Namık Kemal, Mehmed

GND: 118985299

Namık Kemal, Mehmed, türkischer Dichter und Journalist, * Rodosto (Tekirdağ) 21.12.1840, † Chios (Sakız) 02.12.1888, Sohn des Hofastronomen Mustafa Asim Bey und der Zehra Hanım aus Konitsa (Epirus). Zu seinen Vorfahren väterlicherseits gehörte u. a. der Großwesir Topal Osman Pascha.

Leben

Nach dem frühen Verlust der Mutter von derem Vater Abdüllâtif Pascha erzogen, lernte N. infolge häufiger Versetzungen seines Erziehers das Osmanische Reich von Kars bis Sofia gut kennen, was sich später in seinen Werken niederschlug. Schon frühzeitig mit Arabisch und Persisch vertraut, dichtete er bereits in Sofia in hochosmanischem Stile. 1857 kam N. nach Istanbul und fand Anschluß an den Kreis altstiliger Dichter (Leskofçalı Galib, Hersekli Ârif Hikmet), wurde Mitglied der literarischen Gesellschsaft „Encümen-i Şu‘ara“ und trat erstmals in der Zeitschrift „Mir’at“ (Der Spiegel) schriftstellerisch hervor. Im Übersetzungsbüro der Hohen Pforte (Bâb-ı Âli Tercüme Kalemi) als Beamter angestellt, eignete er sich die französische Sprache an. Durch die Bekanntschaft mit dem Journalisten Ibrahim Şinasi (1863), der in Europa studiert hatte, entfremdete er sich dem alten Literaturstil und wandte sich westlichen Ideen zu, schrieb für die Zeitung „Tasvir-i Efkâr“ (Schilderung der Gedanken) und übernahm diese nach Şinasis Flucht nach Paris (1865) in eigener Redaktion. Bald zum führenden Literaten der Tanzimat-Zeit aufgerückt, trat N. in persönliche Beziehungen zum Kronprinzen Murad (V.) und ging später zu den Jungtürken (Yeni Osmanlılar) über. Wegen eines politisch anstößigen Artikels wurde der „Tasvir-i Efkâr“ verboten und N. als stellvertretender Regierungspräsident (Vali Muavini) nach Erzerum bestimmt, was zu seiner Emigration nach Paris den Anstoß gab (1867). Nach London übergesiedelt, gab er 1868 zusammen mit Ziya Pascha die Exilzeitung „Hürriyet“ (Freiheit) heraus, in der er die Errichtung der konstitutionellen Monarchie im Osmanischen Reich propagierte, allerdings noch unter islamisch-osmanischem Vorzeichen. 1870 kehrte N. nach Istanbul zurück und entfaltete eine große journalistische Tätigkeit in den Zeitungen „Ibret“ (Die Mahnung), „Hadika“ (Der Garten), „Sıraç“ (Das Licht) und in dem satirischen Blatt „Diyojen“ (Diogenes). Wiederum mißliebig geworden, wurde er nach dem Verbot des „Ibret“ als Mutasarrıf von Gelibolu beiseitegeschoben. Wegen weiterer politischer Kritik entlassen, kehrte er nach Istanbul zurück. Vor allem sein Schauspiel „Vatan Yahut Silistre“ (Vaterland oder Silistria), eine Verherrlichung der türkischen Verteidiger Silistrias 1854, das am 1. April 1873 uraufgeführt wurde, führte zu Demonstrationen und erregte wegen der neuartigen Deutung des Vaterlandsbegriffes politischen Anstoß und brachte N. eine dreijährige Festungshaft in Famagusta (Mağusa) auf Cypern ein. Nach der Absetzung Sultan Abdülaziz' 1876 wurde er auf freien Fuß gesetzt, kehrte nach Istanbul zurück, wurde in den Staatsrat (Şûrây-ı Devlet) berufen und nahm zusammen mit Midhat Pascha an der Ausarbeitung einer Verfassung teil. Kurz nach deren Verkündung auf Grund einer Denunziation beim Sturz Midhat Paschas inhaftiert, wurde er, zwar freigesprochen, 1877 nach Mitilini (Mytilene) verbannt, aber 1879 zum Mutasarrif der Insel ernannt. 1884 wurde er in gleicher Funktion nach Rhodos und 1887 nach Chios versetzt. Dort erlag er einer Lungenentzündung und wurde auf seinen Wunsch in Bolayır (Halbinsel Gelibolu) unweit des Grabmals des Prinzen Süleyman, des Eroberers der Halbinsel, beigesetzt. N. ist die bedeutendste Gestalt der Tanzimat-Literatur. Obwohl die ihn beschäftigenden Themen den ganzen Bereich der Humaniora umfaßten (Recht, Freiheit, Patriotismus, Gerechtigkeit, Moral, Erziehung, Sprache, „Kunst für das Volk“), lebt er beim türkischen Volk in erster Linie als vaterländischer Dichter fort. Er war der eigentliche Schöpfer einer türkischen „öffentlichen Meinung“ und lehrte das Volk, sich seiner eigenen Probleme bewußt zu werden.

Literatur

Kaplan, Mehmed: Namık Kemal, hayatı ve eserleri. Istanbul 1948.
Tanpınar, Ahmet Hamdi: Ondokuzuncu asır Türk edebiyatı tarihi. Bd 1. Istanbul 1949.
Akyüz, Kenan: La littérature moderne de Turquie. In: Philologiae Turcicae Fundamenta. Bd 2. Wiesbaden 1965, 465-634.

Verfasser

Buğra Atsız (GND: 103703985)

Empfohlene Zitierweise: Buğra Atsız, Namık Kemal, Mehmed, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 3. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1979, S. 289-290 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1434, abgerufen am: 20.04.2024