Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

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Patsch, Carl

Patsch, Carl, österreichischer Archäologe und Historiker, * Kovač (bei Irčin, Böhmen) 14.09.1865, † Wien 21.02.1945.

Leben

Als Sohn eines deutschböhmischen Gutsverwalters Tiroler Abstammung wuchs P. in einer slawischen Umgebung auf und erlernte bereits als Kind das Tschechische. Mit der Übersiedlung seiner Familie nach Wolhynien (1874) kamen Kenntnisse der polnischen und russischen Sprache hinzu. Nach dem Studium der Geschichte und Geographie an der Universität zu Prag fand P. mit seiner 1889 erfolgten Promotion über „Strabos Quellen zur Geschichte seiner Zeit“ Aufnahme und Förderung am Wiener archäologisch-epigraphischen Seminar. Von dort kam P. auf eigenen Wunsch im Jahre 1893 als Gymnasiallehrer nach Sarajevo, nicht zuletzt auf Grund seines Versprechens, sich besonders der archäologischen Sammlungen in Bosnien anzunehmen. Seine nun einsetzende eifrige archäologische Forschungsarbeit auf Kreuz- und Querfahrten durch das ganze Land, insbesondere die in der wissenschaftlichen Welt große Aufmerksamkeit erregende Entdeckung eines heiligen Haines des Quellgottes der illyrischen Japoden, Bindus, bei Bihać, ermöglichten 1898 seine Ernennung zum Kustos der Antikenabteilung am 1888 gegründeten bosnisch-herzegowinischen Landesmuseum (Zemaljski muzej) in Sarajevo, womit sich P. ganz auf die wissenschaftliche Erforschung des einst illyrischen Nordwestens der Balkanhalbinsel, besonders der Länder Bosnien und Herzegowina, konzentrieren konnte. Die Ergebnisse seiner zahlreichen Grabungen, die ihn bald über die österreichisch-ungarischen Reichslande hinaus nach Albanien und in den Sandschak Plevlje führten, veröffentlichte P. in dem vom Landesmuseum herausgegebenen „Glasnik Zemaljskog muzeja u Bosni i Hercegovini“ bzw. in dessen in Wien erscheinender deutscher Ausgabe „Wissenschaftliche Mitteilungen aus Bosnien und der Herzegowina“, vor allem in den acht Folgen seiner „Archäologisch-epigraphischen Untersuchungen zur Geschichte der römischen Provinz Dalmatien“ (1896/1912). Die Schriftenreihe in der antiquarischen Abteilung der 1897 von der Wiener Akademie der Wissenschaften neugegründeten Balkankommission eröffnete P. im Jahre 1900 mit seinem Beitrag „Die Lika in römischer Zeit“. Weitere Arbeiten von P. in dieser Reihe über den Sandschak Berat in Albanien (1904) und „Zur Geschichte und Topographie von Narona“ (1907) folgten. Um die Balkanforschung durch Heranziehung auch tüchtiger einheimischer Fachleute auf eine breitere Grundlage zu stellen, gründete P. im Jahre 1904 das „Bosnisch-herzegowinische Institut für Balkanforschung“ in Sarajevo und besorgte dessen in drei Serien erscheinende Veröffentlichungsreihe „Zur Kunde der Balkanhalbinsel“. Seine eigenen archäologischen Forschungsergebnisse faßte P. 1911 in dieser Schriftenreihe unter dem Titel „Bosnien und die Herzegowina in römischer Zeit“ zusammen. Das Jahr 1918 bereitete P.s zielbewußtem Schaffen in Bosnien ein jähes Ende. Glücklicherweise fand er im Wiener „Forschungsinstitut für Osten und Orient“ eine gastfreundliche Aufnahme. Mit seiner 1921 erfolgten Berufung an die Wiener Universität als Nachfolger von Jireček begann P.s erfolgreiche Tätigkeit als akademischer Lehrer in seinem von ihm aufgebauten „Institut für Balkankunde“. Eine Frucht seiner Lehrtätigkeit an der Wiener Hochschule für Welthandel, an der er einem Lehrauftrag nachkam, sind seine vier äußerst gründlichen Beiträge „Jugoslawien“, „Bulgarien“, „Albanien“ und „Europäische Türkei“ im ersten Band der „Geographie des Welthandels“ (Hrsg. Karl Andree, Franz Heiderich, Robert Sieger, Wien 1926, 4. Aufl.). In seinen Wiener Jahren änderte P. grundsätzlich seine Arbeitsmethode. Er verarbeitete sein in so reicher Fülle gewonnenes archäologisches Material mit den schriftlichen Quellen und verknüpfte in der ihm eigenen gründlichen Art Theorie und Praxis. Schon in seinem 1922 in der neuen Folge der „Schriften zur Kunde der Balkanhalbinsel“ als 1.Band erschienenen Werk „Historische Wanderungen im Karst und an der Adria. I. Teil: Die Herzegowina einst und jetzt“ kommt dies ganz deutlich zum Ausdruck. P. stellte hier die historische Entwicklung des Herzoglandes an der Narenta vom 6. vorchristlichen Jahrhundert bis in die Kolonialzeit der Griechen und Römer dar. Im selben Jahr 1922 erhielt P. von der albanischen Regierung den ehrenvollen Auftrag, in Tirana ein Museum einzurichten und den wissenschaftlichen Dienst seines Faches in Albanien zu organisieren. Als Meisterwerk darf man P.s „Beiträge zur Völkerkunde von Südosteuropa“ bezeichnen. Sie erschienen in sechs Teilen 1925-1937 in den Sitzungsberichten der philosophisch-historischen Klasse der Akademie der Wissenschaften in Wien. Wenn sie auch unvollendet geblieben sind und P. seinen Plan einer breit angelegten Geschichte Südosteuropas im Altertum nicht ganz realisieren konnte, so bilden diese Beiträge eine solide Grundlage für die weitere Arbeit auf diesem Gebiet. Nach dem 1934 erfolgten Eintritt in den Ruhestand war P. vor allem mit der publizistischen Auswertung seiner zahlreichen Reisen und Forschungsarbeiten beschäftigt, bis ein Luftangriff auf Wien seinem arbeitsreichen Leben ein tragisches Ende bereitete. P. bleibt ein Pionier der Südostforschung, der viele kulturhistorische Zusammenhänge in der Altertumsforschung Südosteuropas erschlossen und der Forschung nach ihm den Weg bereitet hat.

Literatur

Stadtmüller, Georg: Carl Patsch (1865-1945). Ein österreichisches Gelehrtenleben im Dienste der Balkanforschung. In: Wort und Wahrheit 3 (1948) 369-372.
Saria, Balduin: Carl Patsch. In: Südostdt. Heimatbl. 2 (1953) 2, 42-43.
Hajek, Alois: Carl Patsch (1865 -1945). In: Südost-Forsch. 12 (1953) 263-269.
Ders.: Die Wiener Balkanforschung und ihre Hauptvertreter Josef Konstantin Jireček und Carl Patsch. In: Österr. Osth. 6 (1964) 168-176.

Verfasser

Gerhard Seewann (GND: 1069961280)

GND: 11605882X

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd11605882X.html


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Empfohlene Zitierweise: Gerhard Seewann, Patsch, Carl, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 3. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1979, S. 405-406 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1501, abgerufen am: (Abrufdatum)

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