Potiorek, Oskar, österreichisch-ungarischer Feldzeugmeister, * Bleiberg (Kärnten) 20.11.1853, † Klagenfurt 18.12.1933.
Leben
Von Geburt Slowene, seinem Empfinden nach aber Deutscher, machte P. in seinen 43 Dienstjahren im habsburgischen Heer eine glänzende Karriere. Nach Absolvierung der Wiener Technischen Militärakademie und der Kriegsschule kam P. 1880 in das Operationsbüro des Generalstabes, dessen Leitung ihm 1892 übertragen wurde. 1908 zum Feldzeugmeister befördert, erfolgte am 10. Mai 1911 seine Ernennung zum Landeschef von Bosnien-Herzegowina und zum kommandierenden General in Bosnien-Herzegowina-Dalmatien.
Über die 1910 eingeführte Landesverfassung hinweg regierte P. die beiden Provinzen absolutistischer als alle Gouverneure vor ihm. Seinen Regierungsstil bestimmten militärische Tugenden und taktische Prinzipien, die die Eigenständigkeit einer Rechtsordnung und der damit verbundenen Verwaltung häufig nur als lästiges Hindernis für eine Politik der starken Hand betrachtete, die P. vor allem gegenüber den Serben (43% der Bevölkerung) energisch vor den Wiener Zentralbehörden vertrat. Dadurch geriet P. in zunehmenden Gegensatz zu seinem unmittelbaren Vorgesetzten, dem k. u. k. Finanzminister Leon Ritter von Bilinski, der für eine verfassungsgemäße politische Zusammenarbeit aller Parteien, auch mit den Serben, eintrat. Durch direkte Eingriffe in die Regierungsgeschäfte verwandte P. seinen ganzen Einfluß darauf, die konfessionellen und nationalen Gegensätze zwischen den Serben und Kroaten zu vertiefen und letztere mit allen Mitteln zu unterstützen. Auf dieser Linie stand seine Förderung der katholisch-kroatischen Kirche durch Bau von Kirchen und Pfarrhäusern, aber auch die Einrichtung staatlicher und deutschsprachiger Schulen und schließlich die von P. gegen Wiener Weisung begünstigte Aufrechterhaltung des aus der Türkenzeit stammenden Feudalsystems, unter dem die serbischen Kmeten am meisten zu leiden hatten. P. wollte die serbische Landbevölkerung in einem Zustand der geistigen Lethargie erhalten und verbündete sich in dieser Frage mit einer kleinen Gruppe serbischer Abgeordneter aus dem Bürgertum und dem Großgrundbesitz unter der Führung von Vojislav Šola, mit dem er nach außen hin zugleich seine Zusammenarbeit mit dem „gemäßigten“ Flügel der Serben im Sabor demonstrierte.
Im Bestreben, den ungarischen Einfluß auf Politik und Wirtschaft zurückzudrängen, erreichte P. am 24. März 1914 die Ernennung des Kroaten Nikola Mandić zu seinem Stellvertreter an Stelle des von Stefan Tisza geforderten Ungarn. Seit dem Beginn der Balkankriege drängte P. in Wien fortgesetzt auf einen Präventivkrieg gegen Serbien, den er als einzige Möglichkeit betrachtete, Bosnien-Herzegowina zu befrieden und endgültig für die Doppelmonarchie zu sichern. Den unter Hinweis auf die Lage in Albanien von P. in Wien gegen Bilinski durchgesezten und am 2. Mai 1913 verkündeten Ausnahmezustand benützte er zur sofortigen Unterdrückung der serbisch-nationalen, aber auch aller sozialistischen Organisationen, sowie des orthodoxen Schulwesens. Seine Maßnahmen verstärkten jedoch nur den offenen Haß der Serben und der „Jung-Bosnier“ gegen die Habsburger Monarchie und bildeten für deren sich nun steigernde Agitationsarbeit im Untergrund keineswegs ein Hindernis. Diese für das Land völlig unfruchtbare Entwicklung führte zum Attentat von Sarajevo vom 28. Juni 1914, für dessen Gelingen P., der wiederholt selbst im Mittelpunkt mehrerer Attentatspläne gestanden hat, zweifellos mitverantwortlich war. Dennoch blieb P. beim Kaiser in hohem Ansehen und bekam bei Kriegsausbruch unter Beibehaltung seiner bisherigen Stellung am 7. August 1914 den Oberbefehl über sämtliche Balkanstreitkräfte der Monarchie übertragen.
