Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Frashëri, Sami
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Frashëri, Sami

Frashëri, Sami (türkisch Şemseddin Sami), albanischer Aufklärer und Ideologe der albanischen Nationalbewegung, türkischer Enzyklopädist und Lexikograph, * Frashëri (Südalbanien) 1850, † Istanbul 1904, Sohn von Halid Bey F.

Leben

Nach der Grundausbildung auf der Koranschule von Frashëri besuchte F. ab 1865 - nachdem seine Familie nach Janina übergesiedelt war - zusammen mit seinem Bruder Naim das griechische „Zosimea “-Gymnasium (bis 1871). Er erlernte die arabische, persische, türkische, alt- und neugriechische, französische und italienische Sprache, die er bald in Wort und Schrift beherrschte. 1871 wurde er Beamter in der Verwaltung des Wilajets Janina. 1872 ging er nach Istanbul, wo er in der staatlichen Pressedirektion (Matbuat Kalemi) tätig war. Hier befreundete er sich mit fortschrittlichen türkischen Journalisten und Schriftstellern, wie Namık Kemal, Ebuzziya Teufik u. a., unterhielt gleichzeitig aber auch enge Beziehungen zu albanischen Patrioten. 1872 veröffenlichte F. seinen Roman „Taaşşuk-u Tal’at ve Fıtnat“ (Die Liebe von Talat und Fitnat), den ersten Roman der türkischen Literatur. 1873 wurde er Mitarbeiter an den Zeitungen „Sırac“ (Das Licht) und „Hadika“ (Der Garten), und veröffentlichte in der Folgezeit mehrere Übersetzungen aus dem Französischen.
1874 ging F. für etwa 9 Monate nach Tripolis, wo er eine Zeitung für das libysche Wilajet in arabischer und türkischer Sprache herausgab. Nach einigen Quellen soll er dorthin in die Verbannung geschickt worden sein, nach anderen aber, weil er dort als guter Kenner des Zeitungswesens und des Arabischen benötigt wurde. Nach seiner Rückkehr nach Istanbul wurde er Chefredakteur der Tageszeitung „Sabah“ (Der Morgen) und veröffentlichte verschiedene Dramen: „Besa yahud ahde vefa“ (Besa oder die Erfüllung des gegebenen Wortes, 1875), das in das Albanische, Serbokroatische, Bulgarische, Italienische und Englische übersetzt wurde, „Seydi Yahya“ (1875), „Gâve“ (1876); im gleichen Jahr beendete er sein Drama „Mezâlim-i Andalus“ (Verbrechen in Andalusien), das aber unveröffentlicht blieb. 1877 wurde F. Sekretär des Wilajets Rhodos und dann Sekretär der Militärkommission von Janina. Er kehrte jedoch bald nach Istanbul zurück und übernahm dort den Posten des Chefredakteurs der Tageszeitung „Tercüman-i Şark“ (Dolmetscher des Ostens), in der er täglich Kommentare zu Ereignissen aus dem politischen, kulturellen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben brachte. Am meisten beschäftigte ihn dabei die Frage nach dem Schicksal des Osmanischen Reiches, die sog. „Orientalische Frage“ (die nach Meinung F.s die europäischen Mächte erfunden hatten, um das Osmanische Reich aufzuteilen), und die Zukunft der Albaner, deren Territorium durch die Ambitionen der umliegenden Balkanstaaten gefährdet war. Scharfe Angriffe richtete er gegen die griechischen Politiker, die Ansprüche auf das Wilajet Janina erhoben und durch wissenschaftliche Fälschungen zu beweisen versuchten, daß die Mehrheit der Bevölkerung hier griechisch sei, sowie gegen die griechische Propaganda in Europa und in Istanbul. Eine längere Polemik führte er mit der in Istanbul erscheinenden griechischen Zeitung „Neologos“, die mitten in der Hauptstadt die großgriechische Idee propagierte.
Nicht weniger heftig war die Reaktion F.s auf die Besetzung von Bosnien und der Herzegowina durch Österreich-Ungarn. Er betonte die freundschaftlichen Beziehungen, die zwischen Albanern und Bosniern bestanden und bedauerte, daß durch die Besetzung Bosniens die Verbindung zwischen den dortigen Muslimen und denen in den übrigen Provinzen des Reiches unterbrochen wurde. Eine Reihe von Beiträgen in dieser Zeitung beschäftigt sich auch mit der Prizrener Liga; in einem von ihnen (vom 27.09.1878) nennt F. die Forderungen der Liga: Indem er über die Reformen spricht, vergleicht er das Osmanische Reich mit einem Gebäude mit vermoderten Fundamenten, das durch Reformen nicht wiederhergestellt und repariert werden kann, sondern auf neue Fundamente gestellt werden muß.
