmann ganz dem Studium der Geschichte und hier vor allem der Geschichte seines Volkes gewidmet. 1823 kam P. nach Prag und erlangte hier 1826 die Stelle eines Sekretärs an dem 1818 errichteten böhmischen Landesmuseum. 1829 von den böhmischen Ständen beauftragt, eine Geschichte Böhmens und seiner beiden Völker zu verfassen, schrieb P. eine Geschichte des tschechischen Volkes, ein weit über seine historiographische Bedeutung hinaus bahnbrechendes Werk, mit dem P. der tschechischen Nationalbewegung die bis in die Gegenwart wirkende geistige Grundlage gegeben hat (deutsche Ausgabe: Geschichte von Böhmen. 5 Bde. Prag 1836/67, Reprint Osnabrück 1968; tschechische Ausgabe: Dějiny národu českého v Čechách a v Moravě dle půwodních pramenů. 5 Bde. Prag 1848/67; Neuaufl. in 6 Bden, Prag 1939.) P. interpretiert die Geschichte seines Volkes als einen ständigen Kampf der fried- und freiheitsliebenden Tschechen, zu denen seiner Meinung nach auch die Slowaken ethnisch und sprachlich dazugehörten, gegen die gewaltsam eingedrungenen Deutschen und deren feudalistische Fremdherrschaft, womit er dem ständischen Adel Böhmens in Verpflichtung auf liberale Prinzipien eine führende Rolle bei der Erneuerung des tschechischen Volkes zuwies und der tschechischen Nationalbewegung eine eindeutig antideutsche Frontstellung gab, die seitdem als an einem ihrer Plauptziele an dem Aufbau einer eigenen tschechischen Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur arbeitete. Im Verlauf der Revolutionsereignisse von 1848 stieg P. zum führenden Sprecher seines Volkes auf, dessen Politik er bis Ende der 1860er Jahre entscheidend prägte durch das von ihm bereits ab 1846 angebahnte Bündnis zwischen nationaler Bewegung und ständischer, gegen Wien gerichteter Opposition, zwischen liberalem Großbürgertum und reformwilligem Adel, ein Bündnis, an dem P. zeitlebens festgehalten hat wie auch sein Erbe als Führer der seit 1873 sogenannten Partei der „Alttschechen“, sein Schwiegersohn František Ladislav Rieger. Auf die Einladung, an den vorbereitenden Beratungen zur Frankfurter Nationalversammlung teilzunehmen, schrieb P. seinen berühmt gewordenen Absagebrief vom 11. April 1848, der die Trennung Böhmens von Deutschland aussprach und für einen engen Anschluß Böhmens an Österreich mit der prophetischen Begründung eintrat, daß allein der Humanität und Zivilisation verkörpernde Kaiserstaat Österreich die kleineren Völker Ost- und Südosteuropas erfolgreich vor dem übermächtigen Nachbarn Rußland beschützen könne. Der als Gegenstück zu Frankfurt von P. als Forum des Austroslawismus geleitete Prager Slawenkongreß Anfang Juni 1848 forderte in einer an den Kaiser gerichteten Adresse die Vereinigung aller serbischen Territorien Ungarns in einer autonomen Verwaltungseinheit, ferner des dreieinigen Königreiches Kroatiens sowie Böhmens mit Mähren und Schlesien. Vom Prinzip des historischen Länderrechtes ging P. jedoch bei seinen beiden, dem Reichstag als Sprecher aller österreichischer Slawen vorgelegten Entwürfen für eine zukünftige Verfassung des Habsburgerreiches weitgehend ab. Grundlinie dieser Entwürfe bildete die Föderalisierung der Monarchie auf nationaler Basis; der erste Wiener Entwurf schlug vier Ländergruppen vor, eine polnische, böhmische, deutsch-österreichische und illyrische; der zweite in Kremsier vorgelegte Entwurf fünf Nationalgruppen, auf österreichischer Seite eine deutschösterreichische, tschechische, polnische, illyrische und italienische, zu der von ungarischer Seite eine südslawische, ungarische und rumänische hinzukommen sollte. Nach der Beseitigung des Neoabsolutismus beteiligte sich P. unter Begrüßung des von Kaiser Franz Joseph I. am 20. Oktober 1860 erlassenen Oktoberdiploms wieder an der Auseinandersetzung um die Reichsverfassung, in der er mit seiner Schrift „Österreichs Staatsidee“ (Prag 1866) entschieden vor der Einführung des Dualismus warnte, da er in diesem das Prinzip der nationalen Gleichberechtigung, von dem seiner Überzeugung nach das „Sein oder Nichtsein Österreichs als eines einigen und mächtigen Staates abhängt“, wesentlich gefährdet sah. Das Jahr 1867 bedeutete für P. die tiefe Enttäuschung aller seiner Hoffnungen. Seine Absage an Österreich und an den von ihm selbst 1848 begründeten Austroslawismus formulierte er in seinem „Politischen Vermächtnis“ (Prag 1872): „Ich lasse nun leider auch selbst die Hoffnung auf eine dauernde Erhaltung des österreichischen Staates fahren,.. .weil den Deutschen und Magyaren gestattet wurde, sich der Herrschaft zu bemächtigen und in der Monarchie einen einseitigen Rassendespotismus zu begründen.“ P. vollzog nun stellvertretend für alle slawischen Völker unter der habsburgischen Dynastie die große Umorientierung nach Osten, nach Moskau, das er schon einmal, damals demonstrativ an der Spitze einer tschechischen Delegation im April 1867 aufgesucht hatte. Im Panslawismus und in einer engen Freundschaft mit den Russen erblickte P. nunmehr die Gewähr für eine freie und gesicherte Zukunft seines Volkes wie aller slawischen Völker Europas.

Literatur

Masaryk, Thomas G.: Palackýs Idee des böhmischen Volkes. Prag 1898.
Pekař, Josef: František Palacký. Praha 1912.
Lemberg, Eugen: Die historische Ideologie von Palacký und Masaryk und ihre Bedeutung für die moderne nationale Bewegung. In: Hist. Jb. 53 (1933) 429-457.
Redlich, Josef: Das österreichische Staats- und Reichsproblem. 2 Bde. Leipzig 1920/26.
Jetmarová, Milena: František Palacký. Praha 1961.
Bosl, Karl: Deutsche romantisch-liberale Geschichtsauffassung und „slawische Legende“. Germanismus und Slawismus. Bemerkungen zur Geschichte zweier Ideologien. In: Bohemia 5 (1964) 1-41.
Gogolak: Bd 2, passim.
Zacek, Joseph Frederick: Palacký. The historian as scholar and nationalist. The Hague, Paris 1970.
Prinz, Friedrich: František Palacký und das deutsch-tschechische Verhältnis aus der Sicht der tschechischen Geschichtswissenschaft unseres Jahrhunderts. In: Bohemia 18 (1977) 129-143.

Verfasser

Gerhard Seewann (GND: 1069961280)


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Empfohlene Zitierweise: Gerhard Seewann, Palacký, František, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 3. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1979, S. 382-384 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1497, abgerufen am: (Abrufdatum)

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