Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Iorga, Nicolae
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Iorga, Nicolae

Iorga, Nicolae, rumänischer Historiker, Politiker und Publizist, * Botoşani 5.06.1871, † (ermordet) Bukarest 27.11.1940, Sohn des Rechtsanwalts Nicolae I. und der Zulnia Arghiropol.

Leben

I. besuchte ab 1878 die Volksschule und ab 1881 das Gymnasium in Botoşani und Jassy; am hiesigen „Liceul naţional“ bestand er im September 1888 auch die Reifeprüfung. Das anschließende Studium der Geschichte und Philologie an der Universität Jassy konnte er aufgrund einer Sondergenehmigung in einem Jahr absolvieren. Das Staatsexamen bestand I. im Dezember 1889. Entscheidenden Einfluß auf seinen Bildungsweg nahm zu jenem Zeitpunkt der Historiker Alexandru D. Xenopol, der ihn in jeder Hinsicht förderte; später nahm er sich vornehmlich Leopold von Ranke zum Vorbild. Am 1. April 1890 erwirkte I. eine Anstellung als Lehrer für Latein am Gymnasium zu Ploieşti, ließ sich jedoch bald darauf beurlauben, um eine vierjährige, mit dem Auslandsstipendium „Nicolescu“ finanzierte Studienreise ins Ausland anzutreten. Er fuhr über Italien, wo er einige Monate lang eifrig Bibliotheken, Archive und Museen durchforschte, nach Paris. Dort vollzog sich bald eine entscheidende Wende in seiner wissenschaftlichen Laufbahn. Er war ins Ausland gereist, um seine philologischen Studien fortzusetzen. In Paris entschied er sich für die Geschichte, ohne jedoch deswegen die Literaturwissenschaft gänzlich zu vernachlässigen. I. immatrikulierte sich an der Abteilung für Geschichte und Philologie der „Ecole Pratique des Hautes Etudes“. Damals beherrschte er bereits zahlreiche Sprachen. Das Diplom der Pariser Hochschule erwarb I. 1892 mit einer Arbeit über Philippe de Mezieres (1327-1405), die 1896 in der wissenschaftlichen Reihe der Hochschule veröffentlicht wurde. Im Januar 1893 immatrikulierte sich I. an der Berliner Universität, wechselte jedoch wenige Monate später nach Leipzig über, wo er im August 1893 mit einer Arbeit in französischer Sprache über Thomas III. Marquis de Saluces promovierte. Die hier angeknüpfte Freundschaft mit seinem Lehrer, dem Historiker Karl Lamprecht, währte ein Leben lang. Auf dessen Anregung verfaßte I. in späteren Jahren die zweibändige „Geschichte des rumänischen Volkes“ (Gotha 1905) und die fünfbändige „Geschichte des Osmanischen Reichs“ (Gotha 1908-1913). Im Jahr nach seiner zweiten Promotion arbeitete er in westeuropäischen Archiven. In den neunziger Jahren veröffentlichte I. mehrere Dokumentensammlungen, daneben schrieb er Abhandlungen für die Fachzeitschriften „Revue de l’Orient Latin“ und „Revue Historique“ sowie Beiträge für die französische Enzyklopädie. 1893 erschien sein erster Gedichtband, nachdem er seit 1890 mehrere literatur- und sprachwissenschaftliche Abhandlungen veröffentlicht hatte. 1894 erhielt I. die Berufung als stellvertretender Professor für Universalgeschichte an der Universität Bukarest und wurde im folgenden Jahr zum ordentlichen Professor ernannt. 1897 wählte ihn die Rumänische Akademie zum korrespondierenden Mitglied, 1911 zum Vollmitglied. Bis zu seinem Tod legte I. der Akademie Hunderte von Forschungsberichten vor und veröffentlichte in ihren Reihen zahlreiche Monographien sowie Tausende von Urkunden. Insgesamt umfaßt sein Opus neben vielen zum Teil mehrbändigen Werken mehr als 25 000 Abhandlungen, mehr als 40 Dramen, unzählige Zeitungsartikel usw.; außerdem hielt er Tausende von Vorträgen (allein im Jahre 1936 über 180) und las an mehreren Universitäten.