Enttäuscht von den Beschlüssen des Berliner Kongresses und von der osmanischen Politik hinsichtlich der albanischen Frage suchte F. Trost in der Arbeit: 1879 begründete er die Zeitschrift „Aile“ (Die Familie), 1880 die Zeitschrift „Hafta“ (Die Woche). Als 1881 die Militärische Kontrollkommission gebildet wurde, wurde F. deren Sekretär; er behielt diesen Posten bis zu seinem Tode bei. 1882-1902 veröffentlichte er 6 Lehrbücher der arabischen und der türkischen Sprache, in denen er neue pädagogische Methoden anwandte. 1884 konnte er den Verleger Mihran, eine Armenier, für die Herausgabe einer populärwissenschaftlichen Buchreihe gewinnen, die zum Ziel hatte, dem türkischen Leser zu einem billigen Preis die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Neuzeit zu vermitteln. In dieser Reihe, die sich „Cep Kütüphanesi“ (Taschenbibliothek) nannte, erschienen 15 Werke F.s.
Den größten Ruhm erwarb sich F. durch seine lexikographischen Arbeiten. Sein „Französisch-türkisches Wörterbuch“ (Kamus-u fransevi. Fransızcadan Türkçeye Lugat, Istanbul 1299/1883) erlebte innerhalb von 20 Jahren vier Auflagen. Sein „Türkisch-französisches Wörterbuch“ (Kamus-u fransevi. Türkçeden Fransızcaya Lugat, Istanbul 1300/1883/84) wurde 1911 in gekürzter Fassung neu aufgelegt; als Verfasser zeichnete jetzt allerdings der Armenier Diran Kelekian, der F.s Werk nur einige Wörter hinzugefügt hatte (Dictionnaire turc-français, par Diran Kélékian. Constantinople 1911). F. begann auch ein „Arabisch-türkisches Wörterbuch“ auf eigene Kosten in Lieferungen zu veröffentlichen. Da es ihm jedoch an den notwendigen Geldmitteln fehlte, kam die Ausgabe nur bis zur Mitte des Buchstabens „ğīm“.
Den Höhepunkt von F.s lexikographischem Schaffen stellt zweifellos sein bis heute unveröffentlichtes „Wörterbuch des Türkischen“ (Kamus-u Türki, Istanbul 1317/1901) dar, von dem der französische Orientalist Jean Deny mit Recht sagt, es wäre das beste Wörterbuch des Osmanisch-Türkischen. Seine Artikel über die türkische Sprache spielten - zusammen mit seinen Wörterbüchern - eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung der späteren türkischen Literatursprache. Die Anschauungen, die F. seiner Theorie über die türkische Sprache zugrunde legte, wurden nach der kemalistischen Revolution von der neugegründeten „Türkischen Philologischen Gesellschaft“ (Türk Dil Kurumu) als Leitlinie für die Neugestaltung der türkischen Schriftsprache übernommen.
Das umfangreichste Werk F.s ist sein historisches und geographisches enzyklopädisches Wörterbuch „Kamus al- a’lâm“ mit 6 Bänden von insgesamt 4830 S., an dem er 12 Jahre gearbeitet hatte. In ihm werden u. a. ausführlich Geschichte und Geographie Albaniens behandelt.
F. schrieb innerhalb von 30 Jahren 50 Werke, nicht eingerechnet die Hunderte von Artikeln in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften. Er starb in Istanbul im 54. Lebensjahr, zermürbt durch die zu große Arbeitsbelastung, die er sich selbst auferlegt hatte, und erschöpft durch Ischias, an der er seit Jahren litt.
In der Geschichte des albanischen Erziehungswesens, des albanischen kulturellen und politischen Denkens nimmt F. einen besonderen Platz ein. Während des Höhepunktes der Aktivität der albanischen Liga wurde in Istanbul eine Alphabetskommission gebildet, der Intellektuelle muslimischer, orthodoxer und katholischer Konfession angehörten. Diese Kommission nahm das von F. vorgeschlagene Alphabet für die albanische Sprache an. Als Grundlage für dieses Alphabet diente das lateinische, mit Zusatz einiger aus der griechischen und kyrillischen Schrift entlehnter Buchstaben. Bei der Zusammenstellung des Alphabetes war F. dem phonetischen Prinzip gefolgt, d. h., jedem Laut sollte ein Zeichen entsprechen. Es war sicher das vollkommenste, aber nicht das praktischste albanische Alphabet, weshalb es von Faik Konicas Zeitschrift „Albania“ und der Skutariner katholischen Gruppe nicht angenommen wurde. Trotzdem wurden zumindest alle Bücher, die in Sofia und Bukarest erschienen, in diesem Alphabet gedruckt. Es war so verbreitet, daß es auf dem Kongreß von Monastir 1908 als Variante neben dem heutigen Alphabet, das erst später die Oberhand gewann, anerkannt wurde. Die Kommission gab mit diesem Alphabet 1879 ein „Alfabetare e gjuhes shqip“ (Lesebuch der albanischen Sprache) heraus, in dem sich auch zwei Beiträge F.s befanden.
