Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Ömer Lȗtfî Pascha
Bild: Wikimedia Commons
Wikidata: Q560045

In den Suchergebnissen blättern

Treffer 
 von 1526

Ömer Lȗtfî Pascha

Ömer Lȗtfî Pascha (eigentlich Mihailo Latas), osmanischer Marschall und Kriegsminister, * Janja Gora (bei Plaški, Bezirk Ogulin, Kroatien) 24.09.1806, † Istanbul 18.04.1871, Sohn einer aus Bosnien eingewanderten serbisch-orthodoxen Offiziersfamilie.

Leben

Ö. zeichnete sich als Kadett des Likaner Grenzinfanterieregiments in Gospić durch Vorzugsleistungen aus. 1826 wurde er Unterinspektor für Brücken- und Straßenbau. 1827 flüchtete er nach Bosnien, wo er bei Hadži Ali Bojić, einem reichen Kaufmann in Banja Luka, Schutz und Arbeit fand. Durch häufigen Umgang mit Hodschas, den islamischen Rechtsgelehrten, lernte er die Landessitten und den Islam kennen und wurde Muslim unter dem Namen Ömer Lȗtfî. Das Volk nannte ihn später vielfach Frank Ömer Pascha. 1829 trat ö. in die Dienste des Festungskommandaten von Vidin, Ibrahim Pascha, als Lehrer für technisches Zeichnen ein. Bald danach gelangte er zum Großwesir Koca (Mehmed) Hüsrev Pascha und wurde in der neugegründeten Istanbuler Militärschule Lehrer. Von dort holte man ihn als Hauslehrer für den Kronprinzen Abdülmecid (I.). Nach der Thronbesteigung seines Schülers (1839) erlangte der ehemalige österreichische Wachtmeister den Rang eines Paschas und Brigadiers. 1845 wurde er zum Muşir (Marschall) befördert, 1868/69 war er Kriegsminister. Im Einsatz für Reformen im Militär- und Verwaltungswesen und in der Bekämpfung von Aufständen, die seit der Französischen Revolution überall im Osmanischen Reich aufflackerten, bewies Ö. glänzende militärische und diplomatische Fähigkeiten und unzerbrüchliche Treue zum Thron. Er perfektionierte die türkische Artillerie. Eine imponierende Liste von Siegen verschaffte ihm Ansehen im In- und Ausland: 1840 Sieg bei Akka über den Ägypter Ibrahim Pascha, 1842 Niederwerfung der Albanerrebellion und Einnahme von Üsküp (Skopje), 1843 Unterdrückung des Drusenaufstandes im Libanon, 1846 Befriedung von Kurdistan, 1848/49 gemeinsame türkisch-russische Okkupation der Moldau und Walachei, 1850 Einzug in Sarajevo und Abschaffung bosnischer Sonderrechte, 1851 endgültige Niederschlagung der bosnischen Rebellion durch Siege bei Jajce und Cazin, 1853 Siege über die Russen auf der Krim, 1856 Zerschlagung des Aufstandes in Mesopotamien und Einführung einer mustergültigen Verwaltung, 1862 Sieg über Montenegro und Erzwingung des Friedens. Für die südosteuropäische Geschichte ist besonders Ö.s Auftreten in Bosnien von Bedeutung. Er vernichtete die Macht des bosnischen Adels, verbesserte die Lage der Christen und bereitete den Boden für die Europäisierung des Landes vor, die erst unter Österreich-Ungarn voll anlaufen sollte. Zahlreiche Adelige wurden von ihm eingesperrt oder verbannt. Den mächtigen Wesir der Herzegowina, Ali Pascha Rizvanbegović, ließ er - wohl auf Wink der Zentralregierung - als Gefangenen durch eine quasi versehentlich losgelöste Kugel töten (1851). Seine irregulären Truppen, meist Arnauten, plünderten und verheerten das Land, so daß die einst begüterten bosnischen Muslime heute noch seiner mit Groll gedenken. Von der einheimischen Geschichtsschreibung ist sogar die Vermutung geäußert worden, daß er im Aufträge Österreichs gehandelt habe, um Bosnien für die spätere Okkupation reif zu machen. Andererseits wurde Ö. die Absicht in die Schuhe geschoben, sich zum bosnischen König erheben lassen zu wollen und in eine panslawistische Verschwörung verwickelt gewesen zu sein, obwohl er in Wirklichkeit die panslawistische Bewegung verfolgte. Um sich von derlei Beschuldigungen reinzuwaschen, opferte er seinen einstigen Freund, den Franziskanerpater Ivan Prano Jukić (1818-1857), indem er ihm einen Prozeß wegen Veruntreuung aufhalste und ihn wegen staatsfeindlicher Umtriebe nach Istanbul verbannen ließ. Die beherrschenden Charaktereigenschaften Ö.s, denen er seine Erfolge verdankte, waren neben Klugheit und militärischem Geschick noch seine gute Menschenkenntnis und die Fähigkeit, die vielen kleinen und großen Schwächen der orientalischen Gesellschaft sich zunutze zu machen, dabei aber seine Absichten immer geschickt zu tarnen. Die Beherrschung mehrerer europäischer und orientalischer Sprachen erleichterte ihm seine Arbeit. Trotz aller Härten, die seine militärischen Aktionen - manchmal überflüssigerweise - mit sich brachten, hat er zur Überwindung der inneren Gegensätze der osmanischen Gesellschaft wesentlich beigetragen und damit auch jenen Elementen, die ihn als „Giaur“ schmähten, auf weite Sicht hinaus einen guten Dienst erwiesen.

Literatur

Politische und militärische Skizzen aus dem Orient. I. Omer Pascha und die türkische Armee. Berlin 1856.
Koetschet, Josef: Erinnerungen aus dem Leben des Serdar Ekrem Omer Pascha (Michael Lattas). Sarajevo 1885.
Zildžić, Mehmed: Omer Pascha Latas in Bosnien (vom Juli 1850 - April 1852). (Diss.) Wien 1913.
Šišić, Ferdo (Hrsg.): Bosna i Hercegovina za vezirovanja Omer-paše Latasa. (1850-1852). Isprave iz Bečkog Drž. Arhiva. Subotica 1938.
Kapidžić, Hamdija: Omer-paša Latas u Bosni. Sarajevo 1938.
Muradbegović, Ahmed: Omer-paša Latas u Bosni 1850-1852. Zagreb 1944.
Šljivo, Galib: Omer-Paša Latas u Bosni i Hercegovini. 1850-1852. Sarajevo 1977.

Verfasser

Smail Balić (GND: 120362201)

GND: 128968699

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd128968699.html


RDF: RDF

Vorlage (GIF-Bild):  Bild1   Bild2   

Empfohlene Zitierweise: Smail Balić, Ömer Lȗtfî Pascha, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 3. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1979, S. 351-352 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1474, abgerufen am: (Abrufdatum)

Druckerfreundliche Anzeige: Druckerfreundlich

Treffer 
 von 1526
Ok, verstanden

Website nutzt Cookies, um bestmögliche Funktionalität bieten zu können. Mehr Infos