Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

In den Suchergebnissen blättern

Treffer 
 von 1526

Spaho, Mehmed

Spaho, Mehmed, jugoslawischer Politiker, * Sarajevo 13.03.1883, † Belgrad 29.06.1939.

Leben

 Einer angesehenen bürgerlichen Familie entstammend, erhielt S. seine Grund- und Mittelschulbildung in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo. Als Doktor der Rechte der Wiener Universität wurde er 1908 Praktikant in einer Sarajevoer Rechtsanwaltskanzlei. Bald danach erhielt er die Stelle des Sekretärs der Handels- und Gewerbekammer für Bosnien und die Herzegowina. Auf diesem Posten verblieb er bis 1918. Politisch trat S. zum ersten Male während seiner Wiener Studienzeit hervor. Vor dem Ersten Weltkrieg gehörte er der Muslimischen Selbständigen Partei (Muslimanska samostalna stranka) an. Im Jahre 1921 wurde er zum Präsidenten der 1919 gegründeten Jugoslawischen Muslimen-Organisation Jugoslavenska muslimanska organizacija = JMO) gewählt. Von da an bis zu seinem Tode war er unumstrittener Führer jenes Teiles der jugoslawischen Bevölkerung, der heute offiziell als „Muslime im ethnischen Sinne“ bezeichnet wird. Daran änderte wenig auch die Tatsache, daß seine Partei am 24. April 1935 mit der serbischen Radikalen Partei und der slowenischen Volkspartei formale Fusion einging und ein Teil der zunächst von Milan Stojadinović geführten Jugoslawischen Radikalen-Gemeinschaft Jugoslavenska radikalna zajednica) wurde. Dank einem ausgeprägten Solidaritätsbewußtsein, das sich in den schweren, von Diskriminierungen und Bitternissen aller Art gekennzeichneten ersten Nachkriegsjahren 1918-1924 bei den bosnisch-muslimischen Volksmassen spontan entwickelte, konnte seine Partei bei allen Nationalratswahlen überzeugende Gewinne erzielen. Deshalb fiel ihr im politischen Leben des Staates eine wichtige Rolle zu. Namentlich in den Beziehungen zwischen den Serben und Kroaten galt sie als „Zünglein an der Waage“, zumal sie unter dem Druck der schweren allgemeinen Verhältnisse einen schärferen Sinn für politische Realitäten und somit auch eine höhere Kompromißbereitschaft als andere Parteien, die im serbischen oder kroatischen Nationalismus eingewurzelt waren oder eine gewichtigere internationale Rückendeckung hatten, entfalten mußte. S. lehnte es ab, sich als Serbe oder Kroate zu deklarieren, indem er einer Verletzung der Gefühle der muslimischen Volksmassen ausweichen wollte. Dies und die von ihm gestellten antizentralistischen und demokratischen Forderungen trugen vielfach ihm und seiner Partei den Vorwurf der „Anationalität“ oder gar Staatsfeindlichkeit ein. So mußte S., um dieses Odium zu zerstreuen, gelenkige Politik führen und manchmal sogar von seinen Prinzipien abrücken (z. B. von der Forderung nach der Dezentralisierung des Staates). Nach dem Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie wurde S. Mitglied des Volksrates für Bosnien und die Herzegowina. In der Übergangsregierung (Narodna vlada) in Sarajevo bekleidete er den Posten des Kommissars für Handel, Gewerbe, Post und Telegraphen; in der ersten Regierung des Königreiches der Serben, Kroaten und Slowenen - vom 20. Dezember 1918 bis 23. Februar 1919 - wurde ihm die Führung des Ministeriums für Forstwirtschaft und Bergbau anvertraut. Mit Ausnahme einer größeren, durch die Diktatur König Alexanders I. Karadjordjević bedingten, Unterbrechung vom Januar 1929 bis April 1935 war er fast ununterbrochen Minister in verschiedenen Belgrader Regierungen. Vom 24. April 1935 bis zu seinem plötzlichen Tode am 29. Juni 1939 gehörte er zu den Hauptstützen der Regierungen Stojadinović und Cvetković. S.s politischer Kampf galt vor allem der Erhaltung der historischen Integrität Bosniens und der Herzegowina und deren Autonomie im Rahmen des südslawischen Staates. (Im Herbst 1918 sprach er sich dem ungarischen Ministerpräsidenten Graf István Tisza gegenüber entschieden für die Errichtung eines nationalen jugoslawischen Staatsverbandes aus und lehnte jegliche „ungarische Lösung“ der bosnischen Frage ab.) In den zwischenvölkischen Beziehungen im Lande trat er für Toleranz, Friedfertigkeit und Evolution ein. Er hatte auch entscheidenden Anteil an der prinzipiellen Vorbereitung des Abkommens (Sporazum) zwischen Cvetković und Maček 1939, wodurch die kroatische Frage in Jugoslawien einer vorläufigen Lösung zugeführt worden war. Mag S. das große politische Kapital, das ihm die geschlossene Haltung der bosnischmuslimischen Bevölkerung einbrachte, nicht immer effekt- und sinnvoll genug eingesetzt haben, mag er auch in seinem politischen Wirken den Interessen der durch die Agrarreform schwer geschädigten ehemaligen Besitzerkreise einen viel zu großen Raum gegeben haben, so ist dennoch seine politische Rolle nach den bosnischen und jugoslawischen Maßstäben im großen und ganzen als positiv zu beurteilen. S. war auch schriftstellerisch tätig. Außer seiner Dissertation in deutscher Sprache (Die Agrarfrage in Bosnien und der Herzegowina, 1906) verfaßte er eine Monographie über Gazi Husrev Bey, der sich um die Entwicklung Sarajevos große Verdienste erworben hatte, und schrieb eine Reihe von politischen Artikeln in den Zeitschriften Behar (Blüte), Novi Behar (Neue Blüte), Pravda (Gerechtigkeit), Nova Evropa (Das neue Europa), Srpski književni glasnik (Serbischer Literaturbote) und Politički glasnik (Politischer Bote) sowie im Kalender Narodna Uzdanica (Nationale Hoffnung). Zusammen mit Muhamed Dizdar schrieb er eine Übersicht der arabischen Literatur und betätigte sich außerdem gelegentlich als Übersetzer aus dem Deutschen und Französischen.

Literatur

Nametak, Alija: Uspomene na dra Mehmeda Spahu. In: Novi Behar 13 (1939) Nr. 1/6, 2-4.
Purivatra, Atif: Nacionalni i politički razvitak Muslimana. Rasprave i članci. Sarajevo 1969.
Hadžijahić, Muhamed: Od tradicije do identiteta. Geneza nacionalnog pitanja bosanskih Muslimana. Sarajevo 1974.  

Verfasser

Smail Balić (GND: 120362201)

GND: 143538675

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd143538675.html


RDF: RDF

Vorlage (GIF-Bild):  Bild1   Bild2   

Empfohlene Zitierweise: Smail Balić, Spaho, Mehmed, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 4. Hgg. Mathias Bernath / Karl Nehring. München 1981, S. 157-158 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1674, abgerufen am: (Abrufdatum)

Druckerfreundliche Anzeige: Druckerfreundlich

Treffer 
 von 1526
Ok, verstanden

Website nutzt Cookies, um bestmögliche Funktionalität bieten zu können. Mehr Infos