Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Nikolaus I. Pavlovič
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Nikolaus I. Pavlovič

Nikolaus I. (Nikolaj) Pavlovič, Kaiser von Rußland 1825-1855, * Carskoe Selo 06.07.1796, † St. Petersburg 02.03.1855, dritter Sohn Pauls I. aus dessen zweiter Ehe mit Marija Feodorovna (Sophia Dorothea Auguste von Württemberg), ab 1817 verheiratet mit Aleksandra Feodorovna (Charlotte), Tochter Friedrich Wilhelms III. von Preußen.

Leben

N. kam durch den Verzicht seines älteren Bruders Konstantin auf den Thron. Sein Verhältnis zur Macht stand von Anfang an unter dem Eindruck jenes Aufstandes im Dezember 1825 (Dekabristenaufstand), mit dem eine Gruppe von Garde- und Stabsoffizieren die Gewalt im Staat zu erringen versuchte. N., der fortan von einer tiefverwurzelten Revolutionsangst beherrscht war, ließ ihn blutig niederschlagen. Als Antwort verwandelte der robuste, psychologisch undifferenzierte Herrscher, der eine militärische Erziehung genossen hatte und für den Thron nie in Betracht gezogen worden war, Rußland in eine Kaserne. Seine Staatspädagogik erschöpfte sich darin, Ordnung und Gehorsam zu den höchsten Tugenden zu erklären. N.’ Außenpolitik, die der 1829 zum Vizekanzler und 1845 zum Reichskanzler und Außenminister ernannte Graf Karl von Nesselrode ausübte, war geprägt von dem Bestreben, Rußland vor den nationalrevolutionären und liberalen Bewegungen Westeuropas zu bewahren und die territorialen Ansprüche Petersburgs im niedergehenden Osmanischen Reich, vornehmlich an der Schwarzmeerküste und im Kaukasus, gegenüber denen der anderen Großmächte zu verwirklichen. Bemüht, die griechische Frage von der russisch-türkischen zu trennen, unterstützte er im Zusammengehen mit England die Unabhängigkeitsbemühungen der Hellenen, obwohl diese für ihn als strengem Vertreter des Legitimitätsprinzips Rebellen waren. Die Verhandlungen, die N. in St. Petersburg mit dem Sonderbotschafter Englands, Arthur Wellesley Duke of Wellington, über die griechische Frage führte, hatten ein Protokoll (vom 04.04.1826) zum Ergebnis, in dem beide Mächte übereinstimmten, daß England zwischen der Pforte und den griechischen Aufständischen vermitteln sollte. Bereits am 17. März 1826 hatte N. jedoch eine Note, die in ultimativer Form gehalten war, an Sultan Mahmud II. geschickt. Darin forderte er die Wiederherstellung des alten Rechtsstatus in den Donaufürstentümern, die strikte Einhaltung der serbischen Autonomie und die Entsendung eines türkischen Bevollmächtigten an die russische Grenze, um über die zwischen beiden Staaten strittigen Fragen zu verhandeln. Anfang Mai nahm die Pforte das russische Ultimatum an und sandte eine Abordnung in die Grenzstadt Akkerman am Dnjestr, wo die Verhandlungen im August begannen. Das Ergebnis war die sog. Konvention von Akkerman (07.10.1826), in der die Türken nicht nur die russischen Forderungen bestätigen, sondern auch beträchtliche Gebietsverluste hinnehmen mußten. Als ein Appell der drei Großmächte England, Rußland und Frankreich vom August 1827 an die Pforte, mit den Griechen Waffenstillstand zu schließen, ohne Erfolg blieb, erschienen Flottenabteilungen dieser Länder vor Navarino und vernichteten hier am 20. Oktober die ägyptisch-türkische Flotte. Mahmud II. kündigte daraufhin am 31. November 1827 den Vertrag von Akkerman, und N. erklärte im April 1828 der Pforte den Krieg. Beendet wurde die Auseinandersetzung mit den Osmanen auf Vermittlung des preußischen Generals Friedrich Ferdinand von Müffling im Frieden von Adrianopel (14.09.1829), der den Frieden von Bukarest (vom 28.05.1812) vollzog: Rußland gewann dabei die Hauptmündung der Donau und damit einen günstigen Ausgangspunkt für die weitere Ausbreitung an der Schwarzmeerküste. Die Donaufürstentümer wurden unter gemeinsames russisch-türkisches Protektorat gestellt. General Kiselev hatte als Administrator der Moldau und der Walachei Gelegenheit, hier seine Vorstellungen über die russische Agrarreform in der Praxis zu erproben und den Donaufürstentümern ein Statut zu geben (Organisches Reglement), das ihre innere Verwaltung regeln sollte. Dem ersehnten Ziel, die orientalische Frage ganz im russischen Sinn zu