Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Murad IV.
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Murad IV.

Murad IV., osmanischer Sultan 1623-1640, * Istanbul 27.07.1612, † ebd. 08.02.1640, Sohn Ahmeds I. und der Kösem Sultan (Mâh-Peyker).

Leben

Nach der Absetzung seines geistesschwachen Onkels Mustafa I. bestieg M. mit elf Jahren den Thron. Zunächst führte seine Mutter für ihn die Herrschaft. Er selbst wuchs zu einem kräftigen und schönen Mann heran, zeigte Klugheit, Wißbegier und einen harten Willen. Mit zunehmendem Alter beteiligte er sich mehr und mehr an den Geschäften, obwohl Zerstreuungen ihn davon abhalten sollten. Zahlreiche Aufstände erschütterten das Reich während seiner frühen Jahre. Bekir Subaşı hatte sich Bagdads bemächtigt (1623) und sich Schah Abbas I. unterstellt, was einen jahrelangen Krieg gegen Persien auslöste, dessen Hauptziel die Rückgewinnung Bagdads war, der aber das osmanisch-persische Grenzgebiet vom Kaukasus bis zum Zweistromland in Mitleidenschaft zog. Zweimal (1626, 1629) wurde Bagdad vergeblich belagert. Das Reich versank immer mehr in Ohnmacht: Truppenteile rebellierten vielerorts, neue Aufstände loderten auf, Räuberbanden verunsicherten das Land, unzufriedene Sipahis rotteten sich in den Provinzen zusammen und zogen in die Hauptstadt, um ihren Forderungen Gehör zu verschaffen. Zwischen all das schob sich noch das Intrigengeflecht hauptstädtischer Personen und Gruppen. Der Sultan erlebte eine demütigende Szene nach der anderen. 1632 wurde vor seinen Augen der Großwesir Hâfiz Ahmed Pascha mit Dolchen durchlöchert. M. dämmerte allmählich, daß hinter verschiedenen Aufständen und den Sipahiforderungen Receb Pascha, der neue Großwesir, stand, der überdies in mehreren Provinzen eine bedeutende Zahl persönlich geworbener Truppen stehen hatte. In einem plötzlichen, von niemand erwarteten Handstreich ließ M. am 18. Mai 1632 nach der Diwansitzung den Großwesir und sein Gefolge überwältigen und auf der Stelle töten. Als sich dessen Anhänger mit neuen Forderungen aus der Betäubung erhoben, versammelte M. alle wichtigen Würdenträger und ließ ihnen einen feierlichen Treueid abnehmen. Nun war er der Herrscher: hatte man ihm bisher stets Köpfe abverlangt, so war er nun derjenige, der sie rollen ließ. Mit beispielloser Härte räumte er jeden Widerstand aus. Der Blutbefehl, oft in schriller Dissonanz zur Schwere des Vergehens, traf rebellierende Sipahis, Räuber, Wesire, Kadis, Raucher, Nachtschwärmer ohne Laterne, drei seiner Brüder, Günstlinge und sogar, das erste Mal in der osmanischen Geschichte, einen Schejch ül-Islam. Die zurückkehrende Stabilität ermöglichte es, Truppen zur Wiedergewinnung einiger abbröckelnder Provinzen einzusetzen. Zunächst gelang es, den Drusenemir Fahreddin, der seit Jahren mit christlichen Staaten, vor allem der Toscana, konspirierte, gefangenzunehmen und hinzurichten. Dagegen mißlang der Zugriff im Yemen. Ein Streit mit Polen, das die Kosaken nicht an Überfällen auf osmanisches Gebiet hinderte, konnte ohne langen Krieg dank der entschlossenen Haltung des Sultans durch Vertrag beigelegt werden (1634). Echte Gefahr drohte aus Osten und der Sultan war entschlossen, ihr zu begegnen: Schah Safi hatte Georgien angegriffen und war auf osmanisches Gebiet gedrungen, auch Bagdad war noch immer in seiner Hand. Gegen ihn führte M. sein Heer zweimal persönlich ins Feld. 1635 drang er bei Kars auf persisches Gebiet, eroberte Eriwan, dann Täbris. Gichtanfälle in den Beinen zwangen ihn zur Umkehr. Da der Schah Eriwan wenig später zurückholte, rüstete M. erneut. Diesmal (1638/39) zog er gegen Bagdad, das er eroberte. Das Hauptziel war erreicht, nun ließ er