Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Šćepan Mali
Bild: Wikimedia Commons
Wikidata: Q392845

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Šćepan Mali

Šćepan Mali, Herrscher von Montenegro 1767-1773, * ca. 1731, † Majina 22.09.1773.

Leben

Über die Herkunft dieses selbsternannten Herrschers (samozvanac) sind nur Mutmaßungen geäußert worden, angenommen werden Bosnien, Lika oder Dalmatien. Sein wirklicher Name blieb geheim. Nach dem Tode Vasilije Petrović Njegošs fehlte in Montenegro eine politische Führungspersönlichkeit. Der Vladika Sava war eher Klostervorstand denn Herrscher; er hatte zudem die innenpolitische Krise durch die Wahl seines Schwagers Arsenije Plamenac zum Nachfolger noch vergrößert. Als im Herbst 1766 Šć. als Kräutersammler in Montenegro auftauchte, verhalfen ihm verschiedene Umstände, zu dem zu werden, was er bereits 1767 unbestritten war- zum Beherrscher Montenegros: In Montenegro war der Gedanke der Wiederherstellung des alten serbischen Kaiserreiches nie ganz ausgestorben,  und seit Vasilije erwartete man sich den „Zar-Befreier“ von Rußland. Nur ein „russischer Zar“ würde in der Lage sein, den Stammespartikularismus zu bekämpfen und absolut zu herrschen. In Rußland war im Sommer 1762 Zar Peter III. ermordet worden, was auf dem orthodoxen Balkan aber nicht geglaubt wurde. Dort wurde, unterstützt von der Kirche, das Gerücht verbreitet, Peter III. sei noch am Leben und halte sich in der europäischen Türkei auf. In Majina, wo Šć. zuerst erschien, glaubte man in ihm den russischen Zaren zu sehen, obwohl er diese Behauptung niemals bestätigt, allerdings auch nicht abgeleugnet hat. Es waren vor allem Geistliche und Stammesälteste, die sich für ihn einsetzten - so der Mönch Teodosije Mrkojević und Marko Tanović, die selbst in Rußland gewesen waren und bezeugten, daß Šć. mit Peter III. identisch sei. Die Nachricht über das Auftauchen des Zaren verbreitete sich rasch, und bereits am 30. September 1767 wurde er auf einer Stammesversammlung in Ćeklići als Peter III. begrüßt. Am 17. Oktober 1767 wurde er in Cetinje zum montenegrinischen Staatsoberhaupt gewählt, obwohl er vom offiziell noch amtierenden Vladika Sava als Lügner bezeichnet worden war. Sava konnte sich gegenüber den Stammespolitikern nicht durchsetzen und wurde auf die Ausübung seines geistlichen Amtes beschränkt. Häufige Reisen durch das Land erhöhten die Autorität Šć.s, dem es auch gelang, bei jedem Stamm Friedensrichter einzusetzen, um die gewohnheitsrechtliche Selbstjustiz einzudämmen. Das Auftreten des „russischen Zaren“ rief auch in der Brda und bei den Orthodoxen Dalmatiens Begeisterung hervor; die Brda-Stämme schickten bereits Ende Oktober 1767 eine Gesandtschaft zu ihm. Venedig und die Pforte standen deshalb den Ereignissen in Montenegro auch mit äußerstem Mißtrauen gegenüber. Die Venezianer schrieben sogar im September 1768 ein Kopfgeld von 200 Zechinen auf seine Ergreifung oder Ermordung aus und verboten den Montenegrinern den Zugang zum Markt von Kotor; sie verhafteten auch die Parteigänger Šć.s in der Boka. Venedig sorgte auch dafür, daß der russische Gesandte in Wien, Fürst Dimitrij Golicyn, von den Ereignissen in Montenegro erfuhr. Als Golicyns Bericht über den „montenegrinischen Messias“ in St. Petersburg eintraf, ließ die Zarin Katharina II. die Kontrollen an den Grenzen verschärfen, um das Einsickern von Nachrichten über ihren zu neuem Leben erweckten einstigen Gatten zu verhindern. Gleichzeitig ordnete sie die Entsendung eines Angehörigen der Wiener Botschaft namens Jurij Merk nach Montenegro an. Merk kam jedoch nur bis Kotor, wo die venezianischen Behörden seine Weiterreise verhinderten. Auch in der Folge kam es zu keiner Zusammenarbeit zwischen den an einer Vertreibung Šć.s interessierten Mächten - den Venezianern, Türken und Russen. Die Türken unternahmen im Herbst 1768 einen Einfall nach Montenegro, bei dem Šć. mit 2000 Mann die Verteidigung des Engpasses von Ostrog übernahm, aber sofort nach dem Angriff der Türken die Flucht ergriff, was seiner Autorität bei den Montenegrinern, die auf persönliche Tapferkeit stets großen Wert legten, eigenartigerweise keinen großen Abbruch tat. Als im gleichen Jahre 1768 zwischen Rußland und der Türkei Krieg ausbrach, plante man russischerseits wieder einmal einen Aufstand der Balkanchristen zu inszenieren und schickte zu diesem Zweck eine Mission unter der Leitung des Fürsten Jurij Dolgorukij nach Montenegro. Diese Mission verfolgte einen doppelten Zweck: Einmal sollte sie die montenegrinischen und die Brda-Stämme zum Aufstand veranlassen, zum anderen aber auch Šć. als „Lügenzaren“ hinstellen. Letzteres gelang nicht, und Dolgorukij mußte am 25. Oktober 1769 heimlich Montenegro verlassen.
 1771 versuchte Šć. selbst, Kontakte zu den Russen, deren Flotte mittlerweile im Mittelmeer aufgetaucht war, aufzunehmen und schickte Teodosije Mrkojević nach Italien; über den Erfolg der Aktion ist nichts bekannt. Am 22. September 1773 wurde Šć. von einem Griechen, den er in seine Dienste genommen hatte, im Schlaf ermordet. Die Tat erfolgte angeblich im Aufträge Mehmed Pascha Bushatllius von Skutari. Er wurde in der Kirche Sv. Nikola in Brčeli bestattet. Šć. war im eigentlichen Sinne kein Reformator; alle seine Regierungsmaßnahmen basierten auf dem althergebrachten Gewohnheitsrecht. An die Rechte der Stammesältesten rührte er nicht. Nur sehr behutsam unternahm er Versuche, die Zentralgewalt zu verstärken, so, als er zu seinem persönlichen Schutz eine feste Truppe einführte und im Juni 1771 ein 20köpfiges Gericht zur Schlichtung von Stammesstreitigkeiten einrichtete. Die Gestalt Šč. ist durch das Epos „Lažni car Šćepan Mali“ von Petar II. Petrović Njegoš auch in die serbokroatische Literatur eingegangen.

Literatur

Dragović, Marko: Dokumenti o Šćepanu Malome iz Moskovskoga glavnoga arhiva ministarstva inostranijeh dela. In: Spomenik SKA 22 (1893) 1-41.
Stanojević, Gligor: Šćepan Mali. Beograd 1937.

Verfasser

Peter Bartl (GND: 133417492)

GND: 119281511

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd119281511.html


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Empfohlene Zitierweise: Peter Bartl, Šćepan Mali, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 4. Hgg. Mathias Bernath / Karl Nehring. München 1981, S. 88-90 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1628, abgerufen am: (Abrufdatum)

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