Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Inönü, Ismet
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Inönü, Ismet

Inönü, Ismet (bis 1934 Ismet Pascha), türkischer Staatsmann, Präsident der Türkischen Republik 1938-1950, * Izmir 24.09.1884, † Ankara 25.12.1973, Sohn des Richters Mustafa Reşit.

Leben

 Der junge I. schlug die Offizierslaufbahn ein, wurde bereits 1903 Leutnant, 1906 Hauptmann im Generalstab und war mit 31 Jahren der jüngste Oberst der osmanischen Armee. 1908/09 nahm I. an der Erhebung der Jungtürken teil und im Herbst 1913 war er militärischer Berater der osmanischen Delegation bei den Friedensverhandlungen mit den Bulgaren. 1916 war er Stabschef der 2. Armee, die in Ostanatolien gegen die Russen kämpfte. In dieser Position kam es zum ersten Mal zu der in Zukunft wichtigen engen Zusammenarbeit mit dem damaligen Generalmajor Mustafa Kemal (Atatürk). 1917/18 kämpfte Oberst I. als Kommandeur des 3. Armeekorps bei der 7. Armee an der Palästinafront. Im Oktober 1918 wurde er als Unterstaatssekretär in das Kriegsministerium nach Istanbul berufen. Von dort aus unterstützte er die Sache der türkischen Nationalisten in Anatolien. Im Frühjahr 1920, als Istanbul von den Engländern besetzt wurde, schlug sich I. nach Ankara durch und wurde dort als Abgeordneter von Edirne Mitglied der am 23. April von Mustafa Kemal eröffneten Großen Nationalversammlung. Als Chef des Generalstabs erwarb er sich entscheidende militärische Verdienste, besonders in den beiden Schlachten beim Orte Inönü zwischen Bursa und Eski$ehir (6.-11.1. 1921 und 23.-31.03.1921), die den militärischen Umschwung im Krieg gegen die Griechen in Westanatolien einleiteten. In Anknüpfung an diese Ereignisse nahm I. 1934 bei der Einführung von Familiennamen in der Türkei den Namen Inönü an. Auch an den schweren Abwehrkämpfen an der Sakarya (23. VIII. bis 13.09.1921) und der kriegsentscheidenden Offensive im August/September 1922 hatte I. hervorragenden Anteil, schrieb jedoch in der Öffentlichkeit seine eigenen Verdienste stets dem Oberbefehlshaber Mustafa Kemal zu. Nach dem Waffenstillstand von Mudanya brach I. als Leiter der türkischen Delegation am 5. November 1922 von Ankara zu den Friedens Verhandlungen nach Lausanne auf, die am 21. November begannen. Bei den monatelangen schwierigen Verhandlungen (nur unterbrochen vom 4. Februar bis zum 23. April 1923), die erst am 24. Juli 1923 beendet wurden, erwies sich der Berufssoldat als Diplomat und Staatsmann von hohem Rang. Ls Geschick und Zähigkeit war es in erster Linie zu verdanken, daß fast alle türkischen Forderungen im Friedens vertrag durchgesetzt werden konnten: Die Meerengen blieben türkisch, die Souveränität der Türkei wurde anerkannt, die Kapitulationen abgesdiafft usw. Auch leitete er bei Besprechungen mit Eleftherios Venizelos, dem Leiter der griechischen Delegation, den Beginn einer Aussöhnung mit dem besiegten Griechenland ein. Bereits am 30. Januar 1923 wurde zu Lausanne die Konvention über den griechisch/'türkischen Bevölkerungsaustausch unterzeichnet. Zunächst als Außenminister und dann, seit der formellen Proklamation der Türkischen Republik am 29. Oktober 1923, als Ministerpräsident war I. der engste politische Mitarbeiter Atatürks beim Aufbau der modernen Türkei. Als Persönlichkeit behutsamer und konservativer als dieser, hat er gleichwohl bei der Verwirklichung aller Reformen energisch mitgewirkt. Ernste Meinungsverschiedenheiten ergaben sich erst ab 1936 bei der Behandlung der Hatay-Frage, bei der I. für eine friedliche