Conrad von Hötzendorf, Franz Xaver Josef, Freiherr (Graf 1918), österreichisch- ungarischer Feldmarschall, * Penzing (bei Wien) 11.11.1852, † Bad Mergentheim 25.08.1925, Sohn des k.k. Obersten Franz Xaver C.
Leben
C. absolvierte die Theresianische Militärakademie in Wiener Neustadt und die Wiener (Generalstabs-)Kriegsschule. 1878/1879 nahm er als Generalstabsoffizier an der Okkupation von Bosnien und Herzegowina und 1881/1882 an der Niederschlagung der dortigen Insurrektion teil. Nach Tätigkeiten in Lemberg und als Lehrer für Taktik an der Wiener Kriegsschule erhielt C. zwischen 1899 und 1903 als Kommandant der 55. Brigade in Triest den Anstoß zur Beschäftigung mit den politischen, besonders den nationalen Problemen Österreich-Ungarns. Ab 1903 in Innsbruck tätig und durch sein organisatorisches Talent bei Manövern ausgezeichnet, wurde er 1906 auf Wunsch Franz Ferdinands zum Chef des Generalstabes der gesamten bewaffneten Macht ernannt. In seinem Bemühen um Ausbau und Reorganisation der Streitkräfte stieß C. vor allem auf den Widerstand der magyarischen Politiker, was mit zu seiner Gegnerschaft zum dualistischen System beitrug. In steigendem Maße führten jedoch C.s Aufrüstungsforderungen auch zum Konflikt mit dem Außenminister Graf Ährenthal, da dieser außenpolitische Auswirkungen, in erster Linie auf den Dreibundspartner Italien, befürchtete. Der Anspruch C.s auf Einwirkung auf die Außenpolitik wurde besonders deutlich in der Annexionskrise 1908/1909, als C. einer Beilegung der Krise entgegenzuarbeiten suchte und auf einen Präventivkrieg gegen Serbien drängte. C. glaubte, durch eine Annexion Serbiens, Österreich-Ungarns Vormacht auf dem Balkan sichern und damit einerseits zur Befriedung der südslawischen Gebiete und andererseits zur wirtschaftlichen Expansion der Monarchie in den Nahen Osten beitragen zu können. Weiters sollte der militärische Erfolg die Möglichkeit bieten, die Struktur der Doppelmonarchie in Richtung eines Einheitsstaates gleichberechtigter Nationalitäten unter einer starken Zentralgewalt zu verändern und so der magyarischen, als gegen das Gesamtinteresse der Monarchie gerichtet empfundenen Politik ein Ende zu setzen. C. war in diesen seinen Vorstellungen mehr von seinen militärischen Erfahrungen und Kenntnissen geprägt als von der Einsicht in das politisch Mögliche. Er rechnete damit, daß der Widerstand der am status quo interessierten europäischen Mächte auf Grund der Verbindung mit dem Deutschen Reich und der militärischen Überlegenheit der Mittelmächte gebrochen werden könnte. Zum offenen Bruch mit Ährenthal und in der Folge zur Amtsenthebung C.s führte jedoch sein Drängen auf einen Präventivkrieg mit Italien, durch das er den Gebietsstand der Monarchie und die Stellung auf dem Balkan und in der Adria bedroht sah (1911).
C. wurde 1912, auf dem Höhepunkt des Ersten Balkankrieges, durch seinen Gönner Franz Ferdinand in sein Amt als Chef des Generalstabes zurückberufen. Wieder versuchte er, die Situation für einen Krieg gegen Serbien zu nutzen, insbesondere wegen dessen Gebietserwerbungen und Versuchen, einen Adriahafen zu erhalten. Einerseits schlug er vor, Albanien unter das Protektorat der Monarchie zu stellen, andererseits drängte er auf ein Bündnis mit Bulgarien nach Zerbrechen des Balkanbundes. Serbien sollte zwischen seinen Nachbarstaaten aufgeteilt werden. Erst das Attentat von Sarajevo brachte C. die Gelegenheit, mit seinen Vorstellungen eines Krieges gegen Serbien durchzudringen. Wie sehr er als Leiter der österreichisch-ungarischen Operationen seinen alten Zielen der Expansion der Monarchie auf dem Balkan nachhing, zeigt sein Plan, 1915 nach einer Niederschlagung Serbiens bis Saloniki vorzustoßen, der jedoch auf den Widerstand der deutschen Heeresleitung stieß und nach der Eroberung von Montenegro und Nordalbanien abgebrochen werden mußte. Trotz der Bildung einer Obersten Kriegsführung, in der Österreich-Ungarn ein Vetorecht zustand, konnten Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Kriegsziele nicht aus dem Wege geräumt werden. Bedeutsam war aber hier vor allem der Beitrag C.s zur Vorbereitung und zum Gelingen des Rumänienfeldzuges. Trotzdem stand C. bedingungslos an der Seite des Bündnispartners, und er befürwortete schließlich auch den unbeschränkten U-Boot-Krieg im Jahre 1917.
Im Innenpolitischen spielte C. während des Krieges in immer stärkerem Maße einen Widerpart zu den zivilen Regierungsstellen, vor allem, was die Unterdrückung aller illoyal erscheinenden und oppositonellen Strömungen in der cisleithanischen Reichshälfte betraf, etwa in Galizien, Böhmen, Mähren und den südslawischen Gebieten. Zur Entmachtung C.s kam es erst unter Kaiser Karl I. im Jahre 1917, als C. wegen divergierender Ansichten hinsichtlich der Kriegsziele seines Amtes enthoben wurde. Auch sein Amt als Kommandant der Heeresgruppe C. in Tirol und Kärnten brachte ihm keine Erfolge mehr, und nach der gescheiterten Juni-Offensive 1918 wurde er auch von dieser Funktion abberufen.
Literatur
Conrad von Hötzendorf, Franz: Aus meiner Dienstzeit 1906-1918. 5 Bde. Wien, Berlin, Leipzig, München 1921/25.
Ders.: Mein Anfang. Berlin 1925.
Regele, Oskar: Feldmarschall Conrad: Auftrag und Erfüllung, 1906-1918. Wien 1955 (mit Bibliographie).
Ritter, Gerhard: Die Zusammenarbeit der Generalstäbe Deutschlands und Österreich-Ungarns vor dem Ersten Weltkrieg. In: Zur Geschichte und Problematik der Demokratie. Festgabe für Hans Herzfeld. Berlin 1958.
Wank, Solomon: Some reflections on Conrad von Hötzendorf and his memoirs based on old and new sources. In: Austrian Hist. Yearb. 1 (1965) 74-88.
Brettner-Messler, Horst: Die Balkanpolitik Conrad von Hötzendorfs von seiner Wiederernennung zum Chef des Generalstabes bis zum Oktober-Ultimatum 1913. In: Mitt. österr. Staatsarch. 20 (1967) 180-276 (mit Bibliographie).
Führ, Christoph: Das k.u.k. Armeeoberkommando und die Innenpolitik in Österreich 1914-1917. Graz, Wien, Köln 1968. = Studien zur Geschichte der österreichisch-ungarischen Monarchie. 7.
Empfohlene Zitierweise: Rudolf Gustav Ardelt, Conrad von Hötzendorf, Franz Xaver Josef, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 1. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1974, S. 323-324 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=675, abgerufen am: 08.12.2024
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