Teleki von Szék, Pál Graf

GND: 11924716X

Teleki von Szék, Pál (Paul) Graf, ungarischer Staatsmann, * Budapest 1.11.1879, † (Selbstmord) ebd. 3.04.1941, aus dem römisch-katholischen Zweig der 1409 geadelten, 1685 in den Grafenstand erhobenen siebenbürgischen Familie.

Leben

T. studierte Jura und Agrarwissenschaften und war 1905-1910 Reichstagsabgeordneter, doch galten seine Neigungen seit der Gymnasialzeit den Naturwissenschaften, und nach der Promotion 1903 beschäftigte er sich bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs fast ausschließlich mit Wirtschafts- und Anthropogeographie und Kartographie. Er veröffentlichte eine Reihe erdkundlicher Schriften, die ihm Anerkennung auch aus der ausländischen Fachwelt einbrachten, unternahm große Forschungsreisen und wurde 1913 zum Mitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften gewählt.
Im Krieg diente T. zeitweise an der Südfront, 1915 erhielt er wieder ein Abgeordnetenmandat, und er begann sich intensiv mit Problemen der Zukunft Ungarns zu befassen. Er wurde zum Vorkämpfer sozialpolitischer Reformen, bekleidete mehrere einschlägige Ämter, stand 1917/18 an der Spitze des Landesamtes für die Kriegsopferfürsorge und setzte sich u.a. für Mutterschutz-Maßnahmen, für die Gleichstellung unehelicher Kinder mit den ehelichen bei der staatlichen Fürsorge, für die Unterbindung der überseeischen Auswanderung alteingesessener Landeskinder und für ein Verbot der Einwanderung von Ostjuden ein. Schon vor Kriegsende rechnete T. mit der Niederlage der Zentralmächte, und er nahm sich vor, die propagandistische Abwehr von Gebietsforderungen an das Reich der Stephanskrone vorzubereiten. Diese Aufgabe führte ihn Anfang 1919 in die Schweiz. Dort erreichte ihn die Nachricht von der Ausrufung der Ungarischen Räterepublik. Daraufhin wandte sich T. einer neuen Aufgabe, der Organisierung der Konterrevolution, zu. Er war Mitbegründer des in Wien aufgezogenen „Anti-Bolschewistischen Comites“, und in den „weißen“ Gegenregierungen in dem französisch besetzten Szegedin leitete er zuerst das Ministerium für Kultus und Unterricht und dann das Außenministerium. Nach dem Zusammenbruch der Räterepublik begab sich T. nach Budapest, um der Machtergreifung des Oberbefehlshabers der Szegediner Nationalarmee Nikolaus von Horthy die Wege zu ebnen. Als nach dem Zwischenspiel der rumänischen Besetzung Horthys Truppen in die Hauptstadt einmarschiert waren, konzentrierte sich T. auf die Erarbeitung von wissenschaftlichen Unterlagen für die ungarische Friedensdelegation. Am 1. Januar 1920 übernahm er einen für ihn geschaffenen Lehrstuhl für Geographie an der volkswirtschaftlichen Fakultät der Universität Budapest.
T. hatte sich in den Stürmen des Jahres 1919 den Ruf des führenden Kopfes der Konterrevolution und eines im Umgang mit den Entente-Vertretern bewährten tüchtigen Diplomaten erworben. Nach der Wahl Horthys zum Reichsverweser fiel T. in der ersten vom neuen Staatsoberhaupt bestellten Regierung gleichsam selbstverständlich das Amt des Außenministers zu (19.04.1920). Unter seiner Außenministerschaft wurde am 4. Juni 1920 der Friedensvertrag von Trianon unterzeichnet. Danach trat das Kabinett zurück, und im Juli wurde T. mit der Regierungsbildung beauftragt. Als Ministerpräsident traf T. die ersten Maßnahmen zur Zügelung der rechtsradikalen Terrorgruppen; er bekundete zwar nachdrücklich sein Verständnis für die Gefühle der Träger des „weißen Terrors“, doch verwies er auf die dem Ansehen Ungarns im Ausland abträgliche Wirkung der Ausschreitungen. Seine Regierung setzte die Verabschiedung des ersten rassisch-antisemitischen Gesetzes der ungarischen Geschichte durch; damit wurden die meisten jüdischen Abiturienten vom Hochschulstudium ausgeschlossen. T. versuchte auch, seine sozialreformerischen Vorstellungen in die Tat umzusetzen, aber er stieß auf den Widerstand der altkonservativen Kräfte im Regierungslager. Nach dem ersten Versuch König Karls, auf den Thron zurückzukehren, dankte T. am 14. April 1921 als Regierungschef ab; gewiß hatte er den Schritt des Königs für verfehlt gehalten, nur identifizierte er sich auch mit dem Verhalten Horthys gegenüber Karl nicht, und er besaß nicht mehr das uneingeschränkte Vertrauen des Reichsverwesers.
