Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Izvol’skij, Aleksandr Petrovič
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Izvol’skij, Aleksandr Petrovič

Izvol’skij, Aleksandr Petrovič, russischer Außenminister, * Moskau 18.03.1856, † Paris 16.08.1919.

Leben

I. entstammte dem Landadel. Seine Vorfahren waren aus Polen immigriert. Mit neunzehn Jahren trat der Zögling des Gymnasiums von Carskoe Selo in den diplomatischen Dienst ein. 1888 kam er als Sekretär einer internationalen Kommission in Philippopel erstmals mit Problemen des Nahen Orients in Berührung. Seine Karriere führte ihn über das Amt des Ministerresidenten beim Vatikan (1894-1897) nach Belgrad, München, Tokio und Kopenhagen, wo er sein Land als Gesandter vertrat. Im Mai 1906 wurden ihm die Geschäfte des Außenministers übertragen. I. war ein überzeugter Anhänger jener Richtung in der russischen Politik, für die das Wohl des Reiches an die enge Kooperation mit den Westmächten, England und Frankreich, gebunden war. Namentlich in der Allianz mit Paris sah er die unveränderliche Basis der russischen Außenpolitik. Sie brauchte nur noch durch Abkommen mit England und Japan gestärkt zu werden. Diese eine Komponente seines Programms führte auf geradem Wege zu der zweiten: mit Hilfe des verbündeten Frankreich und mit der Unterstützung der Signatarstaaten des Pariser Friedens von 1856 wollte er die russische Balkanpolitik auf die traditionellen Bahnen zurückführen und durch die Lösung der Meerengenfrage in einem für Rußland günstigen Sinne vollenden. Im Juli 1907 schloß er einen Vertrag mit Japan, der die vom russisch-japanischen Krieg herrührenden Streitfragen bereinigte und die Interessensphären in China gegeneinander abgrenzte. Einige Wochen später, am 31. August, beseitigte er mit der Konvention über Persien, Afghanistan und Tibet die Reibungsflächen mit London im Fernen Osten. In seiner Erwartung, daß der britische Außenminister Edward Grey ihm für die Zugeständnisse in Zentralasien Unterstützung in der Meerengenfrage zusichern würde, sah er sich freilich getäuscht; mehr als eine Vertröstung konnte er nicht einhandeln. Das Einvernehmen mit dem Inselreich wurde, nachdem Rußland 1907 in die Entente zwischen England und Frankreich einbezogen worden war (Tripelentente), durch die Zusammenkunft Nikolaus II. mit Eduard VII. im Juni 1908 besiegelt. Die ersten Folgen der neuen, nach Westen orientierten Außenpolitik Petersburgs stellten sich sehr bald ein. Von I. vorhergesehen und wohl auch beabsichtigt, begann sich das seit langem gute Verhältnis zu Österreich-Ungarn zu lockern. Gemeinsamer Außenminister der Doppelmonarchie war seit Oktober 1906 Graf Aehrenthal. Bemüht, die Balkanpolitik, die sich in der Ära Goluchowski auf die Erhaltung des Status quo beschränkt hatte, wieder in Bewegung zu bringen, wurde er der Gegenspieler I.s in den Balkankrisen der folgenden Jahre. Noch bis in das Jahr 1907 hinein schien I. die Zusammenarbeit Rußlands mit der Donaumonarchie in der Balkanpolitik als eine im Moment noch unersetzliche Garantie gegen Unruhen auf der Halbinsel zu werten. Die erste ernsthafte Krise in den Beziehungen brachte die Jahreswende 1907/08, als Aehrenthals Sandschakbahn-Projekt wieder in den Mittelpunkt der Wiener Balkanpolitik trat. I. sah in der strategisch wie handelspolitisch wichtigen Bahnlinie, die über den Sand- schak von Novipazar nach Saloniki führen sollte, eine Bedrohung der Machtbalance auf dem Balkan zu Ungunsten Rußlands. Im Januar 1908 gab Aehrenthal sein Vorhaben der Öffentlichkeit bekannt. Er erntete die von I. bestellte scharfe Kritik der Petersburger Presse, die die Aktion als illoyal und als Gefahr für die Ruhe auf dem Balkan bezeichnete. In der Regierung aber fand der russische Außenminister mit seinen Einwänden keinen