Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Martinovics, Ignaz Joseph
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Martinovics, Ignaz Joseph

Martinovics, Ignaz Joseph (als Ordensmann Dominikus), Titularabt, Oberhaupt der ungarischen „Jakobiner“, * Pest 22.07.1755, † (hingerichtet) Ofen 20.05.1795.

Leben

 M., Nachkomme einer am Ende des 17. Jh.s nach Ungarn eingewanderten südslawischen Familie, trat 17jährig in den Franziskanerorden ein, unterrichtete nach Priesterweihe und Erlangung der Doktorwürde Mathematik und Philosophie an Klosterschulen, brach bald innerlich mit Kirche und Glauben, entfernte sich 1781 eigenmächtig aus seinem Kloster, ließ sich in den Freimaurerbund aufnehmen und wurde, von der Loge gefördert, 1783 Professor für Physik an der Akademie (später Universität) zu Lemberg. Im nächsten Jahr wurde er Weltpriester. Der wissenschaftlich leichtgewichtige, doch rührige, als Causeur berückende, maßlos ehrgeizige Ex-Franziskaner veröffentlichte neben kleinen Schriften auf vielerlei Gebieten ein großes Lehrbuch der Experimentalphysik und, anonym, einen umfangreichen atheistischen Traktat. 1791 verließ er Lemberg; er bemühte sich vergebens um eine Professur in seiner Geburtsstadt, zog dann nach Wien und wurde dort Konfident des geheimen Nachrichtendienstes Kaiser Leopolds II. Seine vertraulichen Berichte waren größtenteils Phantasieerzeugnisse und wurden auch nicht ernst genommen, dennoch konnte er den Kaiser von seiner Eignung für heimliche Aufgaben überzeugen. Er wurde zum Abt ernannt und mit der Lenkung einer die Einschüchterung des reformfeindlichen ungarischen Adels bezweckenden quasi-revolutionären Aktion betraut. Nach Leopolds plötzlichem Tod wurde der Auftrag hinfällig, der Mystifikator wurde aber auch unter Franz II. als Späher der Wiener Polizei weiterbeschäftigt. Er lieferte immerzu romanhafte Enthüllungen über regierungsfeindliche Umtriebe, legte selbstverfaßte politische Elaborate vor, von denen er behauptete, er hätte sie im Verborgenen wühlenden Aufwieglern abgelistet, und er denunzierte dabei wahllos sowohl ihm nur dem Namen nach bekannte Personen wie auch Angehörige seines Freundeskreises. Unterdessen produzierte er unter Umgehung der Zensur auch anonyme regierungsfeindliche Druckschriften, die er dann selber der Polizei zutrug. Aus uns nicht bekannter Ursache trennte sich die Polizei im Herbst 1793 von M. Er reiste daraufhin Anfang 1794 nach Ungarn und gründete dort zwei Geheimgesellschaften. Es scheint, daß er sich dabei gar nicht im klaren war, ob er als Oberhaupt beider das Königreich revolutionieren oder besser durch Anzeigen ihrer Mitglieder sich neue Verdienste bei der Polizei erwerben sollte. Seinem verstiegenabenteuerlichen Projekt zufolge hätten die (adeligen) Angehörigen der einen, der „Gesellschaft der Reformer“, von der Existenz der anderen, der „Gesellschaft der Freiheit und Gleichheit“, keine Kenntnis gehabt, doch wären sie von den „Direktoren“ der letzteren befehligt worden. M.s Zweiphasenplan sah vor, daß zuerst die „Reformer“ mit Waffengewalt Ungarns Unabhängigkeit von Österreich erkämpft hätten; im zweiten Zug hätte die zweite, plebejische, jakobinische Gesellschaft die „Reformer“ beseitigt, um eine egalitäre Republik zu errichten. M. fabulierte über seine - in Wirklichkeit nie stattgefundenen - Auslandsreisen und erzählte u. a., er sei als Beauftragter des Pariser Konvents tätig. Hervorragende Mitglieder der an Zahl noch geringen ungarischen Intelligenzija fielen auf seine Märchen herein und folgten seinem Ruf; die in diesem Kreis verbreiteten Sympathien für das revolutionäre Frankreich und die in Ungarn allgemein herrschende oppositionelle Stimmung begünstigten die Unternehmungen M.s. Bevor aber außer der Werbung von Mitgliedern etwas unternommen worden war und bevor noch die Zahl der Verschworenen die hundert erreicht hatte, deckte die Polizei das Komplott auf. Neben M. wurden mehrere Dutzend Personen verhaftet. M.s Geständnisse und seine in der Haft verfaßten Eingaben zeugen - ebenso wie früher seine Konfidentenberichte - von mangelndem Wirklichkeitssinn, krankhaft wuchernder Phantasie und „moral insanity“. So gewichtslos die von ihm angezettelte Verschwörung war, ihr Programm ist unbestreitbar hochverräterisch gewesen, und dies lieferte der Regierung die Handhabe zu einem Majestätsprozeß und zu grausamen Abschreckungsurteilen. Die meisten Angeklagten erhielten langjährige Freiheitsstrafen, M. wurde mit mehreren Mitangeklagten zum Tode verurteilt und enthauptet.

Literatur

Benda, Kálmán (Hrsg.): A magyar jakobinusok iratai. 3 Bde. Budapest 1952/57.
Silagi, Denis: Jakobiner in der Habsburger-Monarchie. Wien 1962.
Ders.: Schriften der ungarischen Jakobiner. In: Südost-Forsch. 23 (1964) 334-339.

Verfasser

Denis Silagi (GND: 1032871083)

GND: 129249505

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd129249505.html


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Empfohlene Zitierweise: Denis Silagi, Martinovics, Ignaz Joseph, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 3. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1979, S. 109-110 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1300, abgerufen am: (Abrufdatum)

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