Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

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Neofit Chilendarski Bozveli

Neofit Chilendarski Bozveli (eigentlich Neofit Petrov), bulgarischer Mönch, Schriftsteller, Agitator, * Kotel um 1785, † Kloster Chilandar (Athos) 16.(4.)06.1848.

Leben

Über die Herkunft des N. ist so gut wie nichts bekannt; wahrscheinlich war er ein Neffe des bekannten Istanbuler Kaufmanns Bonju Bozvelijat. Möglicherweise gehörte er zu den Schülern des Sofronij Vračanski.  1803/04 scheint er sich auf dem Athos aufgehalten zu haben, 1813 oder 1814 lebte er als Priester in Svištov. In dieser Phase seines Lebens dürfte er auch seine ausgedehnten Reisen im Siedlungsgebiet der Bulgaren unternommen haben, von denen wir aus seinen Schriften erfahren. Schon in den frühen Jahren tritt das Leitmotiv seines Denkens und Handelns auch der späteren Zeit deutlich hervor: Ursache des beklagenswerten Zustands der Bulgaren sei die Unwissenheit; den Weg zur Besserung der Sitten, der Verhältnisse in der Kirche und der materiellen Lebensbedingungen weise die Bildung. Folgerichtig widmete sich N. der Aufgabe, Kenntnisse, auch aus dem Bereich der profanen Wissenschaften, zu verbreiten. 1834 reiste er nach Serbien, um in Kragujevac den (1835 abgeschlossenen) Druck seiner Arithmetik (Aritmetičeskoe rukovodstvo) und des Elementarlehrbuchs „Slavenobolgarskoe dětovodstvo za malkitě děca“ (Lehrgegenstände: Alphabet, Moral, Grammatik, Arithmetik, Geographie, Briefsteller) zu betreiben, das er zusammen mit dem hellenisierten Bulgaren Immanouil Vaskidis (Emanuil Vaskidovič) aus verschiedenen, insbesondere griechischen Vorlagen kompiliert und durch eigene Beiträge (Geographie) ergänzt hatte. Im selben Jahr brachte er in Belgrad seine „Kratkaja svjaštennaja istoria i svjaštennij Katichizis“ (Kurze heilige Geschichte und heiliger Katechismus), ebenfalls eine Bearbeitung griechischer Vorlagen, in zwei Bänden heraus. Seine Landesbeschreibung (Kratkoe političeskoe Zemleopisanie) von 1835 zeigt, daß er die Wohngebiete der Bulgaren aus eigener Anschauung kannte und mit der griechischen Kultur und Sprache vertraut war; Kritik an der dominierenden Stellung der Griechen in der Kirche findet sich hier noch nicht. Etwa 1835 wurde N. Archimandrit und lehrte Ende 1836 bis Sommer 1837 im Muttergotteskloster (Manastir „Svjata Bogorodica“) bei Gabrovo. Erst jetzt scheint er seinen aufklärerischen Denkansatz zu jener Ideologie weitergebildet zu haben, die er als leidenschaftlicher Agitator verkündete: Die Schuld an der Unwissenheit der Bulgaren trage der höhere griechische Klerus, der das Volk durch Abgaben aussauge, seine Seelsorgepflichten vernachlässige, ihnen im übrigen mangels bulgarischer Sprachkenntnisse auch gar nicht nachkommen könne und nichts für die Bildung tue, als deren Träger N. noch ganz selbstverständlich die Kirche, nicht den Staat, ansah; mitschuldig seien die bulgarischen Angehörigen der Oberschichten, soweit sie sich hellenisierten oder mit der griechischen Hierarchie loyal zusammenarbeiteten. Das Gebot der Nächstenliebe erweiterte N. und forderte Solidarität, Hilfe und Liebe für die Bulgaren: für die Menschen mit demselben historischen Schicksal, für das Vaterland (otečestvo). Sein Nationalismus ist religiös fundiert und sozial vermittelt. Mit wachsender Schärfe lehnte er nicht nur die führende Stellung der Griechen in der Kirchenverwaltung, sondern anders als z. B. Neofit Rilski auch den griechischen Kultureinfluß ab. Nach dem Tode des Metropoliten von Tŭrnovo, Ilarions „des Kreters“, im Februar 1838 versuchte er mit Unterstützung der bulgarischen Honoratioren dieser Diözese in Istanbul vergeblich, zu dessen Nachfolger bestimmt zu werden. Bei dieser Gelegenheit zelebrierte er in der bulgarischen Schneiderinnung erstmals eine Messe in altkirchenslawischer bzw. bulgarischer Sprache. Gewählt wurde aber wiederum ein Grieche namens Panaret. Dieser wurde zwar auf einhellige Proteste der Bulgaren abgesetzt, an seine Stelle trat aber im Mai 1840 der Grieche Neofit Vizantios, und N. wurde nur zu dessen Protosynkellos ernannt. Im April 1841 wurde N. auf den Athos verbannt, von wo er im Juli 1844 nach Istanbul fliehen konnte. Hier schloß er mit Ilarion Makariopolski Freundschaft. Von der Reformpolitik der Tanzimatperiode erhoffte sich N. viel, doch sein Memorandum an die Pforte vom 13. (1.) September 1844 und eine weitere Eingabe an Ali Pascha Mehmed Emin hatten keinen Erfolg, obwohl er die Türken stets auf die mit der griechischen Machtstellung in der Kirche verbundenen Gefahren für das Reich hinwies. Eine vorübergehende Entspannung durch die Einsetzung des neuen ökumenischen Patriarchen Meletios, mit dem die Bulgaren früher gute Erfahrungen gemacht hatten, konnte den grundsätzlichen Konflikt mit dem Patriarchat, das die Einführung des Nationalitätenprinzips in die Kirchenverwaltung ablehnte, nicht lösen, vielmehr trug N., inzwischen mit Ilarion Makariopolski zum Vertreter des Tuchmacher-Esnafs berufen, seine Forderungen in einem neuen Memorandum an die Pforte 1845 vor (Rechenschaft des Patriarchats und der Synode über die Abgaben der Eparchien; Festsetzung der Abgaben; Einsetzung bulgarischer Oberhirten in bulgarischen Diözesen; geregelte Gehälter für die Geistlichen; drei bulgarische Vertreter in der Patriarchatssynode; Wahl der Würdenträger durch das Kirchenvolk; vier bulgarische Vekile als Interessenvertretung bei der Pforte). Seine Agitation führte 1845 zu seiner zweiten Verbannung auf den Athos. Hier schloß er 1846 unter elenden Lebensbedingungen die Arbeiten an seinem Werk „Mati Bolgarija“ ab (Mutter Bulgarien; postum veröffentlicht in der in Braila erschienenen Zeitschrift „Periodičeskoe spisanie“ (1874) 9/10, (1876) 11/12 mit einem Vorwort von Vasil Drumev), ein Dialog zwischen Mutter und Sohn, in dem die Leiden des bulgarischen Volkes unter dem geistigen Joch der Griechen geschildert werden. Auf dem Athos verfaßte N. auch ein Pamphlet gegen die das Patriarchat unterstützende Politik Rußlands, dessen Grundgedanken auch den Einfluß der polnischen Emigranten in Istanbul um Micał Czaikowski (Mehmed Sadık Efendi) dokumentieren. Der derbe und polternde Mönch, der nach dem Zeugnis seiner Gegner dem Alkohol übermäßig zusprach und sich in einer kaum beachteten Äußerung der Trunksucht bezichtigte, hat vor allem als Agitator gewirkt. Seine Schriften, lebendiger Ausdruck seiner didaktisch-moralischen Bestrebungen und in Sprache und Stil weder originell noch kunstvoll, sind für das Studium der Genesis des bulgarischen Nationalismus und des griechisch-bulgarischen Kirchenstreits unentbehrlich.