lösen, kam N. nach dem gemeinsamen russisch-türkischen Vorgehen gegen Mehmed Ali von Ägypten durch die Defensivallianz von Hunkâr Iskelesi (08.07.1833) näher, mit der sich Petersburg gleichsam als Schutzherr der Pforte etablierte. Es gelang ihm dies, ohne daß er einen Krieg mit London und Paris, den beiden Hauptrivalen in der orientalischen Frage, riskierte. Gleichwohl nährte das Bündnis den Argwohn Englands und Frankreichs. Eine russisch-englische Annäherung brachte der türkisch-ägyptisdie Krieg von 1839. Gegen den siegreichen Mehmed Ali, hinter dem Paris stand, schlossen sich - auf Vorschlag Metternichs - die übrigen Großmächte Rußland, Österreich, England und Preußen in der Londoner Konvention vom 15. Juli 1840 zusammen. Die Unterzeichner verpflichteten sich, die Integrität des Osmanischen Reiches notfalls mit Waffengewalt zu verteidigen. Der Meerengenvertrag vom 13. Juli 1841 versagte es - unter Einschluß Frankreichs - allen nichttürkischen Kriegsschiffen, die Dardanellen und den Bosporus in Friedenszeiten zu passieren. Dieses Abkommen hob die einseitige Bindung der Pforte an Petersburg auf; die orientalische Frage war zu einer internationalen Angelegenheit geworden. Mit der Donaumonarchie wußte sich N., obgleich es wegen der Erweiterung der russischen Machtsphäre auf dem Balkan Divergenzen genug gab, einig in dem Bemühen, die Befreiungsbewegungen niederzuhalten. Gemeinsam bekannten er und Kaiser Franz II. sich in den Konventionen von Münchengrätz (18.09.1833) und Berlin (15.10. 1833) zum Interventionsrecht. Auf diese Weise erreichte N. eine Wiederbelebung der Heiligen Allianz, die fortan in zunehmendem Maße zur Basis für die Rolle Rußlands als Gendarm der europäischen Reaktion wurde. 1849 fühlte sich N. in konsequenter Verfechtung des Interventionsgedankens verpflichtet, Franz Joseph gegen die Aufständischen in Budapest mit russischen Truppen zu unterstützen, nachdem er bereits Mitte Juli 1848 Jassy hatte besetzen lassen. Ein neuer Konfliktstoff im Orient ergab sich dann Anfang der 1850er Jahre im Zusammenhang mit der Frage des Protektorats über die orthodoxen Christen im Osmanischen Reich. N. entsandte im Februar 1853 den Fürsten Aleksandr Sergeevič Menšikov als außerordentlichen Gesandten nach Istanbul, der in ultimativer Form die Forderung stellte, die Bevölkerung mit griechisch-orthodoxer Konfession russischem Protektorat zu unterstellen. Als Sultan Abdülmecid I. diese Forderung zurückwies, überschritten russische Truppen am 3. Juli 1853 den Pruth und bereits am 6. Juli zog Gorčakov als russischer Kommandant in Bukarest ein. Am 4. Oktober erklärte die Türkei formell Rußland den Krieg. Dieser Krieg wuchs sich zu einem Krieg der Großmächte aus (Krimkrieg). Das unglückliche Ende des Krimkriegs 1856, der weiteren russischen Machtzuwachs blockieren sollte und das Zarenreich eine Zeitlang von Westeuropa abschloß, brauchte N. nicht zu erleben. Er hinterließ ein geschlagenes Land, dessen innenpolitische Rückständigkeit und außenpolitische Isolierung seinem Nachfolger Alexander II. Anstoß zu längst fälligen Reformen wurde.

Literatur

Schiemann, Theodor: Geschichte Rußlands unter Kaiser Nikolaus I. 4 Bde. Berlin, Leipzig 1904/19.
Šil’ der, Nikolaj Karlovič: Imperator Nikolaj I. Ego žizn’ i carstvovanie. 2 Bde. S. Peterburg 1914.
Polievktov, Michail Aleksandrovič: Imperator Nikolaj I. Moskva 1918.
Grunwald, Constantin de: La Vie de Nicolas I. Paris 1946.
Fadeev, Anatolij Vsevolodovič: Rossija i vostočnyj krizis 20-ch godov XIX veka. Moskva 1958.
Istorija diplomatii. Bd 1. Moskva 1959(2), 526-663.
Lencyk, Wasyl: The Eastern Catholic Church and Czar Nicholas I. Roma 1965.
Dostjan, Irina Stepanovna: Rossija i balkanskij vopros. Moskva 1972.

Verfasser

Klaus Appel

GND: 118588079

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd118588079.html


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Empfohlene Zitierweise: Klaus Appel, Nikolaus I. Pavlovič, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 3. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1979, S. 326-329 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1458, abgerufen am: (Abrufdatum)

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