Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Talât Pascha, Mehmed
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Talât Pascha, Mehmed

Talât Pascha, Mehmed, osmanischer Staatsmann, * Edirne 1.09.1874, † Berlin 15.03.1921, bulgarisch-muslimischer (pomakischer) Herkunft; Angaben über eine zigeunerische Abstammung dürften unwahr sein.

Leben

T. besuchte die Grundschule in Vize und die Militärmittelschule in Edirne. Wegen eines tätlichen Angriffs auf einen Lehrer konnte er seine Ausbildung nicht planmäßig fortsetzen; er war zeitweilig Türkischlehrer an der Schule der Alliance Israélite universelle in Edirne und trat nach dem Tode seines Vaters, der zuletzt Untersuchungsrichter in Vize gewesen war, in den Postdienst ein. Wegen politischer Umtriebe wurde er 1895 zusammen mit zwei Freunden verhaftet, erst nach zwei Jahren begnadigt und nach Saloniki verbannt. 1898 wieder in die Postverwaltung übernommen, war er reisender Beamter zwischen Saloniki und Bitola, dann Sekretär und 1903 Hauptsekretär in Saloniki. In dieser Zeit schloß er sich der jungtürkischen Bewegung an und trat zugleich in die örtliche Freimauerloge ein; vorübergehend schrieb er sich auch in der Rechtsschule in Saloniki ein. Zweimal reiste er in der Folgezeit nach Istanbul, um dort eine Zweigstelle des Komitees „Einheit und Fortschritt“ aufzubauen. 1908 wurde er wegen verbotener politischer Aktivität aus dem Dienst entlassen; Hüseyn Hilmi Pascha, der außerordentliche Kommissar für Mazedonien, verhinderte seine erneute Verbannung und ernannte ihn zum Leiter einer Privatschule.
Nach der jungtürkischen Revolution (Juli 1908) zum Abgeordneten von Edirne gewählt, war T. 1909 Leiter einer Parlamentsdelegation, die Großbritannien besuchte. Am 6. August 1909 wurde er Innenminister im Kabinett Hüseyn Hilmi Pascha (Mai-Dezember 1909) als Nachfolger von Mehmed Ferid Pascha Vlora, der von den Jungtürken zum Rücktritt gezwungen worden war. T. behielt den Posten bis zum 18. Februar 1911 und trat am 4. Februar 1912 als Postminister in das zweite Kabinett Mehmed Said Pascha (Dezember 1911-Juli 1912) ein. Als Generalsekretär des Komitees meldete er sich bei Ausbruch des ersten Balkankrieges freiwillig, wurde von Şiikrii Pascha indessen wegen zersetzender politischer Propaganda aus Edirne verwiesen und organisierte sodann mit Enver Pascha die Machtergreifung der Jungtürken durch den Überfall auf die Hohe Pforte (23.1. 1913). Nach der Rückeroberung von Edirne leitete er auf türkischer Seite die Friedensverhandlungen mit Bulgarien (September 1913).
Im Kabinett Said Halim Pascha (Juni 1913-Februar 1917) war T. seit dem 17. Juni 1913 erneut Innenminister und wurde als solcher in erster Linie für die Deportationen und den Völkermord an den armenischen Untertanen während des Ersten Weltkrieges verantwortlich gemacht. Am 4. Februar 1917 stieg er zusätzlich zum Großwesir auf und Unterzeichnete als Leiter der türkischen Delegation den Friedensvertrag von Brest Litowsk mit der sowjetischen Regierung (3.03.1918) und den Frieden von Bukarest mit Rumänien (7.05.1918). Im September 1918 besuchte er noch in offizieller Funktion Österreich-Ungarn und Deutschland, mußte aber nach seiner Rückkehr am 8. Oktober angesichts des militärischen Zusammenbruchs der Türkei zurücktreten und floh am 2. November 1918 zusammen mit Enver Pascha und anderen jungtürkischen Führern in einem deutschen Unterseeboot nach der Krim und weiter nach Deutschland. Am 12. März 1919 wurden ihm unter der Regierung Damad Ferid Pascha der Wesirsrang und alle Auszeichnungen abgesprochen. T. lebte unter dem Pseudonym Ali Bey noch zwei Jahre in Berlin und wurde dann von dem Mitglied eines armenischen Komitees auf offener Straße erschossen. Seine Leiche wurde im Februar 1944 nach Istanbul überführt und auf dem dortigen Heldenfriedhof beigesetzt.
T.s Person ist in der Geschichtsschreibung umstritten, doch es überwiegt die negative Einschätzung. Er war zweifellos intelligent, ein geschickter Organisator und wohl auch ein guter Patriot, andererseits für seine Aufgaben mangelhaft vorgebildet, machtgierig, eitel, unaufrichtig und brutal, ,,ein vorzüglicher Untergrundkämpfer und Bandenführer, der nicht Innenminister und Großwesir hätte werden dürfen“ (sein Parteifreund Ahmed Riza).

Literatur

İzzet Pascha: Denkwürdigkeiten des Marschalls - . Tr. Karl Klinghardt. Leipzig 1927.
Bayur, Yusuf Hikmet: Türk inkılâbı tarihi. 3 Bde. in 10. Ankara 1940/67.
Şakir, Ziya: Yakın tarihin üç büyük adamı: Talât, Enver, Cemal Paşalar. Istanbul 1943.
Türkgeldi, Ali Fuad: Görüp işittiklerim. Ankara 1951.
Talât Paşa: Hâtıralar. Hrsg. Enver Bolayır. Istanbul 1958(2).
İnal, İbnülemin Mahmud Kemal: Osmanlı devrinde son sadrıazamlar. 14 Teile. Istanbul 1964/65(2).
Danişmend, İsmail Hami: İzahlı Osmanlı tarihi kronolojisi. 5 Bde. Istanbul 1971/72(2).
Aydemir, Şevket Süreyya: Makedonya’dan Ortaasya’ya Enver Paşa. 3 Bde. Istanbul 1970/72.

GND: 124813798

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd124813798.html


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Empfohlene Zitierweise: Hans-Jürgen Kornrumpf, Talât Pascha, Mehmed, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 4. Hgg. Mathias Bernath / Karl Nehring. München 1981, S. 268-269 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1744, abgerufen am: (Abrufdatum)

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