Karl VI.

GND: 118560107

Karl VI., römisch-deutscher Kaiser und König von Ungarn (Karl III.) 1711-1740, König von Spanien (Karl III.) 1703-1725, * Wien 1.10. 1685, † ebd. 20.10. 1740, zweiter Sohn Kaiser Leopolds I. aus dessen dritter Ehe mit Eleonore von Pfalz-Neuburg.

Leben

 Der unerwartete Tod seines Bruders Joseph I. bedeutete für K. die Kaiserwürde und letztlich den Verzicht auf das spanische Königtum, für das er bereits als Kind erzogen wurde. Er mußte sich nach den Friedensschlüssen von Utrecht (11.04.1713) und Rastatt (6.03.1714), die den Spanischen Erbfolgekrieg beendeten, mit den spanischen Nebenländern (Neapel, Mailand, Sardinien und die Spanischen Niederlande) begnügen. K. besaß nicht die Wendigkeit, sich der durch den Zusammenbruch dieses politisch-dynastischen Systems bedingten neuen politischen Lage in dem Maß anzupassen, wie es den Interessen seiner österreichischen Erbländer entsprochen hätte. So kam die Ambivalenz K.s in seinem persönlichen Wesen wie in seiner Regierungspolitik im heftigen Widerstreit der „spanischen“ und „deutschen“ Parteien an seinem Hof deutlich zum Ausdruck. Das politische Engagement im Westen mußte sich auf die weitere Entwicklung des altösterreichischen Länderkomplexes als hemmende Belastung auswirken. Die subjektive Voreingenommenheit des Kaisers für alles, was mit Spanien Zusammenhängen mochte, der damit gegebene Zwang zu politisch unfruchtbaren Kompromissen, charakterisierten seinen Regierungsstil und offenbarten zugleich, daß es ihm an großen politischen Leitlinien mangelte. Allerdings bildete das vom dynastischen Denken bestimmte Streben K.s nach einer innen- wie außenpolitischen Anerkennung des Rechtes der weiblichen Erbfolge in der sogenannten „Pragmatischen Sanktion“ des Jahres 1713, verbunden mit der staatsrechtlichen Bestimmung von der Unteilbarkeit und Untrennbarkeit des gesamten habsburgischen Länderbesitzes, die für die Zukunft der Donaumonarchie bedeutsamste Grundlinie seiner gesamten Politik. Schließlich ging er 1719 daran, die am 15. März 1712 durch einen diesbezüglichen Beschluß des kroatischen Landtages bereits vorweggenommene Erbfolgeregelung von den Ständen der einzelnen Länder anerkennen zu lassen. Nach langwierigen Verhandlungen erreichte K. am 30. Juni 1722 die einstimmige Annahme der Pragmatischen Sanktion auch durch den ungarischen Reichstag, wobei in den entsprechenden Gesetzartikeln 1-3 vom Jahre 1723 die neue Thronfolgeordnung als eine von den Ständen in Ausübung ihres Königswahlrechtes beschlossene Regelung erschien, die auch Kroatien und Siebenbürgen mit einschloß. Doch der siegreiche Ausgang des von Prinz Eugen geführten Türkenkrieges 1716-1718 im Frieden von Passarowitz (21.07.1718) sowie die geschickte Fortsetzung der Versöhnungspolitik Josephs I. ermöglichten es K., das gute Verhältnis zu Ungarn zu wahren, ohne den Forderungen der ungarischen Stände in wichtigen Punkten nachzukommen. So blieben das Banat, das im Rahmen einer erfolgreichen Kolonisationsund Ansiedlungspolitik eine ansehnliche wirtschaftliche und kulturelle Blüte erreichte, sowie Siebenbürgen unmittelbar der kaiserlichen Verwaltung unterstellt. Die vom ungarischen Reichstag 1722/23 angenommenen Beschlüsse zur Reform der Verwaltung des Königreiches bedeuteten jedoch den endgültigen Abschied von der Idee eines zentralistischen Einheitsstaates unter Einschluß Ungarns, wie sie noch im „leopoldinischen Einrichtungswerk“ vertreten war. Die verwaltungsrechtliche Selbständigkeit Ungarns war der Kaufpreis für die grundgesetzliche Festlegung der Reichseinheit in der Pragmatischen Sanktion. Der aufgrund der Gesetzartikel 101-102 vom Jahre 1723 in Preßburg 1724 errichtete und dem König unterstellte Statthaltereirat, dessen Mitglieder (22 Räte: 4 hohe Kleriker, 10 Magnaten, 8 Gemeinadelige) der König ernannte, bildete unter dem Präsidium des Palatins oder eines königlichen Statthalters bis 1848 die wichtigste zentrale ungarische Regierungsbehörde, der mit Ausnahme der Finanzen und der Justiz (für die zur gleichen Zeit 5 Bezirkstafeln sowie als Höchstinstanzen die Königliche und die Septemviraltafel geschaffen wurden) die gesamte innere Verwaltung unterstellt war. Zudem blieb der einzige königliche Beamte auf Komitatsebene, der Obergespan, gegenüber den von den Ständen gewählten und die Exekutive beherrschenden Amtsträgern auf seine Kontrollfunktion beschränkt. Die politische Macht verlagerte sich in zunehmendem Maße vom Reichstag auf die zu Stützpunkten des mittleren und niederen Adels ausgebauten autonomen Komitatsbehörden, die oft auch fortschrittlichen Anregungen und Maßnahmen der Zentralbehörden aus kleingeistig-lokalpatriotischen Gründen erheblichen Widerstand entgegensetzten. Doch die habsburgische Macht hatte sich in Ungarn derart gefestigt, daß K. nach dem Tode des Palatins Miklós Pálffy (20.03.1732) es nicht mehr für nötig erachtete, einen Reichstag zur Wahl eines neuen Palatins einzuberufen, sondern er ernannte Franz von Lothringen, den Gemahl der Thronfolgerin Maria Theresia, zum königlichen Statthalter. Die Stellung der Protestanten in Ungarn regelte K. durch die „Carolina resolutio“ (21.03.1731) aufgrund der Gesetze von 1681 und 1687. Die Bestimmungen unterstellten die protestantischen Pfarrer der Aufsicht der katholischen Dechante und Bischöfe und schlossen die Protestanten praktisch von den Staatsämtern aus. Wirtschaftspolitisch war die Regierungszeit K.s ganz von merkantilistischen Bestrebungen erfüllt. Das Ziel war die Heranbildung einer kräftigen und zollprotektionistisch geschützten Industrie zur Verarbeitung der inländischen Rohstoffe und zur Entwicklung eines starken Exportes. Diesem Ziel dienten die staatliche Förderung von Handel, Gewerbe und Bergbau, die Impopulationspolitik (in Ungarn und im Banat), eine Reform des Zoll- und Postwesens sowie der verstärkte Ausbau der Verkehrswege, vornehmlich in Richtung Adria. Der Abschluß eines vorteilhaften Handelsvertrages mit der Pforte (1718), der Ausbau der Seehäfen Triest und Fiume, die 1719 zu Freihäfen erklärt wurden, schließlich die Gründung der zwanzig Jahre bestehenden „Orientalischen Kompanie“ bewirkten eine Belebung des Handels nach dem Orient. K. schuf damit bemerkenswerte Ansätze zur Gesamtstaatsbildung Österreichs auch auf wirtschaftlichem Gebiet, so mit der Errichtung des Wiener Hauptkommerzkollegiums 1718, in dem sämtliche Länder vertreten waren. Doch litten alle seine wirtschaftlichen Initiativen sehr unter den völlig zerrütteten Staatsfinanzen, die wiederholt dem vollständigen Bankrott nahe waren. Außenpolitisch konnte der Kaiser nur unter vielen Opfern die zumindest formalrechtliche Anerkennung der Pragmatischen Sanktion von den europäischen Mächten erreichen. In diesem Zusammenhang erhielt der im August 1726 abgeschlossene Bündnisvertrag mit Rußland größere Bedeutung, der sich für den Augenblick als vorteilhaft, später jedoch als recht fatal erwies. 1737 in den russisch-türkischen Gegensatz mit hineingezogen, schloß der daraufhin ausgebrochene Krieg infolge vollkommener Unfähigkeit der österreichischen militärischen Führung mit dem katastrophalen Resultat des Belgrader Friedens 1739, in dem der Gewinn des Passarowitzer Friedens mit Ausnahme des Banats wiederum verloren ging. Die Räumung Serbiens und Belgrads führte zu einer Umsiedlung der inzwischen dort seßhaft gewordenen Deutschen, aber auch vieler Serben, in das südliche Ungarn und in das Banat. Aus den Peterwardeiner Brückenschanzen entstand damals die Stadt Neusatz (Novi Sad). Die Hoffnungen der von den Türken unterdrückten Balkanvölker begannen sich nunmehr von Österreich ab- und Rußland zuzuwenden. Als K. 1740 plötzlich starb, hinterließ er seiner einzigen Tochter Maria Theresia ein in nicht wenigen Punkten fragwürdiges Erbe, das vor allem einer gesunden machtpolitischen Grundlage noch entbehrte. Doch dessen ungeachtet hat K. eine entscheidende Entwicklung eingeleitet und begründet: Die Pragmatische Sanktion blieb für die Monarchie ein grundlegendes Verfassungswerk, das die Realunion der einzelnen Länder und damit die Bildung eines österreichischen Gesamtstaates in die Wege leitete.