Beifall, und der Streit wurde beigelegt. Ungeachtet seiner Erfahrung in der Sandschakbahnkrise lud er Aehrenthal noch einmal zu Verhandlungen ein. Er bot ihm als Gegendienst für das österreichische Einverständnis zur Öffnung der Meerengen für russische Kriegsschiffe die Einwilligung in die Inbesitznahme Bosniens, der Herzegowina und des Sandschak an. Aehrenthal ging auf die Anregung bereitwillig ein. Um Bosnien und die Herzegowina de jure in die Donaumonarchie einzuverleiben, mußte er aber die verfassungsrechtliche Stellung der beiden Länder ändern und die Okkupation in eine Annexion verwandeln. Auf der Zusammenkunft in Buchlau (September 1908) bereitete Aehrenthal I. auf sein Vorhaben vor. I. stimmte einem gemeinsamen Vorgehen in dem Glauben zu, daß er zuvor noch London und Paris für seinen Meerengenplan gewinnen könne. Als aber Aehrenthal, gedrängt von der jungtürkischen Revolution, die Annexion vollzog, ohne daß I. vorher mit den Westmächten verhandelt hätte, reagierte dieser mit unversöhnlichem Groll. Er schob Aehrenthal die Schuld dafür zu, daß die Klärung der Meerengenfrage nun vertagt werden mußte. Dennoch erkannte er die Annexion schließlich an. 1909 schloß er das Abkommen von Racconigi, mit dem der italienische Außenminister Eommaso Tittoni eine „Entente ä deux“ gegen die Donaumonarchie anstrebte. Kurz nach der Annexion erteilte I. Serbien, Montenegro und Rumänien in einer Duma-Rede den Rat, sich zu einem Bund zusammenzuschließen. In welche Richtung er zielte, geht aus seinem Einverständnis mit der Forderung der wegen der Annexion besonders gereizten Serben hervor, Österreich-Ungarn vom Balkan zu verdrängen. War dies geschehen, dann wollte er mit der Hilfe der Balkanstaaten die noch intakte Oberherrschaft der Pforte über den Bosporus und die Dardanellen zugunsten Rußlands liquidieren. Als direktes Hindernis bei der Lösung der Meerengenfrage stand neben dem Osmanischen Reich und der Donaumonarchie der Freund beider Länder, das deutsche Kaiserreich, im Wege. I., der im September 1910 das Amt des Außenministers des Mißerfolges der russischen Diplomatie in der bosnischen Annexionskrise und seiner Nachwirkungen wegen aufgeben mußte und als Botschafter nach Paris ging, hielt es fortan für seine wichtigste Aufgabe, die Tripelentente gegen den Block der Mittelmächte, Deutschland und Österreich-Ungarn, zu konsolidieren. Mehr denn je von der Wirksamkeit der konsequenten Bündnispolitik mit Frankreich überzeugt, glaubte er nun, die Meerengen eher von Paris als von Petersburg aus gewinnen zu können. Das am besten geeignete Mittel erblickte er in europäischen Verwicklungen. Er hat deshalb auch erheblichen Anteil an der Vorbereitung des Weltkrieges. Beim Amtsantritt der Regierung Kerenskij verließ er den Botschafterposten. Bis zum Ende seines Lebens hoffte er, liberal gesinnt und deshalb von Nikolaus II. nicht immer gern gesehen, in seinem französischen Exil auf eine Restauration in seinem Vaterland.

Literatur

Izvol’skij, A. P.: Mémoires. Paris 1923.
Ders.: Au service de la Russie. Correspondance diplomatique 1906-1911. 2 Bde. Paris 1937/39.
Rathmann, Erich: Die Balkanfrage 1904-1908 und das Werden der Tripelentente. Halle 1932.
Carlgren, Wilhelm M.: Iswolsky und Aehrenthal vor der bosnischen Annexionskrise. Uppsala 1955.

Verfasser

Klaus Appel

GND: 124721826

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd124721826.html


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Empfohlene Zitierweise: Klaus Appel, Izvol’skij, Aleksandr Petrovič, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 2. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1976, S. 255-257 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1028, abgerufen am: (Abrufdatum)

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