Lösung eintrat. Daraufhin ersetzte Atatürk 1937 I. als Ministerpräsident und in Aussicht genommenen Nachfolger durch den Wirtschaftsfachmann Mahmud Celal Bayar. Doch führte der Einfluß türkischer Armeekreise dazu, daß am 11. November 1938, einen Tag nach dem Tode Atatürks, I. zum Präsidenten der Republik gewählt wurde. Als solcher bereinigte er die Hatay-Frage durch ein Abkommen mit Frankreich. Mit beispiellosem staatsmännischen Geschick gelang es I., trotz aller auf Ankara ausgeübten Pressionen, die Türkei aus allen Kampfhandlungen des Zweiten Weltkriegs herauszuhalten. Die Kriegserklärung an das Deutsche Reich am 1. März 1945 hatte lediglich politische Bedeutung. Stalins 1945 und 1946 vorgetragenen Forderungen nach Sonderrechten an den Meerengen und Überlassung türkischen Gebiets in Ostanatolien, denen sowjetische Truppenkonzentrationen Nachdruck verliehen, trat die Türkei, in Moskau durch Selim Sarper repräsentiert, mit entschlossener Gelassenheit entgegen. Mit der Verkündung der Truman-Doktrin am 12. März 1947 begann die Ära nachhaltiger politischer, militärischer und wirtschaftlicher Rückendeckung der Türkei durch die USA. Innenpolitisch nahm I. in den Jahren nach 1945 die Durchführung einer Bodenreform zugunsten landloser Bauern in Angriff. Vor allem ermöglichte er die Umwandlung des Staates, der unter ihm zunächst im patriarchalischen Stil mit Hilfe einer einzigen Partei geführt worden war, in einen Mehrparteienstaat westlicher Prägung. Nach der Wahlniederlage vom 14. Mai 1950, der die „Demokratische Partei“ Celal Bayars und Adnan Menderes’ ans Ruder brachte, übernahm I. als Vorsitzender der „Republikanischen Volkspartei“ die Rolle eines Oppositionsführers. Als solcher hat er namentlich die verfehlte Wirtschaftspolitik der Regierung Menderes scharf bekämpft. Nach dem Sturz des Menderes-Regimes durch den Militärputsch vom 27. Mai 1960 und den Parlamentswahlen vom 15. Oktober 1961 übernahm I. die Leitung einer Koalitionsregierung, die nach dem 25. Juni 1962 in anderer Zusammensetzung fortgeführt wurde. Doch erwies sich das parlamentarische Kräfteverhältnis als schweres Hindernis bei der Durchführung dringend notwendiger Reformen. Eine Abstimmungsniederlage über das Budget Anfang 1965 und der Sieg der „Gerechtigkeitspartei“ bei den Wahlen am 10. Oktober 1965 verwiesen I. erneut in die Oppositionsrolle. Am 4. November 1972 legte I. sein Mandat als Abgeordneter in der Großen Nationalversammlung nieder, nachdem bereits die Übernahme des Vorsitzes der „Republikanischen Volkspartei“ durch Bülent Ecevit Anfang Juni 1972 praktisch seinen Rücktritt aus dem politischen Leben bedeutet hatte.

Literatur

Mercanligil, Muharrem Doğdu: Atatürk ve devrim kitaplari kataloğu. Ankara 1953.
Jäschke, Gotthard: Die Türkei in den Jahren 1942-1951. Wiesbaden 1955.
Xydis, Stephen G.: The 1945 crisis over the Turkish Straits. In: Balkan Studies 1 (1960) 65-90.
Seiler, J. M.: Ministerpräsident Ismet Inönü zum 80. Geburtstag. In: Mitt. dt.-türk. Ges. (1964) H. 58, 1-4.
Jäschke,Gotthard: Die Türkei in den Jahren 1952-1961. Wiesbaden 1965.

GND: 118896067

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd118896067.html


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Empfohlene Zitierweise: Friedrich Karl Kienitz, Inönü, Ismet, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 2. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1976, S. 224-226 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1006, abgerufen am: (Abrufdatum)

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