Nach Mißlingen seiner ersten Offensive im August 1914 verblieben P. 140 000 Mann an Kampftruppen gegen 220 000 Serben und Montenegriner. In der Schlacht auf der Romanja planina (18.-30.10.) warf P. die eingedrungenen feindlichen Streitkräfte aus Ostbosnien und aus Syrmien hinaus, drang in den ersten Novembertagen siegreich über Drina und Save und nach einer dritten erfolgreichen Schlacht (16.-18.11.) über das Tal der Kolubara und des Ljig vor und besetzte Belgrad (02.12.). Die von strategischen (Behauptung von Belgrad) und politischen Gründen diktierte Fortsetzung seiner Offensive bewirkte schließlich eine gefährliche Überspannung der eigenen, bereits sehr erschöpften Truppen. Die Unkenntnis P.s darüber, sowie seine Geringschätzung der serbischen Widerstandskraft führten zur katastrophalen Niederlage in der Schlacht von Arandjelovac (03.-09.12.), die zur Räumung Belgrads (15.12.) und zum Rückzug aller k. u. k. Truppen hinter die Reichsgrenzen zwang.
Doch nun war auch die Kraft der serbischen Armee tatsächlich so gebrochen, daß auf österreichischer Seite ein bedeutender Teil der Balkanstreitkräfte nach Galizien, im Frühjahr 1915 auch an den Isonzo überstellt werden konnte. Unter Hinweis auf diese Entwicklung findet die Leistung P.s als Feldherr in der militärwissenschaftlichen Literatur eine durchaus positive Beurteilung. Doch Politik und öffentliche Meinung, in Erwartung eines raschen Sieges über Serbien, fanden nur scharfe Worte der Verurteilung, und P. mußte am 23. Dezember 1914 überstürzt seinen Abschied aus dem aktiven Heeresdienst nehmen. In seiner Heimat, in Klagenfurt, verbrachte der zum Sündenbock gestempelte General in stiller Zurückgezogenheit seinen Lebensabend.
Literatur
Brauner, Josef: Bosnien und Herzegowina. Politik, Verwaltung und leitende Personen vor Kriegsausbruch. In: Berliner Monatshefte 7 (1929) 313-344.
Österreich-Ungarns letzter Krieg. Bd 1. Wien 1930.
Glaise-Horstenau, Edmund: Feldzeugmeister Potiorek. In: Berliner Monatshefte 12 (1934) 144-148.
Regele, Oskar: Feldzeugmeister Potiorek. In: Die Warte, Nr 47 v. 21. 11. 1953.
Stojanovic, Nikola: Bosanska kriza 1908-1914. Sarajevo 1958.
Weinwurm, Franz: FZM Oskar Potiorek. Leben und Wirken als Chef der Landesregierung von Bosnien und der Herzegowina in Sarajewo 1911-1914. (Diss.) Wien 1964.
Peball, Kurt: Der Feldzug gegen Serbien und Montenegro im Jahre 1914. In: Österreichische militärische Zeitschrift (1965) Sonderh. 1, 18-31.
Dedijer, Vladimir: Die Zeitbombe. Sarajewo 1914. Wien, Frankfurt, Zürich 1967.
Bauer, Ernest: Zwischen Halbmond und Doppeladler. 40 Jahre österreichische Verwaltung in Bosnien-Herzegowina. Wien, München 1971.