Apponyi, Albert Graf

GND: 118645501

Apponyi, Albert Graf, ungarischer Staatsmann, “'Wien 29.05.1846, † Genf 7.02.1933, aus einer katholisch-konservativen Familie, Sohn von Georg Graf A.

Leben

Nach einer Schulzeit im Jesuitenkolleg von Kalksburg absolvierte A. seine juristischen Studien 1864-1868 in Wien und Budapest. Seine politische Laufbahn begann A., der seit 1872 Reichstagsabgeordneter war, im Gefolge konservativer und katholischer Führer wie Graf Sennyey und Baron Eötvös und als Mitglied der Sennyey-Gruppe auf der rechten, konservativen Seite der „Deákpartei“. Er trat in Fühlung mit Montalambert und anderen katholischen Politikern Frankreichs sowie mit Bischof Ketteler, dessen christlich-soziale Ideen er aufgriff. 1878 wurde A. Führer der „Vereinigten Opposition“, die sich später in „Gemäßigte Opposition“ und dann in „Nationalpartei“ umnannte, mit deren Forderungen auf dem Gebiet des Militärwesens eine höchst gefährliche Frage aufgeworfen wurde. 1899 trat die „Nationalpartei“ mit A. an der Spitze der liberalen Regierungspartei bei; 1901 wurde A. zum Präsidenten des Abgeordnetenhauses gewählt, und er bekleidete dieses Amt bis zum Regierungsantritt Stefan Graf Tiszas im Jahre 1903.
1904 vollzog A. in seiner stufenweisen Abkehr von der 1867er Plattform den letzten entscheidenden Schritt. Er verließ mit seinen Parteifreunden die Regierungspartei und schloß sich mit der Forderung der ungarischen Kommandosprache ohne Vorbehalt der lang bekämpften oppositionellen Kossuth-Partei an. A. wurde zum eifrigsten und dekorativsten Missionar der „Unabhängigkeitspartei“. An der streng dynastischen Gesinnung seiner Familie hat A. bis an sein Ende festgehalten, aber das hinderte ihn nicht, als des Königs „allergetreueste Opposition“ den Dualismus zu bekämpfen. Er führte einen zähen Kampf gegen den Ausgleich und die staatsrechtliche Verbindung mit Österreich. Vor seinen Augen schwebte die vollständige ungarische Souveränität. Im Koalitionskabinett Wekerle bekleidete A. 1906-1910 das Amt des Ministers für Kultus und Unterricht. Er führte den unentgeltlichen Volksschulunterricht ein, benachteiligte jedoch die anderen Nationalitäten durch seine Kulturpolitik. Die drei Schulgesetze vom Jahre 1907-1908 (Gesetzartikel 26 und 27 v. J. 1907 und 46 v. J. 1908) werden in der neueren Literatur unter dem Sammelbegriff „Lex Apponyi“ zusammengefaßt. Diese Gesetze sind aufeinander abgestimmte Teile einer einzigen nationalitäten- und schulpolitischen Aktion, die durch die Existenz der Koalitionsregierung und die persönliche Mitarbeit A.s zu einer engen Einheit gefügt wurden. Die „Lex A.“ ist die organische Fortführung einer auf mehrere Jahrzehnte zurückblickenden schulpolitischen Richtung. Die ungarischen Regierungen, ja jede der im Parlament vertretenen Parteien, knüpfte eitle Hoffnungen an den Erfolg der Magyarisierung durch den Schulunterricht. Die „Lex A.“ legte unter anderem fest, daß in den Elementarschulen mit nichtungarischer Unterrichtssprache die ungarische Sprache in dem Umfang zu unterrichten sei, daß die Kinder mit nichtungarischer Muttersprache nach Beendigung des vierten Jahres ihre Gedanken ungarisch in Wort und Schrift verständlich ausdrücken können. Wenn die Zahl der Kinder mit ungarischer Sprache 20 erreicht oder 20 % aller eingeschriebenen Zöglinge ausmacht, dann ist für sie die ungarische Sprache als Unterrichtssprache zu gebrauchen. Darüber hinaus wurden den Schulerhaltern der nichtstaatlichen Schulen - den Schulen der Nationalitäten und Kirchen - große finanzielle Belastungen auferlegt. Die „Lex A.“ rief vor allem in der rumänischen und slowakischen nationalen Bewegung und in der serbischen radikalen Partei einen Sturm der Entrüstung hervor. Diese Gruppen sahen die Nationalitäten in ihren sprachlichen Rechten, die Kirchen in ihrer Autonomie verletzt. Die „Lex A.“ ist zum Symbol der mit schulpolitischen Mitteln versuchten, zum Mißlingen verurteilten Assimilierungsbestrebungen geworden.
In den Jahren 1917-1918 war A. abermals Unterrichtsminister. Am 16. Januar 1920 empfing er - als Leiter der ungarischen Friedensdelegation - die harten Friedensbedingungen, die er sofort in einer glänzenden Rede zurückwies. Die ausführlichen Protestnoten folgten am 10. Februar, jedoch erst am 6. Mai erteilten die Alliierten ihre Antwort, die nur geringfügige Zugeständnisse brachte. Bis zur Unterzeichnung des Vertrages wurde eine Frist von 10 Tagen gewährt. A. nahm jedoch seine Entlassung und erst am 4. Juni 1920 wurden die Friedensbestimmungen durch die Vertreter der ungarischen Regierung unterzeichnet. A. war Mitglied auch des neuen ungarischen Parlaments. In seinem letzten Lebensabschnitt wurde A. - einer der volkstümlichsten ungarischen Staatsmänner - als lebhafter Verfechter der nationalen Minderheitenrechte im Völkerbund, als „grand old man“ seiner Nation enthusiastisch gefeiert. Er starb in Genf, inmitten der Abrüstungsdebatte.

Literatur

Apponyi, Albert Graf: Lebenserinnerungen eines Staatsmannes. 2 Bde. Wien 1922/34.
Ders.: Erlebnisse und Ergebnisse. Berlin 1933.
Erényi, Gustav: Graf Stefan Tisza. Ein Staatsmann und Märtyrer. Wien, Leipzig 1935.
Steinacker, Harold: Graf Albert Apponyi. In: Steinacker, Harold: Austro-Hungarica. München 1963, 241-248. = Buchreihe der Südostdeutschen Historischen Kommission. 8.
Dolmányos, István: Kritik der Lex Apponyi. Die Schulgesetze vom Jahre 1907. In: Die nationale Frage in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie 1900-1918. Budapest 1966, 233-304.

Verfasser

Friedrich Gottas (GND: 105731153)

Empfohlene Zitierweise: Friedrich Gottas, Apponyi, Albert Graf, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 1. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1974, S. 86-88 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=469, abgerufen am: 19.04.2024