 I. war gleichermaßen mit der politischen, mit der Kultur- und Kunst- sowie mit der Wirtschafts- und Sozialgeschichte vertraut. Er schrieb Monographien, größere Synthesen, Essays, Lehrbücher, Reiseberichte mit historischem Hintergrund usw. Bei der schier unübersichtlichen Fülle und Vielfalt seiner Forschungen ließen sich weder Oberflächlichkeit noch sachliche oder interpretatorische Fehler vermeiden. Dank seines enormen Fleißes, der ihm zu einer universalen Bildung verhalf, und seiner Intuition öffnete er jedoch der Geschichtsforschung neue Wege und erschloß der historischen Konzeption bis dahin unvermutete Horizonte. Viele seiner Werke erlebten zum Teil mehrere ergänzte und überarbeitete Auflagen und wurden in viele Sprachen übersetzt. Überragende Bedeutung besitzen seine Arbeiten über Südosteuropa. Das von ihm geprägte Südosteuropa-Bild ist von vier Leitgedanken geprägt: 1. die einheitliche historische Entwicklung dieses Gebietes; 2. seine gemeinsame hellenisch-römische Grundlage; 3. seine spätere (negativ aufzufassende) „Balkanisierung“ und 4. die sich aus alldem für den Südosteuropa-Forscher ergebende Notwendigkeit, die Gemeinsamkeiten der Völker dieses Raumes herauszuarbeiten und auf diese Weise Voraussetzungen für ein besseres gegenseitiges Verständnis zu schaffen. Einer seiner Grundgedanken war, daß Byzanz nicht mit dem Jahre 1453 erlosch, sondern sich in mannigfaltiger Beziehung durch das Osma- nische Reich, vor allem aber durch eine in dessen Herrschaftsbereich fortlebende Vielzahl religiöser und politischer Institutionen fortsetzte. Als konkrete Auswirkung der südosteuropäischen Einheit betrachtete I. die weitgehend einheitliche Lebensweise und kulturelle Ausdrucksweise der Bevölkerung, die er im wesentlichen auf den gemeinthrakischen Fundus“ und die integrierende Funktion des „lateinischen Faktors“ zurückführte. Nachdem dieser den Hellenismus assimiliert hatte, entwickelte er im südosteuropäischen Raum die sich auf römisches Gesetz und christliche Ostkirche stützende „Ostromania“. Diese Ansicht fand ihre Fortsetzung im „Byzance apres Byzance“, das während der osmanischen Herrschaft vor allem in den Donaufürstentümern, jedoch auch sonst auf dem Balkan fortlebte. I. war Mitglied und Ehrendoktor mehrerer Akademien und Universitäten im Inund Ausland. Er gründete und leitete zahlreiche Fachzeitschriften. In der Politik, für die er sich zeitweilig rege interessierte, zeigte er eine weniger glückliche Hand. 1907 wurde I. zum ersten Mal in das rumänische Parlament gewählt, dem er viele Jahre angehörte. Gemeinsam mit Alexandru C. Cuza gründete er 1910 die stark national gefärbte, jedoch unbedeutende „National-Demokratische Partei“, zerstritt sich jedoch mit dem Mitbegründer und schied nach einiger Zeit aus. Als Ministerpräsident sowie Unterrichts- und Kultusminister eines „Fachkabinetts“ ist es ihm 1931-1932 in einer Periode der Wirtschaftskrise und parteipolitischer Zwistigkeiten nicht gelungen, seine politischen Vorstellungen zu verwirklichen. Am 30. Mai 1938 wurde I. zum Kronrat ernannt, nachdem er sein Prestige als Wissenschaftler zugunsten des Regimes Karls II. eingesetzt hatte. Am 27. November 1940 wurde I. von Mitgliedern der „Eisernen Garde“ ermordet, weil er zwei Jahre zuvor den Anlaß für die Verhaftung des später auf Anordnung Karls II. ermordeten Corneliu Zelea Codreanu geliefert hatte. Eine umfassende, jedoch weder systematische noch vollständige Aufstellung der Werke Ls ist in Lucian Predescus „Enciclopedia Cugetarea“ (Bukarest 1938) enthalten. samen

Literatur

Berza, Mihail: Science et méthode historique dans la pensée de N. Iorga. Bucureşti 1935.
Ders.: N. Iorga, historien du Moyen Age. Bucureşti 1943.
Alexandru-Dersca, Matilda: Nicolas Iorga, historien de l’Empire Ottoman. In: Balcanica 6 (1943) 101-122.
Berza, Mihail: Nicolae Iorga. Bucureşti 1965.
Stănescu, Eugen: Contribuţii la biografia de istoric a lui Nicolae Iorga. Inceputurile activităţii ştiinţifice, 1890-1894. In: Studii 18 (1965) 1275-1312.
Theodorescu, Barbu: Nicolae Iorga. Bucureşti 1968.
Nicolas Iorga. L’homme et l’oeuvre à l’occasion du centième anniversaire de sa naissance. Hrsg. D. M. Pippidi. Bucarest 1972.

Verfasser

Dionisie Ghermani (GND: 118893238)

GND: 118775588

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd118775588.html


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Empfohlene Zitierweise: Dionisie Ghermani, Iorga, Nicolae, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 2. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1976, S. 229-231 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1009, abgerufen am: (Abrufdatum)

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