Literatur

Georgiev, Jordan: Neofit Bozveli kato borec za cŭrkovnata svoboda. Stara Zagora 1911.
Šišmanov, Ivan D.: Novi studii iz oblast’ta na bŭlgarskoto vŭzraždane. Vasil E. Aprilov, Neofit Rilski, Neofit Bozveli. In: Sbornik na Bŭlgarskata Akademija na Naukite 21 (1926).
Arnaudov, Michail: Neofit Chilendarski Bozveli, 1785-1848. Život - dělo - epocha. Sofija 1930.
Ders.: Stroiteli na bŭlgarskoto dudrovno vŭzraždane. Paisij Chilendarski, Sofronij Vračanski, Neofit Rilski, Neofit Chilendarski Bozveli. Sofija 1954.
Smochovska-Petrova, Vanda: Neofit Bozveli i bŭlgarskijat cŭrkoven vŭpros. Sofija 1964.
Neofit Bozveli: Sŭčinenija. Hrsg. Stefana Tarinska. Sofija 1968.

Verfasser

Gunnar Hering (GND: 1078119694)

GND: 119126451

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd119126451.html


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Empfohlene Zitierweise: Gunnar Hering, Neofit Chilendarski Bozveli, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 3. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1979, S. 310-312 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1448, abgerufen am: (Abrufdatum)

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