Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

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Natan, Žak Primo

Natan, Žak Primo, bulgarischer Historiker und Wirtschaftswissenschaftler, * Sofia 28.10.1902, † ebd. 03.03.1974.

Leben

N., Nestor der bulgarischen marxistischen Historiographie, hat in dem wohl farbigsten seiner Bücher, dem „Pametni vremena - Spomeni“ (Denkwürdige Zeiten - Erinnerungen, 1970), sein eigenes Leben bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs beschrieben. In der Familie eines sefardischen Juden geboren, erlebte er als Kind die Armut im Sofioter Judenviertel Jučbunar und schloß sich früh den Kommunisten an. 1920 trat er der Bulgarischen Kommunistischen Partei bei, 1925/26 wurde er in die Leitung ihres Jugendverbandes gewählt. Im Auftrag der Partei unternahm er Kurierreisen nach Wien, wohin die Parteiführung nach 1925 geflüchtet war. 1926 ging er selbst in die Sowjetunion, wo er in Moskau Wirtschaftswissenschaften studierte, auch promovierte und den aufkommenden Stalinismus mitsamt den Kämpfen gegen die Opposition um Lev Davidovič Trockij und Georgij Vasil’evič Zinov’ev erlebte. 1930 kehrte er nach Bulgarien zurück - spätere Versuche, zu Besuch in die UdSSR zu reisen, wurden von sowjetischen Behörden vereitelt. 1931-1934 war er Mitglied der Agitations- und Propagandakommission des ZK der BKP und Redakteur der Zeitung „Echo“. Die folgenden zwei Jahre verbrachte er wegen illegaler Tätigkeit im Gefängnis, auch später wurde er wiederholt verhaftet und inhaftiert - unter erträglichen Bedingungen, wie er in seiner Autobiographie berichtet. Relativ erträglich gestaltete sich auch seine Internierung im Konzentrationslager Krŭsto pole (1941-1943), in das er als Jude eingeliefert wurde (die bulgarischen KZs suchten die Juden dem Zugriff der Deutschen zu entziehen, so daß Bulgarien buchstäblich keinen einzigen Juden durch Deportation oder Gaskammern verlor). 1943 kam N. frei, wurde jedoch kurz darauf erneut im Lager Ichtiman bei Pazardžik interniert, von wo aus er regelmäßig am Wochenende seine Familie in Pazardžik besuchte. N. war zu dieser Zeit bereits als wissenschaftlicher Autor bekannt: 1938 waren seine Werke „Ikonomičeska istorija na Bŭlgarija “(Wirtschaftsgeschichte Bulgariens) und „Ikonomičeska istorija na Bŭlgarija sied Osvoboždenieto“ (Wirtschaftsgeschichte Bulgariens nach der Befreiung) erschienen, 1939 seine Studie „Bŭlgarskoto vŭzraždane“ (Die bulgarische Wiedergeburt, 2. Aufl. 1947). Nach Kriegsende betätigte sich N. zunächst in der neugegründeten „Jüdischen Vaterländischen Front“ (Evrejski Otečestven Front), die die Juden für die neuen politischen Verhältnisse gewinnen und den zionistischen Einfluß unter ihnen bekämpfen wollte (vgl. dazu seine Schrift: Iz istorijata na Evrejskija otečestven front [Aus der Geschichte der Jüdischen Vaterländischen Front], in: Godišnik 4 (1969) 21-39). Er wurde Präsident der Organisation und versuchte bereits Ende 1944 - erfolglos - eine Kontaktanbahnung zum Jüdischen Weltkongreß in den USA. Ende der 40er Jahre begann für N. eine steile Karriere: Direktor des Parteiverlags („Partizdat“, 1947-1949), Vizepräsident des Komitees für Wissenschaft, Kunst und Kultur (1949-1952), Direktor des Wirtschaftsinstituts der Akademie (1949-1951), Rektor der Sofioter Wirtschaftshochschule (1952-1962), Akademiemitglied (1961) sowie zahlreiche öffentliche Auszeichnungen. In dieselbe Zeit fällt die Veröffentlichung weiterer Werke zur bulgarischen Wirtschaftsgeschichte, wie: „Stopanska istorija na Bŭlgarija“ (Wirtschaftsgeschichte Bulgariens, 1957), „Istorija na ikonomičeskata misŭl v Bŭlgarija“ (Geschichte des wirtschaftlichen Denkens in Bulgarien, 1964) u. a. 1963 und 1964 gehörten N. und Dimitŭr Kosev, der heutige Präsident der „Bulgarischen Historischen Gesellschaft“ (Bŭlgarsko Istoričesko Družestvo), zu den Initiatoren mehrerer umfassender Diskussionen über die Schäden, die der Stalinismus in der bulgarischen Historiographie angerichtet hatte. Beide Wissenschaftler betonten damals, „daß einer der Hauptschäden des Persönlichkeitskults in Angst und Unbeweglichkeit der Forscher bestand“. Diese Diskussionen leiteten die national- und wissenschaftsbewußte Regeneration der bulgarischen Historiographie ein, die seit Anfang der 70er Jahre auch international immer stärkere Beachtung findet.

Literatur

[Natan, Primo Žak]. In: Sto godini Bŭlgarska Akademija na Naukite. 1869-1969. Bd 1. Sofija 1969, 459-461.
Ikonomova, Maria: Academician Jacques Nathan (1902-1974). In: Bulgarian Historical Review 2 (1974) 3, 129-132.

Verfasser

Wolf Oschlies (GND: 107216760)

GND: 128310723

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd128310723.html


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Empfohlene Zitierweise: Wolf Oschlies, Natan, Žak Primo, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 3. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1979, S. 294-295 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1437, abgerufen am: (Abrufdatum)

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