Bis zum April 1938 trat T. nicht wieder in die Regierung ein, doch zählte er auch ohne Ministeramt zu den einflußreichsten Männern der Horthy-Zeit. Er hatte stets einen Sitz im Parlament, teils als Abgeordneter, teils als Mitglied des Oberhauses, und er kontrollierte zahlreiche - meist von ihm selber geschaffene - Institutionen, deren einige die Revision des Friedensvertrages von Trianon betrieben, während andere die Gleichrichtung der ganzen Gesellschaft im Geist von Nationalismus, Traditionalismus, Irredentismus und Christentum zum Ziel hatten. T. bewältigte ein ungeheures Arbeitspensum als Hochschullehrer, als Pfadfinderführer, als Leiter einer Vielfalt von Verbänden, Organisationen, Erziehungsstätten und gelehrten Einrichtungen. Er war auch um die Pflege kultureller Beziehungen zum Ausland bemüht, spielte auf den Foren des Völkerbundes eine beachtliche Rolle und warb unter westlichen Wissenschaftlern und Publizisten nicht ohne Erfolg um Sympathien für den ungarischen Revisionismus. T.s Weitläufigkeit kontrastiert auf seltsame Weise mit der provinziellen Einfalt einer von ihm mitgetragenen Verschwörung, deren Teilnehmer 1925 mittels gefälschter französischer Banknoten im Wert von einer Milliarde Francs die Wirtschaftsmacht Frankreichs untergraben und Geld für umstürzle- rische Aktionen gegen die Staaten der Kleinen Entente beschaffen wollten. In dem auf das Scheitern der Unternehmung folgenden Strafprozeß wurde alles, was T. hätte belasten können, vertuscht.
Den Regierungsantritt Hitlers und den Aufstieg des Dritten Reiches beobachtete T. erwartungsvoll und argwöhnisch zugleich; er begrüßte die von Hitler bewirkte Erschütterung der auf die Pariser Friedensverträge gegründeten Ordnung Europas, in der deutschen Machtentfaltung sah er dennoch auch eine Gefahr für die Eigenständigkeit Ungarns. Nicht als Demokrat (er hielt die liberale Demokratie für überlebt und erblickte im portugiesischen Regierungschef Antonio Salazar ein Vorbild), sondern als madjarischer Patriot geriet er allmählich in entschiedene Gegnerschaft zum deutschen Nationalsozialismus und zu dessen ungarländischen Metastasen.
Am 14. Mai 1938 trat T. als Minister für Kultus und Unterricht ins Kabinett Béla Imrédys ein, und nach dessen Sturz bildete er am 15. Februar 1939 selber die neue Regierung. Wohl sorgte er noch für die Verabschiedung eines bereits von Imrédy eingebrachten judenfeindlichen Rassengesetzes, mit dem er als überzeugter Antisemit vollauf einverstanden war, sonst ging aber T. andere Wege als sein zum Verehrer Hitlers gewordener Vorgänger. T. versuchte sich mit einer zweigleisigen Außenpolitik: Ungarn sollte zwar im Kielwasser der Vorstöße Hitlers möglichst große Teile des 1920 verlorenen Gebiets des alten Stephansreiches wiedergewinnen, es sollte aber auch die Unabhängigkeit von Berlin wahren und die Fäden zu den Westmächten nicht abreißen lassen. T. sah den Endsieg der Westmächte über Hitler voraus und wollte die territorialen Gewinne Ungarns für die Zeit nach der Niederlage des Dritten Reiches gesichert wissen.