Am 12. Oktober 1879 gründete eine Gruppe angesehener Albaner in Istanbul eine „Shoqëri e të shtypuri shkronja shqip“ (Gesellschaft für den Druck von Büchern in albanischer Sprache), zu deren Vorsitzendem F. gewählt wurde. Nach dem Verbot durch die türkische Regierung verlegte die Gesellschaft ihren Sitz nach Bukarest, wo eine bedeutende Anzahl von albanischen Drucken erschien, u. a. auch solche von F. und seinem Bruder Naim. Von F.s Arbeiten erschienen dort 1886 „Abetarja“ (Fibel) und „Shkronjëtorja“ (Grammatik), 1888 „Dheshkronja“ (Geographie). 1889 erschien in Bukarest, ohne Nennung des Autors, F.s bedeutendstes albanischsprachiges Werk „Shqipëria. Ç’ka qenë, ç’është dhe Ç’do të bëhetë“ (Albanien - was es war, was es ist und was es sein wird) mit dem Untertitel „Gedanken über die Rettung des Vaterlandes vor den Gefahren, die es bedrohen“. Dieses Werk, das noch heute Polemik herausfordert, denn türkische Wissenschaftler behaupten, daß es nicht von F. stammt, kann als das politische Manifest nicht nur F.s, sondern der ganzen albanischen Befreiungsbewegung bezeichnet werden. Nach einem kurzen Abriß der albanischen Geschichte schreibt F. über die türkisch-albanischen Beziehungen in der Vergangenheit, über den bevorstehenden Verfall des Osmanischen Reiches, und stellt fest, daß es jetzt an der Zeit wäre, daß die Albaner über ihr künftiges Schicksal nachdächten. Danach beschreibt er die Grenzen des zukünftigen albanischen Staates, der auch einige Gebiete umfassen sollte, die nicht eine albanische Bevölkerungsmehrheit hatten. Im dritten Teil seines Buches widmet sich F. hauptsächlich der zukünftigen Verfassung Albaniens. Er denkt an ein bürgerlich-parlamentarisches System - mit Ministerrat, Parlament und Senat. Auf dem Unterrichtssektor denkt er an eine 6jährige Schulpflicht; daneben sollten einige Mittelschulen, höhere Schulen und eine Universität errichtet werden. Auch die Schaffung einer Akademie mit verschiedenen wissenschaftlichen Instituten bezieht er in seine Pläne ein. Die Kirche sollte autokephal, aber getrennt vom Staat sein. Durch den Bau von Straßen und Häfen, Trockenlegung von Sümpfen und Ausbeutung der Bodenschätze sollte Albanien zu einem modernen Agrar-Industrie-Staat werden. Ein Drittel des Budgets sollte für Investitionen verwendet werden. Allerdings dachte auch F., wie viele vor und nach ihm, nicht an die Schaffung eines vollständig unabhängigen Albaniens, sondern an einen autonomen Staat im Rahmen des Osmanischen Reiches. Der Grund dafür ist in der damaligen politischen Lage zu suchen - Serbien, Bulgarien, Montenegro und Griechenland, unterstützt von verschiedenen Großmächten, trachteten nach einer Aufteilung des albanischen Territoriums, so daß die Albaner bei einer völligen Lostrennung vom Osmanischen Reich ganz der Gnade oder Ungnade ihrer Nachbarn ausgeliefert worden wären, wie es dann auch geschah. Dieses Werk F.s ist eines der meistübersetzten albanischen Bücher: es erschien in türkischer, griechischer, deutscher (nach der türkischen Übersetzung), italienischer und französischer Sprache.

Literatur

Daglıoglu, Hikmet Turhan: Şemsettin Sami. Hayatı ve eserleri. Istanbul 1934.
Frashëri, Kristo: Şemseddin Sami Frashëri, idéologue du mouvement national albanais. In: Stud. alban. (1966) 1, 95-110.
Kaleshi, Hasan: Sami Frashëri në letërsinë dhe filologjinë turke. In: Gjurmine albanologjike (1968) 1, 33-116.
Levend, Agâh Sırrı: Şemsettin Sami. Ankara 1969.
Kaleshi, Hasan: Burimet lidhur me studimin e Sami Frashërit. In: Zborn. filoz. Fak., Priština 8 (1971) 35-54.

Verfasser

Hasan Kaleshi (GND: 1084144948)

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Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd119498286.html


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Empfohlene Zitierweise: Hasan Kaleshi, Frashëri, Sami, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 1. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1974, S. 543-546 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=837, abgerufen am: (Abrufdatum)

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