den Großwesir Kemankeş Kara Mustafa mit dem Schah den Frieden aushandeln. Ihn selbst zwang neue Krankheit zur Schonung. Mit dem Frieden von Kasr-i Schirin (17.05.1639) war im Osten eine Grenzlinie erreicht, die sich kaum mehr ändern sollte. Jahrelang in Panik versetzten die Bevölkerung die plötzlichen Überfälle der Kosaken auf Küstenorte des Schwarzen Meeres und den Bosporus bis nach Tarabya und Yeniköy unweit der Hauptstadt. Zwar gelangen einige Schläge, doch nicht einmal der Bau zweier Sperrfestungen konnte weitere kosakische Plünderzüge verhindern. Erst 1638, als sie auch auf dem Lande geschlagen wurden, fanden die Überfälle ein Ende. Der zweite Unsicherheitsfaktor im Norden waren die Krimtataren. Die Lage dieses osmanischen Vasallenstaates zwischen Polen, Persern, Russen und Osmanen machte die Auseinandersetzungen innerhalb der Chanfamilie, deren Mitglieder auf allen Seiten Verbündete suchten und Abhängigkeiten einzugehen bereit waren, zur ständigen Gefahr. Im labilen Kräfteverhältnis der Region war das Tatarenheer ein militärischer Faktor von großer Bedeutung, was der Sultan durch militärisch-politische Wachsamkeit und häufig auch direkte Einmischung zu erkennen gab. Mit den christlichen Staaten Europas kam es nur auf dem Mittelmeer zu kleineren Reibereien. Die Verträge mit den wichtigsten Staaten waren erneuert worden (u. a. 1624 mit Venedig, Polen und Siebenbürgen, 1625 mit Österreich in Gyarmath, 1627 erneut mit Österreich in Szőny, 1630 und 1635 mit Polen, 1639 mit Venedig). Europa, in den Dreißigjährigen Krieg verwickelt, verdankte seine Sicherheit vor einem Türkenvorstoß in dieser Situation vor allem der safawidischen Bedrohung der Osmanen im Osten; daß sich die Osmanen ruhig dieser Bedrohung entgegenstellen konnten, verdankten sie wiederum der politisch-religiösen Selbstzerfleischung der christlichen Mächte. Die Einmischung Gábor Bethlens allerdings wurde von den Türken, welche auch die Jesuiten des Landes verwiesen hatten, tätig unterstützt. Erst nach Abschluß des Krieges gegen Persien hatte M. den Rücken frei zu größeren Planungen Richtung Westen. In seinen letzten Tagen trug er sich mit einem großangelegten kombinierten Land-Seeunternehmen gegen Venedig, auch Malta soll ihn interessiert haben, doch seine angeschlagene Gesundheit, geschwächt noch durch jahrelange alkoholische Exzesse, ließ ihm zur Verwirklichung keine Zeit. Der gewalttätige Despot hinterließ sein Reich innerlich gefestigt, nach außen gesichert, mit vollen Kassen dem letzten und unfähigsten seiner Brüder, Ibrahim; seine eigenen Söhne waren als Kinder gestorben. Bei einigen Stämmen Arabiens ist er zur legendären Gestalt geworden.

Literatur

Hartmann, Richard: Murād IV. und das arabische Beduinentum. In: Festschrift Friedrich Giese. Leipzig 1941, 84-97. (= Die Welt des Islams, Sonderbd.)
Ünver, A. S.: Dördüncü Sultan Murad’ın Revan Seferi Kronolojisi. In: TTK Belleten 16 (1952) 547-576.
Handžić, Adem: Diploma sultana Murada IV erdeljskom knezu Djordju Rakociju. In: Pril. orijent. Filol. 6/7 (1956/57) 175-191.
Baysun, M. Cavid: Murad IV. In: Islâm Ansiklopedisi, Bd 8. Istanbul 1960, 625-647.

Verfasser

Hans Georg Majer (GND: 129740098)

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Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd118585797.html


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Empfohlene Zitierweise: Hans Georg Majer, Murad IV., in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 3. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1979, S. 252-254 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1407, abgerufen am: (Abrufdatum)

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