Unter T.s Ministerpräsidentschaft besetzten die Ungarn im März 1939 das nach dem Ersten Weltkrieg an die Tschechoslowakei gefallene Ruthenenland, Podkarpatska Rus, und im September 1940, auf Grund eines deutsch-italienischen Schiedsspruchs, die nördliche Hälfte Siebenbürgens. Indessen wurde Ungarn nach Hitlers Polenfeldzug zum rettenden Hafen für zahlreiche polnische Flüchtlinge, die Budapester Regierung erhielt ihre diplomatischen Beziehungen zu London und Washington aufrecht, und sie bekräftigte noch im Juni 1940 in aller Form den nichtkriegführenden Status Ungarns.
Allerdings wurde T.s Manövrierraum immer enger. Er wurde nicht bloß von der einheimischen Rechtsopposition befeindet, auch Teile des Staatsapparates folgten ihm nur halbherzig. Vergeblich suchte er chauvinistische Exzesse seiner eigenen Behörden in den zurückerhaltenen Landesteilen abzustellen, vergeblich drang er auf eine Politik der Versöhnung mit den dort lebenden Nichtmadjaren. Mit den Siegen der Wehrmacht nahm der Druck aus Berlin zu, T. sah sich zu immer größeren Zugeständnissen genötigt. Im September 1940 zwang man ihm einen Vertrag auf, der die ungarländische deutsche Minderheit als „Volksgruppe“ zum Staat im Staate machen sollte. Im Oktober mußte T. dem Transport deutscher Truppen nach Rumänien über ungarisches Staatsgebiet zustimmen. Im November trat Ungarn dem Dreimächtepakt bei. Aber T. konnte den Westmächten immer noch glaubhaft versichern, daß Budapest an einem letzten Rest von Neutralität festzuhalten gewillt und imstande sei. Als Ungarn am 12. Dezember 1940 einen Pakt ewiger Freundschaft mit Jugoslawien schloß, geschah es zwar im Sinne der Reichsregierung, aber T. erhoffte sich davon eine stabilisierende Wirkung auf Südosteuropa und damit eine Stützung seiner heiklen außenpolitischen Position.
Im März 1941 machte der deutschfeindliche Umsturz in Belgrad T.s Hoffnungen zunichte, da Hitler jetzt beschloß, Jugoslawien anzugreifen. Die ungarische Armeeführung wollte an der Aktion teilnehmen, und die Aussicht auf weiteren Gebietserwerb nahm Horthy für die Pläne seiner Generäle ein. T.s verzweifelte Proteste blieben unbeachtet. Er war sich über die Folgen klar: Die Westmächte würden mit Budapest brechen, und nach Kriegsende würde Ungarn als Bundesgenosse Hitlers zusammen mit dem Dritten Reich büßen müssen. T. sah für sich keinen anderen Ausweg als den Freitod. Mit seinen Ehrbegriffen war weder eine offene Auflehnung gegen das Staatsoberhaupt, noch die Hinnahme des seiner Überzeugung nach ins nationale Verderben führenden Schrittes vereinbar. Er erschoß sich am 3. April 1941. Er hinterließ einen beschwörenden Brief an Horthy, im Glauben, den Reichsverweser noch zur Umkehr bewegen zu können. T. bekam bloß ein Staatsbegräbnis. Am 10. April wurden die ungarischen Truppen gegen Jugoslawien in Marsch gesetzt.

Literatur

Teleki, Paul: The Evolution of Hungary and its Place in European History. New York 1923.
Ders.: Die weltpolitische und weltwirtschaftliche Lage Ungarns in Vergangenheit und Gegenwart. In: Zeitschrift für Geopolitik (1926).
Papp, Antal (Hrsg.): Gróf Teleki Pál országgyűlési beszédei. 2 Bde. Budapest o. J. [1941].
Macartney, Carlile Aymer: October Fifteenth. Bd. 1. Edinburgh 1961(2).
Juhász, Gyula: A Teleki-kormány külpolitikája 1939-1941. Budapest 1964.
Katzburg, Nathaniel (Hrsg.): Paul Teleki and the Jewish Question in Hungary. In: Soviet Jewish Affairs. London 1971.
Tilkovszky, Lóránt: Pál Teleki. A Biographical Sketch. Budapest 1974.

Verfasser

Denis Silagi (GND: 1032871083)

Empfohlene Zitierweise: Denis Silagi, Teleki von Szék, Pál Graf, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 4. Hgg. Mathias Bernath / Karl Nehring. München 1981, S. 279-282 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1753, abgerufen am: 20.04.2024