Literatur

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Mayer, Franz Martin: Zur Geschichte der österreichischen Handelspolitik unter Kaiser Karl VI. In: Mitt. Inst. österr. Gesch.-Forsch. 18 (1897) 129-145.
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Redlich, Oswald: Das Werden einer Großmacht. Österreich von 1700 bis 1740. Baden bei Wien, Leipzig 1938, 1942(2).
Hantsch, Hugo: Die drei großen Relationen St. Saphorins über die inneren Verhältnisse am Wiener Hof zur Zeit Karls VI. In: Mitt. Inst. österr. Gesch.-Forsch. 58 (1950) 625-636.
Lhotsky, Alphons: Kaiser Karl VI. und sein Hof im Jahre 1712/13. In: ebd. 66 (1958) 52-80.
Leitsch, Walter: Der Wandel der österreichischen Rußlandpolitik in den Jahren 1724-1726. In: Jb. Gesch. Osteuropas 6 (1958) 33-91.
Lentze, Hans: Die Pragmatische Sanktion und das Werden des österreichischen Staates. In: Der Donauraum 9 (1964) 3-14.
Czikann-Zichy, Moricz: Die Pragmatische Sanktion in der ungarischen Geschichte. In: ebd. 9 (1964) 18-25.
Benedikt, Heinrich: Finanzen und Wirtschaft unter Karl VI. In: ebd. 9 (1964) 42-59.

Verfasser

Gerhard Seewann (GND: 1069961280)

Empfohlene Zitierweise: Gerhard Seewann, Karl VI., in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 2. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1976, S. 356-358 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1096, abgerufen am: 18.04.2024