Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Ghica, Ion
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Ghica, Ion

Ghica, Ion, rumänischer Staatsmann, Ökonom und Schriftsteller, * Bukarest 12.08.1817 (1816?), † Ghergani 22.04.1897; verwandt mit dem Fürstenhaus Ghica.

Leben

G. besuchte die griechische Schule und das rumänische Gymnasium Sfîntu Sava, wo Ion Heliade-Rădulescu lehrte und Nicolae Bălcescu, Grigore Alexandrescu und Alexandru Ioan Cuza zu G.s Mitschülern zählten. Das Studium des Bergbaus beendete G. mit dem Ingenieursdiplom (1841) in Paris. Darauf lehrte er in den Jahren 1842 bis 1844 als erster rumänischer Professor Volkswirtschaft an der „Academia Mihăileană“ in Jassy, wo er zuletzt Inspekteur war. Hier begann G.s Zusammenarbeit mit Mihail Kogălniceanu. G.s Vorlesungen, Artikel und aufklärerische Broschüren bezeugen eine fortschrittliche und wirtschaftsliberale Gesinnung. Er forderte den Freihandel, eine Zollunion der beiden Fürstentümer als Vorstufe ihrer politischen Vereinigung, den Eisenbahnbau und Kreditinstitutionen.
1844 gab G. gemeinsam mit Panait Balş und Kogălniceanu die Zeitschrift „Propăşirea (Der Fortschritt) heraus, an deren Namen die Zensur Anstoß nahm, so daß sie nur unter dem Untertitel „Foaie pentru ştiinţă şi literatură“ (Blatt für Wissenschaft und Literatur) erscheinen konnte. Hier veröffentlichte G. ein Reformprojekt für das moldauische Schulwesen, dessen Abdruck aber bald unterbunden wurde. Nach einigen Schwierigkeiten mit den Behörden ging er 1844 in die Walachei zurück. Hier arbeitete er zunächst an verschiedenen fortschrittlichen Blättern wie „Albumul ştiinţific şi literar (Wissenschaftliches und literarisches Album), „Revista română“ (Rumänische Zeitschrift), „Independinţa“ (Die Unabhängigkeit) und „România literară“(Das literarische Rumänien) mit, blieb aber auch weiterhin Redakteur der „Propăşirea“. Gleichzeitig als Direktor der Theater in Bukarest tätig, bemühte er sich um ein internationales und vorwiegend klassisches Repertoire und übersetzte selbst auch Molière, Victor Hugo und Victorien Sardou.
In den 1840er Jahren trat G. verschiedenen politischen Vereinen bei, die - als Kulturbünde getarnt - konspirative Ziele verfolgten: der „Societatea filarmonică“ und - als Gründungsmitglied neben Bălcescu und Cristian Tell - der Geheimgesellschaft „Frăţia“, die unter der Losung „Gerechtigkeit und Brüderlichkeit“ den Sturz des konservativen russophilen Regimes Gheorghe Dimitrie Bibescus und die Vereinigung der Donaufürstentümer plante. Als Schutzschild nach außen diente der „Frăţia“ eine „Literarische Gesellschaft Rumäniens“, die enge Beziehungen zu Schriftstellern der Moldau knüpfte (Kogălniceanu, Vasile Alecsandri). Wegen seiner fortschrittlichen Gesinnung wurde G. 1847 die Kandidatur im Wahlkreis Dîmboviţa verweigert.
Ein im Mai 1848 von G., Bălcescu und mit Wissen von Alphonse Lamartine gegründetes „Walachisches Revolutionskomitee“ beschloß den politischen Umsturz für den 21. Juni. Heliade-Rădulescu arbeitete das bürgerlich-liberale Revolutionsprogramm aus (Erlaß einer Verfassung, bürgerliche Rechte, Bauernbefreiung, Beseitigung des Protektorats). Als „Geheimer Sonderbeauftragter“ des Revolutionskomitees ging G. am 29. Mai nach Istanbul, um mit Hilfe des französischen Gesandten, General Jacques Aupick, die Pforte auf den Sturz Bibescus vorzubereiten. Im September ging er ins Exil nach Paris.
In den Jahren 1854-1858 war G. Gouverneur von Samos, wo er Reformen durchführte und die Piraterie in der Ägäis erfolgreich bekämpfte. In mehreren Eingaben bat G. die Pforte um Vereinigung der Fürstentümer unter Beibehaltung der türkischen Oberhoheit und erreichte im November 1859 die Anerkennung der Doppelwahl Cuzas und 1866 der Wahl des Prinzen Karl durch den Sultan. Ab 1858 wieder in Rumänien, war G. mehrmals Ministerpräsident (1859/60, 1866, 1866/67, 1870/71), Innenminister (1859/60), Außenminister (1866) und 1881-1891 rumänischer Gesandter in London. 1865 war er am Sturz seines ehemaligen Freundes Cuza beteiligt. Er war außerdem 1873 Direktor der „Bodenkreditanstalt“, 1874 Direktor der „Rumänischen Akademischen Gesellschaft“ und 1877-1881 Direktor des Bukarester Nationaltheaters.
G.s wichtigste Schriften sind die „Convorbiri economice“ (Wirtschaftsgespräche, 1865 bis 1875), die autobiographischen „Scrisori către Vasile Alecsandri“ (Briefe an V. Alecsandri, ab 1887 in den „Convorbiri literare“, Jassy, veröffentlicht) und die „Amintiri din pribegie după 1848“ (Erinnerungen aus der Emigration nach 1848, mit Briefen der prominentesten Emigranten, 1888-1889 veröffentlicht). G., der fast acht Jahrzehnte sehr bewegter rumänischer Geschichte begleitete, erscheint in den letztgenannten Werken als begabter Schriftsteller und genauer Beobachter seiner ebenso berühmten Freunde und Mitarbeiter Alexandrescu, Bălcescu und Cuza.

Literatur

Georgescu-Tistu, N[icolae]: Ion Ghica scriitorul. Bucureşti 1935 (mit Bibliographie).
Păcurariu , Dumitru (Hrsg.): Documente literare ale lui Ion Ghica. Bucureşti 1959.
Liu, Nicolae (Hrsg.): Catalogul corespondenţei lui Ion Ghica. Bucureşti 1962.
Păcurariu, Dumitru: Ion Ghica. Bucureşti 1965 (mit Bibliographie).
Roman, Ion (Hrsg.): Ion Ghica. Opere. Bd 1. Bucureşti 1967.
Netea, Vasile: Les relations de Ion Ghica avec certains diplomates anglais; ses missions et ses fonctions à Londre. In: Rev. roum. Hist. 11 (1972) 91-107.
Bucur, Marian (Hrsg.): Ion Ghica. Scrisori către Vasile Alecsandri. Bucureşti 1973.  

Verfasser

Krista Zach (GND: 120069873)

GND: 119314762

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd119314762.html


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Empfohlene Zitierweise: Krista Zach, Ghica, Ion, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 2. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1976, S. 50-51 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=878, abgerufen am: (Abrufdatum)

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