Bismarck, Otto Fürst von Bismarck-Schönhausen

GND: 11851136X

Bismarck, Otto Fürst von (Bismarck-Schönhausen), preußisch-deutscher Staatsmann, * Schönhausen, Kreis Havelberg 1.04.1815, † Friedrichsruh 30.07.1898, Sohn des Rittergutsbesitzers Ferdinand v. B. und seiner Gattin Wilhelmine.

Leben

B. stammte aus einem altmärkischen Adelsgeschlecht. Er wuchs in Kniephof bei Naugard in Pommern auf. Da ihn die Mutter aus der bürgerlichen Gelehrten- und Beamtenfamilie Mencken nicht nur zum Landedelmann erziehen wollte, besuchte er namhafte Schulen in Berlin. Von 1832 bis 1835 studierte er in Göttingen und Berlin ohne Lust Rechtswissenschaft. Aus dem starren Reglement des Staatsdienstes zog er sich 1839 nach Kniephof zurück, von wo er 1845 nach Schönhausen übersiedelte. Den Gutsherrn B. wählten die Standesgenossen 1847 als Parlamentarier der altmärkischen Ritterschaft in den Vereinigten Landtag, wo er auf der äußersten Rechten Platz nahm. Von 1849 bis August 1851 war er Mitglied der Zweiten Kammer und (März/April 1850) Abgeordneter im Erfurter Unionsparlament. Sein politischer Aufstieg begann mit seiner Tätigkeit als preußischer Bundestagsgesandter in Frankfurt. Auf diesem wichtigen Posten der Berliner Diplomatie versuchte er Preußen die gleiche Geltung im Deutschen Bund zu verschaffen, wie sie Habsburg innehatte. Der preußisch-österreichische Dualismus, der sich während B.s Wirken am Main zuspitzte, ließ ihn jedoch bald eine Politik fordern, die Preußen einen größeren Bewegungsraum innerhalb des Deutschen Bundes gewährte. Den nun entschiedenen Gegner Wiens und Anhänger der kleindeutschen Lösung berief Prinzregent Wilhelm, der zu jener Zeit ein besseres Verhältnis zu Franz Joseph I. suchte, ab und ernannte ihn zum Gesandten in Petersburg. Im Krimkrieg war B. Fürsprecher einer preußischen Neutralitätspolitik, damit Berlin nicht zugunsten Wiens zu einer feindlichen Haltung gegen Rußland gezwungen würde. Durch die Zurückdrängung der Donaumonarchie in Deutschland und durch die Besserung der Beziehungen zu Alexander II. hoffte er, Preußens Position in Europa zu heben. Die künftige Politik des Reichsgründers tritt in großen Linien bereits klar hervor. Seine Vorstellungen wiesen ihn als geniale Begabung auf dem Felde der Außenpolitik aus, der er fortan den Großteil seiner Tätigkeit widmete. Nach der Zwischenstation als Gesandter am Hofe Napoleons III. wurde er, der Wilhelm I. den durch die Heeresreform ausgelösten Verfassungkonflikt zu schlichten versprach, am 23. September 1862 zum Ministerpräsidenten und am 8. Oktober zum Minister des Auswärtigen ernannt.
Sein erster außenpolitischer Schritt als Minister ging auf Kooperation mit Petersburg im und gegen den polnischen Aufstand 1863. Er verpflichtete sich das Kaiserreich durch Verweigerung jeglicher Unterstützung der Polen. Auf diese Weise sicherte er sich die Rückendeckung im Osten und begründete die Ära der preußisch-russischen Freundschaft, derer er für die Epoche der Reichsgründung entscheidend bedurfte. 1866 trat er zum Entscheidungskampf mit Wien um die Vorherrschaft in Deutschland an, nachdem er sich der französischen Neutralität versichert und ein Bündnis mit Italien geschlossen hatte. Nach dem für Berlin glücklichen Ausgang des „Kabinettskrieges“ von 1866 setzte B. neben das vergrößerte Preußen an die Stelle des Deutschen Bundes den Norddeutschen Bund, dessen Kanzler er 1867 wurde. In dem heranreifenden Zerwürfnis mit Frankreich baute er auf das gute Einvernehmen mit Petersburg, ohne weitere Bündnisse einzugehen. Nach dem Deutsch-Französischen Krieg war der Weg frei für die nationale Einigung. Seit der Reichsgründung betrachtete er Deutschland als saturiert.
