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Šišmanov, Ivan Dimitrov, bulgarischer Literarhistoriker, Ethnograph, Kultusminister und Diplomat, * Svištov 04.07.1862, † Oslo (Norwegen) 23.06.1928, Sohn eines Lehrers.
Leben
Š. wurde nach Erwerb der Grundkenntnisse in Svištov bereits als 14jähriger auf die pädagogische Schule in Wien geschickt, die er 1882 beendete. Danach war er Lehrer und dann Beamter im Kultusministerium. 1884 erhielt er ein Stipendium für die Universität Jena; dort, in Genf und in Leipzig studierte er Philosophie (1888 Erwerbung des Doktorgrades). In Genf hatte er u. a. mit Georgij Plechanov persönlichen Kontakt. 1889 wurde Š. Hauptinspekteur der bulgarischen Schulen; in dieser Funktion war er an der Gründung der Sofioter Höheren Lehranstalt (1889) und an der Ausarbeitung eines Volksbildungsgesetzes (1890) beteiligt, das obligatorische kostenlose Schulbildung vom 6. bis zum 12. Lebensjahr vorsah. Seine Frau Lidija Tochter des ukrainischen Gelehrten Michail Dragomanov, setzte sich für die Zulassung von Frauen zum Studium ein; 1901 hatte sie mit ihrer Forderung Erfolg. 1894-1903 war Š. Professor für Vergleichende Literaturgeschichte, eine Fachrichtung, die er in Bulgarien erstmalig einführte. Am 6. Mai 1903 wurde Š. zum Kultusminister ernannt; er sorgte für den Ausbau des Schulwesens und organisierte eine Reihe wissenschaftlicher und kultureller Einrichtungen; 1904 wurde die Höhere Lehranstalt in Sofia zur Universität erhoben. Nach seinem Rücktritt vom Amt des Kultusministers (am 5. Januar 1907) arbeitete Š. wieder in Forschung und Lehre; viele Jahre verbrachte er im Ausland, hauptsächlich in der Schweiz und in Deutschland. Vom 23. März 1918 bis zum 8. Mai 1919 vertrat Š. Bulgarien als Botschafter in Kiev bei den ukrainischen Regierungen Pavlo Skoropadskyj und Symon Petljura. Danach war er Professor in Freiburg/Br. Ab 1924 war Š. wieder Professor für Vergleichende Literaturgeschichte in Sofia. Mit über 400 Arbeiten hat Š. die Grundlagen für die literaturgeschichtliche und volkskundliche Forschung in Bulgarien geschaffen, die dann von Bojan Penev , Boris Jocov und Michail Arnaudov weiter ausgebaut wurde. Grundlegend sind Š.s Untersuchungen über die nationale und kulturelle „bulgarische Wiedergeburt“, über bulgarische Ethnographie („Značenieto i zadačata na našata etnografija“, 1889) und Volksethymologie („Prinos kŭm bŭlgarskata narodna etimologija“, 1893), über den Leonore-Stoff („Pesenta za mŭrtvija brat v poezijata na balkanskite narodi“, 1896) und über den russischen Einfluß auf die bulgarische Literatur. Š. war Gründer und Redakteur des mehrbändigen Werkes zur Popularisierung des bulgarischen Volksschaffens „Sbornik za narodni umotvorenija, nauka i knižnina“ (Sofia, 1889-1902); er war Mitredakteur der bulgarischen Zeitschrift für Wissenschaft, Literatur und Kultur „Bŭlgarski pregled“ (1892-1900 in Sofia erschienen). Der universalgebildete Gelehrte war Mitglied der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften, Ehrenmitglied zahlreicher ausländischer Akademien, Vorsitzender der bulgarischen Sektion der Paneuropa-Bewegung und des Pen-Klubs. Er starb am 23. Juni 1928 weit weg von seiner Heimat - in Norwegen auf einem Kongreß des Pen-Klubs. Noch heute wird Š. in Bulgarien als „großer Humanist und gelehrter Demokrat“ gewürdigt. Seine Werke (Izbrani sŭčinenija) erschienen in zwei Bänden 1965/66 in Sofia. Auch sein Sohn Dimitŭr Š., geboren am 19. November 1889 in Sofia, gehörte zu den bedeutendsten Persönlichkeiten Bulgariens; er war Schriftsteller, Diplomat und Außenminister (14.10.1943-02.06.1944). Anfang 1945 wurde er vom „Volksgericht“ zum Tode verurteilt und am 1. Februar 1946 hingerichtet, u.a. weil er zusammen mit Ministerpräsident Bogdan Filov am 1. März 1941 in Wien den Beitritt Bulgariens zum Dreimächtepakt vollzogen hatte.
Literatur
Sbornik v čest na prof. Ivan D. Šišmanov po slučaj 30-god. mu naučna dejnost 1889-1919. Sofija 1920.
Arnaudov, Michail: Bŭlgarski pisateli. Bd 5. Sofija 1930.
Almanach na Sofijskija universitet Sv. Kliment Ochridski. Sofija 1940, 679-682.
Dimov, Georgi: Ivan D. Šišmanov - literaturnokritičeski očerk. Sofija 1964. ,
Matl, Josef: Ivan D. Šišmanov. In: Ders.: Südslawische Studien. München 1965, 305-309.
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