In den nächsten Jahren war B.s auswärtige Politik auf die Balance im europäischen Mächtesystem gerichtet. Er war bestrebt, das Deutsche Reich im Hintergrund zu halten und eine antideutsche Koalition zu verhindern. Einen Höhepunkt seines politischen Wirkens erreichte er auf dem Berliner Kongreß 1878/79. Es gelang ihm als „ehrlichem Makler“, die Gegensätze in der orientalischen Frage zwischen London und Wien auf der einen Seite und Petersburg auf der anderen auszugleichen, die durch die im Frieden von San Stefano von Rußland festgelegte Neuordnung der Balkanhalbinsel aufgebrochen waren. Deutschland hatte in dieser Frage kein eigenes Interesse. Für B, war sie nur insoweit von Belang, als sie die Beziehungen der anderen Staaten untereinander und zu Deutschland berührten. Die Gleichgewichtspolitik war gefährdet, als panslawistische Kreise ihm zur Last legten, daß der Berliner Kongreß für Rußland nicht die Gewinne von San Stefano bestätigt hatte. Damit war auch die Dreikaiserentente von 1873, auf der B.s Außenpolitik beruhte, ernsthaft bedroht. Die Annäherung Wiens an Petersburg, die sich nach dem Kongreß anbahnte, wußte er durch das Aufgreifen der rumänischen Frage zu vereiteln. Nachdem sich Österreich, der eine der beiden Rivalen um die alleinige Vorherrschaft auf dem Balkan, Deutschland wieder genähert hatte und auf Rußland nicht mehr fest zu rechnen war, schloß er den Zweibund mit Wien (1879), dem 1882 Italien beitrat (Dreibund). 1883 ging Rumänien ein Bündnis mit Österreich und Deutschland ein, welches das Königreich eng mit dem Dreibund verband. 1881 kam es zum Dreikaiserbündnis (1884 erneuert) zwischen Berlin, Wien und Petersburg, das die Orientkrise vorübergehend stillegte. Es verpflichtete die Höfe zur Beachtung der gegenseitigen Interessen auf dem Balkan. Das Vertragsund Bündnissystem, welches B. von 1879-1883 aufgebaut hatte, geriet mit der Bulgarienkrise 1885 ins Wanken. Der russische Kaiser protestierte im Widerspruch zu den Abmachungen von 1881 gegen die Personalunion, in der Alexander von Battenberg Ostrumelien mit Bulgarien vereinigt hatte, verzichtete aber wegen des Kriegsrisikos mit der Donaumonarchie auf eine militärische Besetzung Bulgariens. B. verstand es zu vermeiden, sich im österreichischen Interesse gegen Rußland vorschieben zu lassen. Er lehnte es ab, Wien zuzusichern, daß Deutschland sich einem bewaffneten Vorgehen Petersburgs in Bulgarien widersetzen werde. Diese Niederlage seiner panslawistischen Außenpolitik war 1887 der Hauptgrund für die Weigerung Alexanders III., das Dreikaiserbündnis zu verlängern. Ein Bruch zwischen Deutschland und Rußland widersprach B.s Kalkül. Er ersetzte das Bündnis durch den Rückversicherungsvertrag mit Petersburg, der einerseits Rußland das Gefühl der Isolierung in der Balkanfrage nehmen und andererseits Deutschland gegen die von den russischen Panslawisten geforderte, von B. gefürchtete russisch-französische Verbindung sichern sollte.
B. legte, von Wilhelm II. dazu herausgefordert, seine Ämter am 20. März 1890 nieder. Seine Außenpolitik, zurückhaltend und auf Ausgleich bedacht, dabei undogmatisch und ohne Vorurteile, hat ihm hohes internationales Ansehen verschafft. Sie hat den Grund gelegt für einen noch fünfundzwanzigjährigen Frieden auf dem alten Kontinent.

Literatur

Herre, P.: Rumäniens Vertragsverhältnis zum Dreibund. In: Hist. Z. 118 (1917) 63-75.
Meyer, A. O.: Bismarcks Orientpolitik. Göttingen 1925.
Stojanović, M. D.: The Great Powers and the Balkans 1875-1878. Cambridge 1939.
Ebel, E.: Rumänien und die Mittelmächte von der russisch-türkischen Krise 1877/78 bis zum Bukarester Frieden vom 10. August 1913. Berlin 1939.
Ronneberger, Franz: Bismarck und Südosteuropa. Berlin 1941.
Wittram, R.: Bismarcks Rußlandpolitik nach der Reichsgründung. In: Hist. Z. 186 (1958) 261-284.
Hertel, Willy: Bismarck-Bibliographie. Köln, Berlin 1966.  

Verfasser

Klaus Appel

Empfohlene Zitierweise: Klaus Appel, Bismarck, Otto Fürst von Bismarck-Schönhausen, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 1. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1974, S. 206-208 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=575, abgerufen am: 08.12.2024